Abenteuer, Freiheit, Diktatur

Ein Abenteuerroman für Jugendliche – mit Männerbildern, die zu Auseinandersetzungen und Entscheidungen herausfordern.

Text: Ralf Ruhl
Foto: time., photocase.de

 
Ferne Länder, Segelromantik, Stürme und Schiffbruch – Rachel van Kooijs Buch »Der Kajütenjunge des Apothekers« hat alles, was ein Abenteuerroman für Jugendliche braucht. Und steckt gerade deshalb voller Männlichkeit, von toxisch bis gut gemeint. Was sich folgerichtig zu einem Lehrstück über das Aufkommen einer brutalen Diktatur verdichtet.

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Taubenauflauf

Jugendliche Mutproben in Krakau

Text und Foto: Alexander Bentheim
Reihe »Bilder und ihre Geschichte«, #22


Reise nach Krakau, Juni 2009. Viele neue Eindrücke gibt es. Zum Beispiel machen Kinder mit Schildern Werbung auf den Straßen, für die örtlichen Restaurants. Oder in den Straßenbahnen wird gleich Platz gemacht für die älteren Menschen, keine Diskussion, kein Danke. Es gibt auch kaum Alkohol in der Öffentlichkeit zu sehen, Männer tragen vor allem Bürstenhaarschnitt und viele Frauen ab 50 sind am Krückstock unterwegs.
Auf dem Hauptmarkt mit den Krakauer Tuchhallen gibt es unendlich viele Tauben. Die Jungs machen sich einen Spaß daraus, mit einem Becher Getreide möglichst viele Tauben anlocken und gleichzeitig auf Arm und Kopf balancieren zu können. In diesem Geflatter und Chaos – keine Taube gönnt der anderen etwas – sind manche kaum mehr zu sehen, einer schaffte es auf acht Vögel gleichzeitig. Skurrile Mutprobe, aber vergleichsweise ungefährlich, man könnte den Becher ja fallenlassen.



Reihe »Bilder und ihre Geschichte«
#21 | Alexander Bentheim, Jugend forscht!
#20 | Alexander Bentheim | Ursula Schäfer | Manfred »Doci« Flucht | Andreas Kleve, Neugieriges Spielen mit Images
#19 | Alexander Bentheim, Eine Frage der Perspektive
#18 | Ina Buskens, »Männer mögen es, wenn sie etwas härter dargestellt werden, als sie in Wirklichkeit sind.«
#17 | Alexander Bentheim, Zeitenwende / Beleidigungen in der Postmoderne
#16 | Frank Keil, Warten auf den nächsten Zug
#15 | Alexander Bentheim, Im Bistro am Ölberg
#14 | Alexander Bentheim, »Riskanter, als Aktien zu haben …«
#13 | Rolf Lüüs, Geschenkte Momente
#12 | Christian Thiel, Ein Augenblick der Ruhe und Verbundenheit
#11 | Tom Focke, Berliner Trompeten
#10 | Kerstin Maier, 9 Tage Glück / Familiensachen
#09 | Jo Fröhner, Rollentausch am Arbeitsplatz / Wenn Männer Männer pflegen
#08 | Kerstin Maier, Roadmovie / Männersachen
#07 | Caio Jacques, Von Luis zu Mina / Eine Reise zwischen den Geschlechtern
#06 | Alexander Bentheim und Frank Keil, Stephen Sondheim’s Musical »Assassins«
#05 | Soumita Bhattacharya, Mandeep Raikhy’s »A MALE ANT HAS STRAIGHT ANTENNAE«
#04 | Gilles Soubeyrand, Portraits und ein Interview
#03 | Jens Kuhn, Fotografische Männergeschichten und ein Interview
#02 | Kerstin Maier, 11 Freunde
#01 | Sebastian Ansorge, malender Kreativitätsbegleiter

»Auch Opfer, selbstverständlich!«

Das bundesweite Männerhilfetelefon berät betroffene Männer zu Bewältigungs- und Handlungsmöglichkeiten nach Gewalterfahrungen.

Ausschnitt Gesicht alter Mann

Text: Thomas Gesterkamp
Redaktion: Alexander Bentheim
Foto: Ruben Jacob, photocase.de (Symbolbild)

 
Gewalt gegen Männer ist ein besonders heikles Thema in der geschlechterpolitischen Debatte. Antifeministische Maskulinisten greifen das Thema auf und stilisieren sich gern zum Opfer. Sie verharmlosen die Tatsache, dass im häuslichen Umfeld überwiegend Frauen die Leidtragenden sind. Umgekehrt war es lange ein Tabuthema, dass manche Männer ebenso gewaltbetroffen sein können. Ein Pilotprojekt in Ostwestfalen bietet ihnen seit knapp vier Jahren Hilfe an.

Zum Beitrag

Wandernd durch das Trauertal

Aufschreiben, was ist. Beschreiben, was war, wie es vielleicht wieder sein könnte, auch wenn es nie wieder so sein wird – das ist eine wahre Herausforderung.

Spiegelung eines Baumes mit Herbstblättern im Wasser

Text: Frank Keil
Foto: derProjektor, photocase.de

 
Männerbuch der Woche, 7te KW. – Elke Naters erzählt in ihrem Protokollroman »Alles ist gut, bis es dann nicht mehr gut ist« nach dem Tod ihres Mannes, wie es wieder annehmbar wird, auch weil die Trauer und der bleibende Verlust zu dem gehören, was man so leichthin wie unbedarft »das Leben« nennt.

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Trauer in Venedig

Was, wenn einem klar wird, dass das eigene Leben endlich ist und das der heutigen Welt noch dazu? Oder hat das nichts miteinander zu tun?

Venedig am Abend mit Gondeln

Text: Frank Keil
Foto: 50Centimos, photocase.de

 
Männerbuch der Woche, 4te KW. – Daniel Schreiber widmet sich in seinem Essay »Die Zeit der Verluste« so gekonnt wie berührend dem Zusammenspiel wie Gegensatz von privater und gesellschaftlicher Trauer.

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Weiterhin Krieg

Der Krieg in Bosnien? Ja, den gab es. Aber was war da noch mal los? Was hat er mit den Menschen gemacht? Und hätte man daraus vielleicht etwas lernen können?

Text: Frank Keil
Foto: pur, photocase.de

 
Männerbuch der Woche, 3te KW. – Tijan Sila erzählt in »Radio Sarajevo« beeindruckend nah wie nüchtern vom Ende einer Kindheit unter ständigem Beschuss. Es hat seine Zeit gebraucht, bis er sich dieser Lebensphase literarisch nähern konnte.

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»Visionssuchen halfen mir dabei, meinen inneren Vaterkonflikt zu klären und als Mann nachzureifen.«

Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Peter Maier, Kühbach b. Augsburg

Mann allein am Strand

Leitfragen: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Fotos: cw-design, photocase.de | privat

 
Kindheit in der Nachkriegszeit

Geboren bin ich 1954 in einem Dorf in Ostbayern. Mein Vater war Hitlerjunge, die Propaganda der Nazi-Zeit hatte ihn total verblendet. Einmal gestand er mir, dass er noch bis zum 1. Mai 1945, kurz bevor die Amerikaner einrückten, jeden im Dorf mit seiner Pistole erschossen hätte, der etwas gegen Hitler gesagt hätte. Obwohl mein Vater sich deswegen im Nachhinein sehr schämte und sich innerlich von der Nazi-Ideologie lossagte, war meine Erziehung durch ihn dennoch sehr autoritär geprägt. Und es gab für mich mehrere heftige Gewalterfahrungen durch meinen Vater.

