Männliche Teilnehmer für sprachtherapeutische Studie gesucht

Untersuchung zur Entwicklung diagnostischer Verfahren in einfacher Sprache und über visuelle Mittel für Menschen mit Sprachproblemen.

ein Mann mit Sonnenbrille sitzt an einem Computer

Text: Alexander Bentheim (Redaktion)
Foto: Mikhail Nilov, pexels.com


Für eine Promotion im Bereich der Sprachtherapie und Psychologie an der Universität Bielefeld führt Louise Nagel-Held aktuell eine Studie zur Erfassung negativer Befindlichkeiten durch, für die sie dringend noch sprachlich gesunde männliche Teilnehmer sucht, weil aktuell ein sehr großes Ungleichgewicht hinsichtlich der Geschlechterverteilung innerhalb der Stichprobe vorliegt. Zum Verständnis und Hintergrund: eine Beeinträchtigung der sprachlichen Gesundheit bezieht sich auf Störungen, die beispielsweise durch einen Schlaganfall ausgelöst werden können und dann z.B. die Wortfindung und/oder das Sprachverständnis betreffen. Stottern, lispeln, Aussprachestörungen etc. gehören ausdrücklich nicht dazu! Insofern kann fast jeder Mann an der Studie teilnehmen; als Teilnahmevoraussetzungen gelten nur Deutsch als Erst-/Muttersprache und ein Mindestalter von 16 Jahren.

Es handelt sich um eine Vorstudie zur Entwicklung diagnostischer Verfahren in einfacher Sprache oder über visuelle Mittel für Menschen mit Sprachproblemen, zum Beispiel im Rahmen einer Aphasie nach Schlaganfall. Die an der Befragung Teilnehmenden können dabei helfen, ein zuverlässiges Verfahren zu entwickeln, mit dessen Hilfe Menschen mit einer Sprachstörung (Aphasie) zu ihrer Befindlichkeit befragt werden können. In der Studie wird untersucht, inwiefern der Fragebogen zur Patientengesundheit (Patient Health Questionnaire PHQ) mit einer sprachlich vereinfachten Version desselben Fragebogens vergleichbar ist. Außerdem wird untersucht, inwiefern Zeichnungen die Symptome einer depressiven Verstimmung messen können.

Die Umfrage kann online ausgefüllt werden, dauert ungefähr 10-15 Minuten und erfolgt anonym. Die Studie ist leider nur auf einem Computer/Tablet durchführbar, weil die Antwortmöglichkeiten auf Mobilgeräten teilweise nicht mehr richtig zugeordnet sind.

Weitere Infos und einen Kontakt für Rückfragen gibt es im Vortext zur online-Befragung, die bis einschließlich 26. Mai hier abrufbar ist:

https://ww3.unipark.de/uc/nagel-held_Universit__t_Bielefel/dcd9/

Der junge Mann und der alte Schwede

Eine Liebe im Abendlicht.

junger Mann umarmt am Elbstrand einen Felsbrocken

Text und Foto: Alexander Bentheim
Reihe »Bilder und ihre Geschichte«


Arne war zu Besuch in Hamburg. Arne ist mein mittlerweile erwachsenes Patenkind. Und Arne ist Boulderer. Klettert gerne auf alles, was Kanten, Ecken, Vorsprünge und Nischen hat, damit die Hand Grip und der Fuß Halt hat. Am Hamburger Elbstrand bei Oevelgönne liegt ein großer Granitstein, der alte Schwede, eine echte Herausforderung für alle, die es mit ihm aufnehmen wollen!
Eher zufällig kamen wir dort vorbei, Arnes Augen leuchteten und er checkte den Schweden von allen Seiten nach möglichen Aufstiegspunkten. Ohne aber passende Schuhe, Magnesium und zu schon vorgerückter Stunde blieb es bei einer Umarmung. Vielleicht gibt es mal ein Wiedersehen der beiden.



Mehr aus der Reihe »Bilder und ihre Geschichte« gibt’s im Archiv.