Mein Vater hatte einen Doppelberuf: Er war Landwirt und Viehhändler und es war sowohl ihm als auch mir seit frühester Kindheit an sonnenklar, dass ich als sein Erstgeborener einmal in seine Fußstapfen treten sollte. Daher war es für mich ein Schock und ein totaler Bruch in meiner Biographie, als mein Vater mich nach der 5. Klasse Volksschule plötzlich gegen meinen Willen aufs Gymnasium schickte. Die nächsten neun Jahre war ich als Fahrschüler täglich zwei Stunden auf der Strecke – ins 31 Kilometer entfernte Gymnasium des Nachbarlandkreises. Mein jüngerer Bruder sollte nun einmal den Hof übernehmen, mein Vater wollte mich nicht mehr zu Hause haben. Ich war draußen aus dem Hof, raus auch aus der männlichen Ahnenlinie und irgendwie auch aus der Familie, die von meinem Vater geprägt und total dominiert wurde.

Als mich mein Vater dann in der 7. Klasse wegen der Note Drei in einer Erdkunde-Arbeit kritisierte, packte mich eine heilige Wut und ich beschloss, nun Tag und Nacht für die Schule zu lernen und zugleich täglich im großen Hof mit damals großem Stall voll Vieh mitzuarbeiten – 365 Tage im Jahr. Ich wollte meinem Vater zeigen, was ich draufhabe und sein Kritiker-Maul ein für alle Mal stopfen. Mein Vater war nun am Beginn meiner Pubertät zu meiner größten Herausforderung im Leben und zu meinem größten Gegner geworden, den ich täglich durch gute Leistungen und viel Arbeit auf dem Hof niederzukämpfen versuchte. Dies gelang wohl auch, hatte aber zur Folge, dass ich zu einem Lern- und Arbeitsroboter wurde. Meine Pubertätsentwicklung fand, da vollkommen auf den Vater und auf die Arbeit fixiert, hauptsächlich im Verborgenen statt.

Im Alter von 17 Jahren gab es dann den nächsten Schock für mich: Da mein Vater erkannte, dass ich für ihn auf dem Bauernhof sehr nützlich war, wollte er, dass ich nun nach dem Erwerb der Mittleren Reife das Gymnasium sofort verlassen und bei ihm zu Hause »einsteigen« sollte. Als »Bauernbub« hatte ich mich in der fernen Schule mühsam durchgebissen und ein gutes Zeugnis erreicht. Dieses war jedoch für meinen Vater plötzlich nichts mehr wert. Denn es hatte sich herausgestellt, dass mein jüngerer Bruder für das Bauer-Sein doch nicht geschaffen war. Nun wollte der Vater wieder mich als seinen potentiellen Nachfolger zu Hause haben.

Doch diesmal wehrte sich etwas in mir. Ich fühlte mich wie eine Schachfigur, die von meinem Vater auf dem »Brett seiner Lebensplanung« in autoritärer Weise beliebig herumgeschoben werden sollte. Ich war doch nicht sein Besitz! Ich sagte gar nichts und blieb stur am Gymnasium, machte ein sehr passables Abitur und leistete anschließend sofort meinen 15-monatigen Wehrdienst als Sanitäter ab. Mir war aber klar, dass diese Zeit nur eine Art von Moratorium für mich war: Denn das Damoklesschwert des Bauernhofes und der Erwartungen meines Vaters an mich hingen die ganze Zeit drohend über mir. Was sollte ich nun tun?

Ich gehe meinen eigenen Weg

Kurz vor der Entlassung aus der Bundeswehr 1975 forderte mich mein Vater an einem Samstag im Juni erneut offensiv auf, dass ich nach Ende des Wehrdienstes bei ihm auf dem Hof »einsteige« – als Abiturient ohne jede Lehre oder berufliche Ausbildung. Da brach es, selbst für mich unerwartet, aus mir heraus: »Vater, ich möchte mich mit Menschen beschäftigen und nicht mit Feld und Vieh!« Raus war es. Das waren die ultimativen Trennungsworte zwischen meinem Vater und mir. Mein Satz war ein Schlag für uns beide – für meinen Vater und für mich selbst. Denn eigentlich wäre ich gerne Bauer geworden, ich wusste aber, dass ich zu Hause immer nur der Knecht oder sogar der Leibeigene meines autoritären Vaters sein würde und nie ein eigenes Leben neben ihm entwickeln konnte. Ich musste unbedingt von ihm weg.

Nun aber kamen auch aus meinem Vater ebenfalls todernste Worte, die viele Jahre in mir nachhallten: »Ja so einen wie Dich kann ich hier nicht brauchen! Wenn Du schon diese sichere Existenz des Bauernhofes ausschlägst, dann sieh zu, dass Du eine Arbeit findest, mit der Du zu hundert Prozent Deine Existenz sichern kannst!« Das empfand ich als eine starke Drohung und als Abwertung meines anderen Weges, den ich ab jetzt gehen wollte.

In diesem Moment spürte und wusste ich zweierlei: Zum einen hatte mich mein Vater, der vollkommen mit seinem Hof identifiziert war, ab jetzt total fallen gelassen. Für ihn war ich nichts mehr wert und wie gestorben. Jede Vaterliebe, die Vaterenergie, die Vaterkraft in mir und der Vatersegen waren aus mir gewichen. Mein Vater stand nicht mehr hinter mir, für ihn war ich ein Versager, ein Feigling, ein Verräter, der sich aus der Familie und der Verantwortung davonstiehlt. Ein junger Mann hat es aber sehr schwer, auf eigene Mannes-Beine zu kommen, wenn ihm diese Vater-Qualitäten entzogen werden und fehlen.

Zum anderen wusste ich, dass ich ab jetzt vollkommen auf mich allein gestellt und ohne jede moralische Unterstützung durch meinen Vater war. Ich wollte Gymnasiallehrer werden und musste mich an der Uni ganz alleine durchkämpfen. Zudem waren die Aussichten auf eine Anstellung als bayerischer Gymnasiallehrer damals sehr schlecht, es gab nur weniger Stellen, wenn ich mit Studium und Referendariat fertig sein würde. Auf keinen Fall aber wollte ich auf den Bauernhof meines Vaters zurückkehren, falls es beruflich als Pädagoge nicht klappen sollte.

Angetrieben von Existenzangst und der Drohung des Vaters schaffte ich das 1. Staatsexamen in meinen beiden Fächern Physik und Katholische Religionslehre mit Bravour. Vor dem Referendariat wollte ich mir jedoch einen lange gehegten Wunsch erfüllen: Ich ging 1981 für ein halbes Jahr auf eine Missionsstation in einem kenianischen Buschdorf. Dort war ein früherer Religionslehrer von mir, ein Comboni-Missionar, in der Erst-Evangelisierung afrikanischer Stämme tätig. Mehrere Monate lang machte ich in der benachbarten staatlichen Secondary School meine ersten Gehversuche als junger Lehrer. Das war inspirierend und der ganze Auslandsaufenthalt bedeutete im Grunde den nächsten wichtigen Schritt in meiner Ablösung (Initiation) von meinen Eltern.

Schwierigkeiten als Lehrer mit Jungen

Als ich dann jedoch im September 1981 mit dem Referendariat begann, wehte mir ein sehr kalter Wind an bayerischen Gymnasien entgegen. Aufgrund der guten Noten im 1. Staatsexamen bekam ich 1983 doch noch eine feste Beamtenstelle. Nun war meine berufliche Existenz gesichert. Aber nun begann meine Not. Denn ich hatte immer wieder große Schwierigkeiten im Unterricht, vor allem mit Jungen. Sie erkannten meine Autorität als Lehrer nicht an, rebellierten und versuchten laufend, meinen Unterricht zu stören. Jetzt rächte es sich, dass ich keine wirkliche Jugend gehabt hatte wie die meisten meiner Altersgenossen im Dorf. Als Fahrschüler ins weit entfernte Gymnasium und durch die tägliche Arbeit auf dem Bauernhof war ich der Dorfgemeinschaft und meinen Kumpeln aus der Volksschulklasse vollständig entfremdet worden. Ich musste mir jetzt schmerzlich eingestehen, dass ich meine Pubertät nie richtig durchlebt hatte. Daher konnte ich mich auch nicht so richtig in die Lage von Jungen in ihrer Pubertät einfühlen. Was wollten sie bloß von mir?

Heute ist mir vieles klar: Die Jungen suchten damals Stärke, Coolness, Humor und vor allem Orientierung und Anerkennung durch einen männlichen Lehrer. Sie wollten und brauchten für ihre Persönlichkeitsentwicklung einen »starken« Lehrer, an dem sie sich reiben konnten und der in der Lage war, ihnen Grenzen zu setzen. Doch was ist ein starker Lehrer? Offensichtlich strahlte ich diese Stärke überhaupt nicht aus. Die Jungs wollten testen, ob ich ihnen und ihrer geballten Jungen-Energie gewachsen war. Und sie waren bedürftig nach männlicher Energie und suchten Zuwendung, Klarheit und Kraft, um sich an mir als männlicher Bezugsperson auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden orientieren zu können. Das konnte ich ihnen aber aufgrund meiner eigenen Defizite nicht bieten und ihre starken Energien machten mir große Angst. Diesen war ich kaum gewachsen.

Den Jungs war es aber egal, woher ich kam und was ich fühlte. Sie hatten kein Verständnis für mein eigenes, mir selbst noch unbewusstes unterschwelliges Bedürfnis nach Zuwendung und Mitgefühl. Da dieses von meinem eigenen Vater nie wirklich gestillt worden war, suchte ich die Anerkennung fälschlicher Weise bei den Jungen in meinen Klassen. Verkehrte Welt! Wir waren also in unserem Bedürfnis nach männlicher Anerkennung und Zuwendung zu Konkurrenten geworden.

Das konnte nicht gut gehen und darum suchte ich schon bald nach Beginn meines Referendariats nach Hilfe: Zehn Jahre lang machte ich berufsbegleitend eine ambulante Psychotherapie – zunächst fünf Jahre lang als Einzeltherapie, später zusätzlich auch als Gruppentherapie und das zwei Mal pro Woche. So konnte ich viele Defizite aus meiner eigenen Jugendzeit erkennen und heilen. Das half mir sehr und ermöglichte es mir, in meinem Beruf stabil zu bleiben. Dennoch vermisste ich etwas Entscheidendes in meinem Beruf, aber ich konnte lange nicht wirklich sagen, was dies war.

Die Initiations-Thematik ändert alles

Dies änderte sich erst, als ich um die Jahrtausendwende auf die Initiations-Thematik stieß. In zwei Workshops mit dem afrikanischen Schamanen, Männer-Initiator und Buch-Autor Malidoma Patrice Somé 2001 und 2002 war ich ausschließlich mit Männern zusammen und konnte erleben, dass ich mit meinem Vaterkonflikt nicht alleine war. Fast alle waren auf der Suche nach sich selbst als Person, vor allem aber als Mann. In diesem Kreis von Männern fühlte ich mich angenommen und geborgen. Das war neu für mich und sehr wohltuend. Daher war ich anschließend auch drei Jahre lang Mitglied in einer Malidoma-Männer-Gruppe in München, die sich nach dem zweiten Workshop gebildet hatte.

Fast zeitgleich nahm ich an drei Visionssuchen in der Tradition der amerikanischen School of lost Borders teil, in den Jahren 2000, 2003 und 2007. Jedes dieser elementaren Rituale in der Natur dauerte 12 Tage. Der Kern davon war jeweils die sogenannte »Solozeit«, eine Auszeit von vier Tagen und Nächten ganz allein in der Natur ohne Essen, ohne Zelt und ohne alle Kommunikationsmittel wie dem Handy, unsichtbar für alle anderen Menschen. In diesen jeweils 100 Stunden Alleinsein in einer Art von »Anderswelt« war ich ganz auf mich gestellt und mit mir selbst konfrontiert, schmorte im eigenen Saft und stellte mir viele Lebensfragen. Die drei Visionssuchen halfen mir enorm dabei, meinen inneren Vaterkonflikt zu klären und als Mann nachzureifen.

Und plötzlich war mir klar, was mir selbst und meinen Jungs in der Schule die ganze Zeit gefehlt hatte: ein elementares Übergangsritual vom Jugendlichen ins Erwachsensein. Als ich im August 2007 von den Nockbergen in Kärnten herab zur Alm stieg, die das Basislager für unsere Visionssuche-Gruppe war, wusste ich, dass ich ab jetzt solch ein fundamentales Ritual auch meinen Schülern anbieten sollte. Doch zunächst wollte ich für mich selbst die Grundlagen dafür schaffen: Von 2007 bis 2009 machte ich die Fortbildung zum Initiations-Mentor und Jugend-Visionssuche-Leiter in der Tradition der School of lost Borders in einer Gruppe in Niederbayern.

Acht Jahre lang veranstaltete ich danach zusammen mit kleinen Leitungsteams das sogenannte WalkAway-Seminar für 15- bis 17-jährige Jugendliche, ein viertägiges erlebnispädagogisches Ritual in der Natur, eine Visionssuche für junge Menschen. Die Jugendlichen ließen sich darauf ein, nach einer zweitägigen Vorbereitung für 24 Stunden im Wald zu verschwinden und einen Tag und eine Nacht zu überstehen – ohne Essen, ohne Zelt und vor allem ohne ihr geliebtes Smartphone, unsichtbar für alle Menschen. Am vierten Tag frühmorgens standen die Eltern bereit, um ihre jugendlichen Kinder zu begrüßen. Im nahen Seminarzentrum konnte man dann jeweils für drei Stunden eine Stecknadel fallen hören, während die Jungen und Mädchen ihre ergreifenden Geschichten von allein da draußen in der wilden Natur erzählten.

Dieses Ritual hat den Jugendlichen enorm in ihrer Persönlichkeitsentwicklung geholfen – zu mehr Selbstbewusstsein, Selbständigkeit und Selbstverantwortung auf ihrem Weg hin ins Erwachsensein. Das Ritual hat nicht selten auch die ganze Familie verändert. 83 Mädchen und Jungen haben mit mir diesen WalkAway absolviert, zwei Drittel von ihnen waren Jungen. Die dabei gemachten Erfahrungen haben mich so angeregt und motiviert, dass ich schon 2009 anfing, darüber Bücher zu schreiben: »Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft« . Dieser Schreibfluss hielt an und hat mich sehr erfüllt. In das erst vor kurzem veröffentliche Buch »WalkAway – Jugendliche auf dem Weg zu sich selbst« ist die Essenz meiner Erfahrungen mit Initiationsritualen eingeflossen. Die Situation der Jungen stand dabei jedoch immer im Mittelpunkt. Zugleich dienten diese Bücher stets meiner Selbstreflexion und Befreiung meines eigenen Mann-Sein.

Nun hatte ich mein Lebensthema gefunden: Initiation. Das spürten wohl auch meine Schüler, denn nun wurde ich von den meisten von ihnen sehr geschätzt und anerkannt – als ihr männlicher Lehrer und für viele auch als eine Art Lebensbegleiter und Mentor, der sich gut in ihre Entwicklungssituation als Jugendliche einfühlen konnte. Als ich 2020 nach vierzig Jahren im Schuldienst verabschiedet wurde, galt ich bei Schülern und Kollegen als der respektierte »Mister WalkAway«, der stets sein eigenes Ding gedreht hatte. Als Supervisor versuche ich in meiner Pension, vor allem Lehrer in ihrem Beruf zu beraten zu bestärken. Als Autor sehe ich meine Aufgabe darin, im deutschsprachigen Raum für das Initiations-Thema zu werben und dieses mit heutiger Pädagogik zu verbinden.

Fundamentale Erkenntnisse

:: So viele Männer haben nie eine richtige Ablösung von den Eltern und eine Initiation in ihr eigenes Mann-Sein erlebt. Obwohl beruflich vielleicht erfolgreich, fühlen sie sich unruhig und haben Schwierigkeiten, ihren Mann in Familie und Gesellschaft zu stehen. Aus eigener Erfahrung möchte ich heutigen Männern zur Stärkung zweierlei empfehlen: eine Visionssuche zu machen und eine Männergruppe zu suchen.
:: Die von uns Europäern lange Zeit verachteten indigenen Völker hatten ein Urwissen bezüglich des Lebenskreises und der Lebensübergänge, das uns aufgeklärten, meist nur rational orientierten »Westlern« fehlt. Wir können gerade in der Initiations-Thematik viel von diesen traditionellen Völkern lernen, die ein noch elementares Wissen über das Leben und die Natur bewahrt haben.
:: Gerade die Jungen bedürfen einer besonderen gesellschaftlichen Beachtung. Im heutigen Schulsystem, das immer »weiblicher« ausgerichtet ist, gelten sie nicht selten als das »schwache Geschlecht«. Jungen sollten täglich mehrere Stunden lang be-vatert werden, um sich gut entwickeln zu können. Doch so oft sind die Väter – z.B. aus beruflichen Gründen – nicht da, sondern physisch und emotional »abwesende Väter«. Gerade männliche Lehrkräfte und Leiter von Sportgruppen haben hier eine enorme Aufgabe, den Jungen männliche Orientierung zu geben, ihnen Grenzen zu setzen und sie in ihrem Wesen liebend anzunehmen.
:: Mir ist aufgefallen, dass besonders in Deutschland die verantwortlichen Bildungsbehörden den Initiations-Begriff und geeignete Initiationsrituale wie den viertägigen WalkAway fürchten »wie der Teufel das Weihwasser«. Sie wollen mit dieser Thematik nichts zu tun haben und verweisen etwaige Initiativen vehement in den privaten Bereich. Doch hier lässt man gesellschaftlich und schulisch eine wichtige Aufgabe ungenutzt. Denn auch hierzulande sollen ja gerade die Jungen durch passende Rituale und Zeremonien den Übergang vom Junge-Sein ins Erwachsen-Sein bewältigen und erwachsen werden können. Sie brauchen solche Rituale. Vermutlich gibt es aber die folgende Problematik: Im deutschen Faschismus wurden germanische Rituale, Zeremonien und Symbole von der Nazi-Ideologie in übler Weise für rassistische und kriegerische Zwecke missbraucht. Daher fürchtet man heute womöglich, als Neonazi beschimpft zu werden, wenn man den Begriff »Initiationsritual« benutzt. Die WalkAway-Seminare, die ich angeboten haben, sind jedoch von den Initiationsritualen nordamerikanischer Indianerstämme, den »native americans«, beeinflusst und daher unberührt von faschistischen Ideologien.

 
 

 
 
 
 
 
:: Peter Maier, Jg. 1954, Gymnasiallehrer, Jugend-Initiations-Mentor, WalkAway-Leiter, Supervisor, Autor. Meine Bücher »Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft. Band I: Übergangsrituale« und »Band II: Heldenreisen« sowie »WalkAway – Jugendliche auf dem Weg zu sich selbst« sind als Print oder eBook hier erhältlich: www.initiation-erwachsenwerden.de und www.alternative-heilungswege.de; einen knappen Überblick über meine Arbeit gibt es auch in einem Flyer. Kontakt: info@initiation-erwachsenwerden.de.

Männer und Trauma

Ursachen, Reaktionen, Beispiele und weitere Informationen des Arbeitskreis MännerGesundheit Hamburg

Mann hinter verregneter Glasscheibe
Texte: Frank Omland, Sigurd Sedelies, Dr. Wolfgang John, Detlef Gause, Alexander Bentheim
Foto: Z2sam, photocase.de (Symbolbild)

 
Alle Menschen können traumatische Erlebnisse erfahren haben. Das öffentliche Bewusstsein zum Thema »Männer und Traumata« ist aber eher gering ausgeprägt. Das gilt auch für viele Männer persönlich: Sie wissen oft nicht, ob sie ihren Wahrnehmungen und Empfindungen trauen können und wie sie belastende Erlebnisse bewerten dürfen.

In der anhängenden Dokumentation haben wir zentrale Erkenntnisse zu Ursachen und Reaktionsweisen von Männern auf ein Trauma zusammengestellt, erläutern Traumata anhand von Fallbeispielen und informieren über Hilfeangebote. Unsere Erkenntnisse sollen betroffene Männer und deren Angehörige bei der Suche nach Wegen aus schwierigen Situationen unterstützen. Wir hoffen, dass das gelingt.

Die Informationen unseres Arbeitskreis MännerGesundheit Hamburg (2003-2019) wurden für die Dokumentation im Herbst 2023 sowie für die Website aktualisiert.

»Das meiste, was ich in der Jungenmedizin gelernt habe, habe ich durch die Jungen und jungen Männer gelernt.«

Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Bernhard Stier, Hamburg

verschmitzt schauender Junge

Interview: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Fotos: Alexander Bentheim

 
Was war dein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen-, Männer- und Väterthemen?
Ich stamme aus einem sehr empathischen, patriarchalisch geprägten Elternhaus mit klarer Rollenstruktur. Erst später, in der Auseinandersetzung mit meiner eigenen Vaterrolle und Partnerschaft, erkannte ich auch die »weichen« Seiten meines Vaters und die starke Rolle meiner Mutter, eine Familie mit 4 Kindern und allem, was dazugehört, zusammenzuhalten. Sie war es auch, die für das Thema »Gesundheit« zuständig war, einem Thema, welches mein Vater, zumindest für sich, völlig ausgeklammert hatte. Der Körper musste – vor allem auch in Bezug auf berufliche Anforderungen – »wie selbstverständlich« funktionieren.
Mein frühes Interesse für die Jugendmedizin, als Kinder- und Jugendarzt schon zu Klinikzeiten und später in eigener Praxis, lehrte mich die Erkenntnis, dass Jungen und junge Männer gegenüber Mädchen und jungen Frauen medizinisch und psychisch schlechter versorgt sind. Schnell wurde mir klar, dass dies zum einen mit der nach wie vor bestehenden Vorstellung von Männlichkeit zu tun hat (»Mann und krank geht gar nicht«), wie ich sie in meinem Elternhaus kennengelernt hatte. Zum anderen bestehen aber deutlich schlechtere Versorgungsstrukturen und medizinische Expertise – zumal, wenn scheinbar der Bedarf geringer ist, ausgedrückt etwa in verminderter Inanspruchnahme medizinischer Unterstützung. Im Laufe der Zeit sah ich viele Jungen und Männer mit Erkrankungen, die sich »rein zufällig« bei den Vorsorgeuntersuchungen ergaben und von ihnen »nicht bemerkt worden waren«. Allerdings folgte auch, je mehr ich mich mit »Jungenmedizin« – einem Begriff, den ich 2005 erstmals formulierte – beschäftigte und mir Kenntnisse erwarb, dass die Inanspruchnahme deutlich gesteigert und sehr dankbar aufgenommen wurde. Dies wiederum zeigte mir, dass ein Zuständigkeits- und Expertiseangebot sehr gut in der Lage ist, die medizinische und psychische Versorgungslage zu verbessern. Und dass es dadurch möglich ist, die Vorstellung von »Männlichkeit und Krankheit geht nicht zusammen« zu überwinden.
Im Jahr 2006 folgte daraufhin das erste Jugendmedizin-Lehrbuch (inzwischen in der 2. Auflage 2019) mit einem eigenen Jungenmedizinkapitel und 2013 das erste Handbuch zur Jungengesundheit.

Und dein politisch-thematischer Zugang?
Durch meine Tätigkeit im Netzwerk »Jungen- und Männergesundheit« lernte ich Männer kennen, die sich außerhalb des rein medizinischen Bereichs beruflich mit Jungengesundheit beschäftigen und vielfältige Expertise entwickelt haben. Gleichzeitig wurde mir umso mehr deutlich, dass hierbei in der medizinischen Versorgungsstruktur deutliche Defizite bestanden. Im Gegensatz zur Kinder- und Jugendgynäkologie gab es für Jungen und junge Männer keine vergleichbaren Strukturen und Zuständigkeiten. Als Konsequenz wurde ich zuständig für Jungenmedizin im Netzwerk »Männergesundheit« und war Mitbegründer der Fachgruppe »Jungenmedizin/Jungengesundheit« des Bundesforum Männer. Parallel dazu initiierte ich eine Beauftragung für Jungenmedizin und Jungengesundheit im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands e.V., dessen erster Beauftragter ich für diese Thematik wurde. Leider kam es bislang nicht zur Gründung einer interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft Jungenmedizin/Jungengesundheit – dieses Vorhaben ist aber nicht aufgegeben.

Welche sind heute deine zentralen Themen in der Beschäftigung mit Jungen und Männern?
Neben der Jugendmedizin und darin dem speziellen Lebensabschnitt »Pubertät« ist nach wie vor mein zentrales Thema die Verbesserung der medizinischen Expertise und Versorgungsstruktur für Jungen und junge Männer. Dabei sah und sehe ich einerseits meine Aufgabe darin, in zahlreichen Kapiteln zur Jungenmedizin in pädiatrischen Lehrbüchern sowie in vielfältigen Artikeln zu unterschiedlichen jungenmedizinischen Themen in medizinischen Fachzeitschriften im In- und Ausland die jungenmedizinische Expertise zu verbreiten und »in die Fläche« zu bringen. Andererseits helfe ich durch Vorträge und Seminare, das Interesse zum jungenmedizinischen Handeln zu fördern und damit die konkreten Versorgungsstrukturen zu verbessern.
Das meiste, was ich in der Jungenmedizin gelernt habe, habe ich durch die Jungen und jungen Männer, die meinen medizinischen Rat suchten und suchen, gelernt. So ist meine feste Überzeugung, dass es der beste Weg ist, über das Interesse für dieses Gebiet zum Handeln zu kommen. Die Jungen und jungen Männer danken es einem vielfältig!

Wie hat sich dein Engagement für Jungen, Männer und/oder Väter entwickelt, ggf. verändert?
Das Interesse und die Beschäftigung mit jungenmedizinischen Themen hat sich etwas in Richtung der Thematik »Jungengesundheit« verlagert, ganz im Sinne des Begründers der Salutogenese, dem amerikanisch-israelischen Gesundheitswissenschaftler Aaron Antonovsky (1923–1994), der diese als Gegenbegriff zur Pathogenese eingeführt und in einem komplexen Modell ausformuliert hat. In diesem Zusammenhang sehe ich den Wandel der »Männlichkeit« im Laufe des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts als eines der zentralen Themen an. Das Ringen der Geschlechter um ihre gleichberechtigte Rolle und Verantwortung in unserer Gesellschaft ist nach wie vor geprägt von Verlustangst und Niederlagen. Dabei zeigen sich – während ich diese Zeilen schreibe – z.T. in verheerender Weise die »Fliehkräfte« des Rückschritts in eigentlich überkommen geglaubte Männlichkeitsstrukturen. Und doch hoffe ich, dass sich die Errungenschaften eines gleichberechtigt lernendenden Miteinanders der Geschlechter nicht mehr aufhalten lassen. Jeder und Jede ist dabei gefragt!

Das für dich nachhaltigste gesellschaftliche oder historische Ereignis – auch im Kontext deiner Arbeit?
Der Fall der »Berliner« Mauer und die Wiedervereinigung war und ist für mich das nachhaltigste Ereignis. Es hat wieder einmal bewiesen, dass (a) alles seine Zeit hat, (b) der Glaube an und der Einsatz für etwas, an das man glaubt, selbst wenn es noch so unwahrscheinlich ist, Erfolg haben kann, (c) Hartnäckigkeit und ein langer Atem – und nicht Mutlosigkeit und Verzweiflung – gefragt sind, und (d) letztlich nicht die Attribute »Feuer und Schwert«, sondern gegenseitiges »Verständnis und Demut« den Erfolg möglich machen. Das gilt gleichermaßen auch für das geeinte Europa – insbesondere das deutsch-französische Verhältnis.

Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deinen privaten und beruflichen Haltungen und Beziehungen?
Durch meine, nun schon seit über zwanzig Jahren währende, Beschäftigung mit der Jungenmedizin und Jungengesundheit hat sich auch meine persönliche Einstellung sehr geändert. So ist Gesundheit für mich nicht mehr selbstverständlich gegeben, sondern erfordert ein Kümmern. Krankheit ist für mich keine Niederlage, kein Manko, kein Stigma, sondern eine Herausforderung, die es entweder zu bewältigen oder anzunehmen gilt. So bin ich im beruflichen wie auch im privaten Leben langsam vom Kämpfer (Typ »lonesome cowboy«) zum Vor- und Nachdenker geworden. Dabei denke ich auch viel über meine Männlichkeitsprägung nach, wohlwissend, dass sich nicht alles so einfach über Bord werfen lässt. Diese Erkenntnisse versuche ich auch an meine Söhne und männlichen Enkel weiterzugeben bzw. sie mit ihnen zu teilen.

Drei Eigenschaften, die dich in deiner Arbeit und Beziehungen zu anderen ausmachen?
Toleranz, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein.

Was ist für dich »Erfolg« in deiner Auseinandersetzung mit Jungen-, Männer- und Väterthemen? Hast du Beispiele?
Ja, einige. Zum Beispiel, dass die »Jungs« kommen und bei mir Rat suchen; dass Eltern sich an mich wenden, wenn es mit speziellen Jungen-Themen Probleme gibt. Auch dass Kolleg*innen meine Expertise anfragen und ich mit meinem Anliegen das Bewusstsein für Jungenmedizin und Jungengesundheit voranbringe, auch immer wieder gehört und gefragt werde, das ist für mich Erfolg. Ich hoffe sehr, dass das bald auch mein*e Nachfolger*in im BVKJ sagen kann – nichts ist unendlich!

Was gibt dir persönlich Sinn und Erfüllung in deinen beruflichen und privaten Beziehungen?
Eine von Liebe und gegenseitigem Verständnis geprägte Beziehung, eine große und empathische Familie, langjährige Freundschaften, gemeinsame Aktivitäten und geistige Herausforderungen »am Puls der Zeit«. Und nach wie vor meine jungenmedizinische Expertise »an den Mann und die Frau« bringen zu können. Das gilt auch für mein privates Umfeld mit zwei Söhnen und fünf männlichen Enkeln.

Was ist dir (mit) gelungen, worauf bist du (zusammen mit anderen) vielleicht auch stolz?
Dass die »Jungenmedizin« inzwischen zu einem feststehenden Begriff geworden ist und zunehmend mehr in den Fokus genommen wird. Allerdings ist eine gleichwertige medizinische Versorgung der Geschlechter noch (lange) nicht erreicht. Dranbleiben ist die Devise.

Mit welchen Institutionen und Personen warst du gerne beruflich oder privat verbunden oder bist es noch?
Hier ist als erstes meine seit 35 Jahren bestehende Ausbildungstätigkeit in pädiatrischer Ultraschalldiagnostik zu nennen. Dieses seither bestehende Team aus fünf Männern stellt für mich den Idealtypus einer intensiv gelebten Männerfreundschaft dar. Diese Freundschaften haben mir sehr viele Erkenntnisse auch zur »Männergesundheit« geliefert und sind auch eine wesentliche Basis meiner beruflichen Tätigkeit. In diesem Zusammenhang ist mir auch die Verbreitung und Ausbildung sonografischer Expertise in der Jungenmedizin, und generell in der Kinder- und Jugendgynäkologie, bei jungen Kolleg*innen ein wichtiges Anliegen.
Das Netzwerk »Jungen und Männergesundheit«, allen voran Gunter Neubauer und Reinhard Winter, war(en) und sind immer noch wichtige Ideengeber, um mit meinen jungenmedizinischen Themen über den Tellerrand zu schauen.
Meine Tätigkeit im BVKJ e.V. und meine interdisziplinären Symposien zur Jungenmedizin bei den DGKJ-Kongressen – zusammen mit Maximilian Stehr, Wolfgang Bühmann und Manfred Endres.
Last but not least Alexander Bentheim, mit dem sich immer wieder trefflich über diese Themen diskutieren lässt.

Was hat die Männer/* ausgemacht, mit denen du gerne zusammengearbeitet oder Zeit verbracht hast?
Die Zusammenarbeit hat mir – neben fachlichem Input – vor allem die vielfältigen Seiten des »Mannseins« immer wieder deutlich gemacht. Man ist nicht nur einfach Mann, sondern hat vielfältige, auch für die soziale Gemeinschaft wertvolle Facetten, die es weiterzuentwickeln gilt. Es ist schön, ein Mann zu sein, aber auch immer wieder Aufgabe und Herausforderung. Diese Facetten haben mir diese Männer in unterschiedlicher Art in zahlreichen Gesprächen und Diskussionen, aber auch und gerade im Beisammensein und gemeinsamen Erleben, z.B. bei Segeltörns, nahegebracht.

Hast du eine Lebensphilosophie, ggf. ein Lebensmoto?
»Solange wir das Leben haben, sollen wir es mit den uns eigenen Farben der Liebe und der Hoffnung malen« (Marc Chagall).

Wo siehst du Brüche in deinen beruflichen oder freundschaftlichen Beziehungen? Wodurch wurden diese verursacht?
Im »Alpha-Tier«-Gehabe, welches auch ich zeitweilig gelebt habe. Aber das Alter macht milde und nachdenklicher. Ich versuche, diese Nachdenklichkeit, Milde und Toleranz auch meinen Söhnen und Enkeln zu vermitteln – eine nicht immer leichte Aufgabe.

Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstände gegen dein Verständnis vom Umgang mit Jungen- und Männerthemen?
»Zwei Dinge pflegen den Fortschritt der Medizin aufzuhalten: Autoritäten und Systeme« (Rudolf Virchow). Das musste ich leider immer wieder erfahren in meinem Begehren, die Jungenmedizin und Jungengesundheit voranzubringen.

Was treibt dich – trotz manchmal widriger Umstände – weiter in deinem Engagement an?
Dass eine medizinische Gleichberechtigung und gute gesundheitliche Versorgung, unabhängig vom Geschlecht, noch (lange) nicht erreicht ist. Meine Veröffentlichungen, Seminare und Vorträge sollen entsprechend auch dabei helfen, die hegemoniale Männlichkeit zu überwinden.

Welches Projekt würdest du gerne noch umsetzen, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Und was möchtest du gegen Ende deines Lebens erreicht haben?
Eine interdisziplinäre AG-Jungenmedizin/ Jungengesundheit.

Eine nicht gestellte Frage, die du aber dennoch gerne beantworten möchtest?
Die Frage fällt mir gerade nicht ein, aber die Antwort wäre: »Die stärkste Musik ist die, die man macht, weil man sie mit anderen teilen will.« (Herbie Hancock)

 

 
 
 
 
 
 
:: Bernhard Stier, Arzt, Autor, Referent zu den Schwerpunktthemen Jungengesundheit, Pubertät, Jungen- und Jugendmedizin, Sonografie, lebhaft in Hamburg. Mehr zu mir gibt’s hier.

»Mich ermutigt immer wieder, wieviel Wertschätzung wir von Menschen bekommen, weil sie sich endlich gesehen und anerkannt fühlen.«

Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Rainer Ulfers, Hamburg

Geschminkter Mann mit intensivem Blick

Interview: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Fotos: norndara, photocase.de | privat

 
Vorweg: Jungen* und Männer* sind sehr verschieden und längst nicht alle Menschen definieren sich als männlich oder weiblich. Ich verwende das Sternchen* hinter Jungen* und Männer*, um diese Vielfalt abzubilden. Ich lasse das * weg, wenn ich mich explizit auf das tradierte Jungen- und Männerbild beziehe.

Was war oder ist dein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen- und Männerthemen? Was dein politisch-thematischer Zugang?
Mein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen*- und Männer*themen lässt sich von meinem politisch-thematischen Zugang (wie sicherlich bei vielen) nicht trennen. Schon zu Beginn der Schulzeit hatte ich das Gefühl, den Anforderungen der Außenwelt, wie ein Junge zu sein hat, nicht gerecht werden zu können oder zu wollen. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schwulsein hat mir dann neue Möglichkeiten aufgezeigt, Mann*sein anders zu definieren. Gleichzeitig war die Konfrontation mit heteronormativer Männlichkeit oft schmerzhaft oder zumindest herausfordernd.
Während des Studiums der Sozialen Arbeit und meines wachsenden sozial- und gesellschaftspolitischen Bewusstseins und Engagements konnte ich meine vorher vorwiegend subjektiven Erfahrungen erweitern und einordnen. Hierbei danke ich insbesondere auch einigen mitstudierenden Freundinnen. Durch ihre feministischen Positionierungen wurde mir letztendlich klar, dass wir Männ*lichkeiten nicht unabhängig von der Situation von Frauen* in der Gesellschaft diskutieren können. In dieser Zeit, in den 1980er Jahren, gründeten wir auch eine erste Männer*gruppe.

Welche waren damals und sind heute deine zentralen Themen in der Beschäftigung mit Jungen und Männern?
Ich bin 1993 mit meinem Mann nach Hamburg gezogen und hatte das Glück, eine Stelle in der gerade gegründeten Anlaufstelle für Straßenkinder (KIDS) des Trägers basis & woge e.V. zu bekommen. Die Anlaufstelle startete mit einem Konzept niedrigschwelliger und lebensweltorientierter Sozialarbeit und hier begegnete ich Jungen* (zwischen 12 und 16 Jahren) aus der Bahnhofsszene, die dort Kontakte zu Pädosexuellen hatten, bei ihnen übernachteten oder teilweise mit ihnen lebten.
Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich stark mit dem Thema Jungen* und sexualisierte Gewalt beschäftigt, und dieses Thema nicht wieder losgelassen. Es hat letztendlich dazu geführt, dass ich im Jahr 2010 die Beratungsstelle basis-praevent (Beratung für Jungen* und Männer* bei sexualisierter Gewalt) mit meinem Kollegen Clemens Fobian aufgebaut habe. Zwischen der Zeit im KIDS und der Gründung von basis-praevent habe ich noch viele Jahre in einer Anlaufstelle für männ*liche Sexworker (beim gleichen Träger) gearbeitet. Auch diese vielfältige und gleichzeitig vulnerable Zielgruppe hat mich sehr geprägt und mich mit den verschiedensten Modellen von Männ*lichkeiten konfrontiert. Insbesondere hat mich beeindruckt, dass dieses Klientel trotz diverser Problematiken wie Drogengebrauch, gesundheitlichen Gefährdungen durch HIV-Infektion, Wohnungslosigkeit, Mehrfachdiskriminierungen aufgrund von Prostitution und/oder ihrer Herkunft (viele waren bulgarische/rumänische Roma) gleichzeitig viele Ressourcen und Bewältigungsstrategien hatten, die insbesondere durch die akzeptierende und wertschätzende Haltung von den Mitarbeitenden zum Tragen kamen.

Wie hat sich dein Engagement für Jungen und Männer entwickelt, ggf. verändert?
In allen drei Arbeitsbereichen/Einrichtungen habe ich immer sehr von Netzwerkarbeit profitiert; die Auseinandersetzung mit Kolleg*innen in ähnlichen Arbeitsfeldern, das Entwickeln gemeinsamer Positionen und die Sichtbarmachung von gesellschaftlichen Missständen waren dabei handlungsleitend.
Ein Meilenstein in meiner Auseinandersetzung über Männ*lichkeiten war meine Weiterbildung in antisexistischer Jungenarbeit in der Heimvolkshochschule Frille bei Franz Gerd Ottemeier-Glücks.
Ebenso war die Notwendigkeit wichtig, sich sowohl direkt als auch theoretisch mit den speziellen Fragestellungen von Jungen*/Männern* zu befassen, die von sexualisierter Gewalt betroffen waren, und hierbei vor allem den besonderen Herausforderungen für männ*liche Betroffene aufgrund prägender Geschlechterbilder.

Das für dich nachhaltigste gesellschaftliche/historische Ereignis – auch im Kontext deiner Arbeit?
Die Welle der aufgedeckten Fälle sexualisierter Gewalt in Institutionen (Katholische Kirche, Odenwaldschule etc.) ab 2010 war prägend, insbesondere auch, weil hier hauptsächlich männ*liche Betroffene waren, die vorher nicht oder kaum sichtbar waren. Alle Männer*, die 2010 an die Öffentlichkeit gingen, haben vielen anderen Mut gemacht, sich Unterstützung zu holen.

Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deinen privaten und/oder beruflichen Beziehungen?
Hier gibt es nicht nur eine wichtige Erfahrung, aber eine war sicher mein Coming-Out. Die Weiterentwicklung in der Partnerschaft und die gemeinsame Auseinandersetzung und Positionierung gegenüber Familie, Umwelt und im Beruf haben mein weiteres Handeln stark beeinflusst.
Dann bestärkt mich immer wieder in der Arbeit das mir entgegengebrachte Vertrauen und der Mut der von sexualisierter Gewalt betroffenen Jungen* und Männern*. Besonders im jährlichen bundesweiten Netzwerktreffen der Fachberatungsstellen zu sexualisierter Gewalt, die mit Jungen* und Männern* arbeiten, wird mir dabei auch immer wieder deutlich, wie wichtig die Reflexion der eigenen biografischen Erfahrungen für unsere Arbeit ist.
2022 habe ich eine angeleitete Selbsthilfegruppe für betroffene Männer* gestartet. Hier hat mich der Mut und die Offenheit der Teilnehmenden bei all ihrer Unterschiedlichkeit begeistert. Dabei wurde noch einmal deutlich, wieviel Kraft es Männern*gibt, zu merken, dass sie nicht die einzigen sind.

Eigenschaften, die dich in deiner Arbeit und Beziehungen zu anderen ausmachen?
Empathie, Neugier, Solidarität, Verlässlichkeit und Eigeninitiative in Zusammenarbeit mit anderen.

Was ist für dich »Erfolg« in deiner Auseinandersetzung mit Jungen- und Männerthemen? Hast du Beispiele?
Vielen Jungen*/Männern* fällt es aufgrund zugeschriebener Rollenbilder und -erwartungen schwer, sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Für mich ist es ein Erfolg, wenn sie bei uns die Erfahrung machen, dass es kein Eingeständnis von Schwäche, sondern eine Stärke ist, sich an eine Beratungsstelle zu wenden. Ein weiterer »Erfolg« ist es, wenn es uns in der Begleitung von Betroffenen gelingt, dass diese sich auch nach vielen schmerzhaften Jahren der eigenen Vergangenheit stellen und feststellen, dass sie ihre oftmals belastende Lebenssituation verändern können.
Ein grundsätzlicher Erfolg ist es, zu sehen, dass die Ratsuchenden durch den parteilichen Ansatz in der Arbeit bestärkt (empowert) werden und dadurch mehr die Möglichkeiten und Chancen sehen, eigenes exploratives Verhalten zu nutzen.

Was gibt dir persönlich Sinn und Erfüllung in deinen beruflichen und privaten Beziehungen?
Ein großes Glück ist es, viele meiner persönlichen Themen bei diesem Träger miteinfließen zu lassen. Das betrifft u.a. alle Fragen rund um Gender, sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identität, Antidiskriminierung etc., und dass diese Themen nicht nur im Kontext von Beratung, sondern auch von Netzwerkarbeit und gesellschaftlicher Auseinandersetzung bearbeitet werden können (das Persönliche ist politisch).

Was ist dir (mit) gelungen, worauf bist du (zusammen mit anderen) vielleicht auch stolz?
Der Aufbau der Fachberatungsstelle basis-praevent und das Durchhaltevermögen von meinem Kollegen und mir bei unsicherer Finanzierung und bei gleichzeitig immer größerer Nachfrage hat uns bestärkt, weiterzumachen und die Beratungsstelle und uns selbst ständig weiterzuentwickeln (auch wenn die Beratung erwachsener betroffener Männer* auch nach 13 Jahren, Stand 2023, immer noch nicht finanziell gesichert ist).

Mit welchen Institutionen und Personen warst du gerne beruflich oder privat verbunden oder bist es noch?
Zuallererst möchte ich meinen Mann nennen, der mich immer bestärkt hat, die beruflichen Herausforderungen anzunehmen, und der sich immer für eine kritische Reflexion meines eigenen Tuns und Handelns zur Verfügung gestellt hat.
Im beruflichen Kontext waren und sind dies insbesondere die Menschen, die sich kritisch mit Männ*lichkeiten und Geschlechterfragen auseinandersetzen wollten/wollen, die über den Tellerrand gucken und – über die alltägliche Arbeit hinaus – Themen wie z.B. »Menschen mit Flucht oder Rassismuserfahrungen« oder »Intersektionalität« mitdenken.
Eine besondere Qualität hatte und hat die Zusammenarbeit mit meinem Kollegen Clemens Fobian, mit dem ich 2010 gestartet bin, das Konzept einer Beratungsstelle für männ*liche Betroffene sexualisierter Gewalt umzusetzen und weiterzuentwickeln. Über 13 Jahre in dieser Zweierkonstellation vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, Standards weiterzuentwickeln und dabei immer wieder Ideen für Veränderung Raum zu geben, hat für mich einen besonderen Wert.

Was hat die Männer/* ausgemacht, mit denen du gerne zusammengearbeitet oder Zeit verbracht hast?
Lust auf eigene und gesellschaftliche Veränderungen.

Wo siehst du Brüche in deinen beruflichen oder freundschaftlichen Beziehungen? Wodurch wurden diese verursacht?
Ich bin mir unsicher, ob ich das Wort »Bruch« benutzen würde, aber ein wichtiger und nachhaltiger Einschnitt war mein eigenes Coming Out, was sich sowohl auf privater als auch beruflicher Ebene ausgewirkt hat, und dabei das Glück zu haben, dieses in einer fast 40-jährigen Partnerschaft mit meinem Mann auf vielen Ebenen gemeinsam zu bewältigen; dazu gehört auch der Weg vom Dorf in die Großstadt, die Auseinandersetzung in der Schwulenszene in den 1980er Jahren mit AIDS und damit auch mit dem Tod von Freunden.

Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstände gegen dein Verständnis vom Umgang mit Jungen- und Männerthemen?
Im Widerstand von Teilen der Gesellschaft, aber auch einzelner Individuen, stereotype Rollenbilder und -klischees in Frage zu stellen, andere sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten anzuerkennen, so also etwa in der Queerfeindlichkeit oder in aggressiven Genderdebatten. Diese Widerstände machen es jeder neuen Generation von Kindern schwer, sich ausprobieren zu können und ihre jeweils eigene Identität so zu entwickeln, dass sie nicht Abwertung und Ausgrenzung erleben, dass sie nicht unter dem Korsett gesellschaftlicher Erwartungen leiden, sondern sich zu selbständigen und selbstbewussten Menschen entwickeln können. In Bezug auf sexualisierte Gewalt sehe ich hier auch eine präventive Chance, weil ein solches gesellschaftlich verändertes Bewusstsein (in meiner Vorstellung) dazu führen würde, dass diese veränderte Gesellschaft weniger Täter*innen als auch Betroffene »produzieren« würde (mehr Verhältnisprävention statt Verhaltensprävention).

Was treibt dich – trotz manchmal widriger Umstände – weiter in deiner Arbeit an?
Mit anderen zu erkennen, welch positiver Gewinn es ist, sich mit Männ*lichkeiten auseinanderzusetzen und somit einerseits sich der Unterdrückung von Mädchen*/Frauen* und LGBTI+ Personen zu widersetzen und andererseits als Mann* zu erkennen, welcher Gewinn es ist, aus diesem engen Rollenkorsett der Männ*lichkeiten rauszuschlüpfen und für sich eigene Wege zu entdecken.
Auch viele Männer* sind Verlierer patriarchaler Strukturen, so ist z.B. die Suizid-Rate bei Männern* sehr hoch oder auch haben viele Jungen* und Männer* aufgrund von eigenen oder zugeschriebenen Rollenbildern Probleme, Hilfen in Anspruch zu nehmen.
Mich ermutigt immer wieder, wieviel Wertschätzung wir von Menschen bekommen, weil sie sich endlich gesehen und anerkannt fühlen, und wie viele Impulse wir gerade unter dem Ansatz der parteilichen Arbeit setzen können.

Welches Projekt würdest du gerne noch umsetzen, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Und was möchtest du gegen Ende deines Lebens erreicht haben?
Diese Frage beantworte ich mir vielleicht, wenn ich im September 2024 mein Renteneintrittsalter erreicht habe.

Eine nicht gestellte Frage, die du aber dennoch gerne beantworten möchtest?
Zu Beginn meines Studiums 1979 hatte ich das Gefühl, dass die Gesellschaft im Auf- und Umbruch ist (gerade nach dem Mief und der Verdrängung der Nachkriegszeit). Es gab die großen Emanzipationsbewegungen und ich dachte, es gibt kein Zurück mehr. Jetzt erleben wir auf vielen Ebenen ein Rollback: immer mehr rechtes Gedankengut auch in der Mitte der Gesellschaft, Verschwörungsdenken, Spaltung der Gesellschaft, Queerfeindlichkeit, dass schon ein Gendersternchen Menschen aggressiv machen kann, und plötzlich gibt es in Buchhandlungen wieder verstärkt Aufteilungen nach rosa Mädchenbüchern und blauen Jungenbüchern … Die nicht gestellte Frage wäre also: Warum ist das so? Sehen die Menschen nicht die Vorteile einer offeneren Gesellschaft? Die Antwort überlasse ich aber anderen!

 

 
 
 
 
 
:: Rainer Ulfers, Jg. 1958, Dipl.-Sozialpädagoge und Trauma-Fachberater, wohnt in Hamburg und ist seit 1993 tätig bei basis & woge e.V.