An einem Morgen im Frühling

Lars und Tim albern auf dem Dach herum, Nicole fotografiert.

zwei lachende Männer

Text: Alexander Bentheim
Foto: Nicole | Tim Trzoska
Reihe »Bilder und ihre Geschichte«


Ich mag dieses Bild. Sehr. Als Kollege bei der Bildagentur photocase, die es seit Ende letzten Jahres nicht mehr gibt (aber das ist eine andere Geschichte) hatte Tim dort viele feinste Bilder, meist schwarzweiß, Berliner Hinterhöfe zum Beispiel oder Menschen in seiner Gegend oder Detailaufnahmen in Lost Places oder einfach nur er zusammen mit seinem Kater.
Zum Bild für diese Reihe schrieb Tim: »Klar möchte das Foto gezeigt werden … Das sind Lars und ich nach ner Flasche Rotwein auf dem Dach beim ersten schönen Tag im Frühling. Fotografiert hat das meine Freundin Nicole. Liebe Grüße«.
Kurz und knapp, das war’s. Gerne hätte ich mehr erfahren zu dieser Freundschaft, die eine so selbstverständliche Leichtigkeit und vertraute Nähe zu begleiten scheint. Aber zwei Nachfragen blieben bis heute unbeantwortet, vielleicht ein abgeschmierter Rechner, eine lange Reise, eine neue Adresse – wer weiß … Danke Tim, Nicole und Lars für das Teilen dieses Moments!

Mehr von Tim gibt es hier, samt einer schönen Beschreibung seiner Arbeiten durch Angela Obst auch hier sowie in seinem YouTube-Kanal.


Und mehr aus der Reihe »Bilder und ihre Geschichte« ist im Archiv zu finden.

Schraube locker

Wenn das erste Abenteuer schon kurz nach Reisebeginn im Motorraum stattfindet.

zwei Männer an der Motorklappe eines Autos

Text und Foto: Alexander Bentheim
Reihe »Bilder und ihre Geschichte«


Drei junge Abenteurer auf Tour durch Dänemark, September 1976. Schon am dritten Morgen liegengeblieben auf einem Feldweg, nachdem der alte Käfer nachts zuvor aus einem Graben gehievt werden musste, weil ein Wendemanöver im Dunkeln misslang. Jao, Handbuch vergessen und kaum Werkzeug dabei, also jetzt irgendwie anders durchblicken, Problem kapieren, rettende Idee finden … Ich weiß nicht mehr, wie wir es hingekriegt haben, aber mittags ging es weiter, sicherheitshalber nur bis zur nächsten Werkstatt.
Der eine wurde später Urologe, der andere Veranstaltungsmanager – Jobs, in denen Konzentration, Geduld und Übersicht ebenfalls klar von Vorteil sind.



Mehr aus der Reihe »Bilder und ihre Geschichte« gibt’s im Archiv.

»Besser spät als nie und lieber erst einmal wenig als gar nichts.«

Hamburger Initiative für eine Schutzunterkunft für Männer und nicht-binäre Menschen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind

Mann an einer Wand von hinten fotografiert

Text: Alexander Bentheim (Redaktion)
Foto: froodmat, photocase.de


Wichtiger Impuls: die Hamburger GRÜNEN haben es geschafft, Gelder für eine Schutzwohnung für Männer und nicht-binäre Menschen im Haushalt 2025/26 bereitzustellen. Für die Umsetzung eines geplant zweijährigen Modellprojektes mit drei Schutzplätzen wird die Sozialbehörde zuständig sein, voraussichtlich wird es eine Ausschreibung geben, auf die sich Träger bewerben können. Wie Adrian Hector, Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft und Sprecher für geschlechtliche Vielfalt bei den GRÜNEN, in seinem Instagram-Kanal mitteilt, wird zugleich das Beratungsangebot für Jungen und Männer gestärkt, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. »Mehr als jedes vierte Opfer häuslicher Gewalt ist männlich: In absoluten Zahlen waren dies laut BKA-Bundeslagebild zur häuslichen Gewalt 28,9 Prozent im Jahr 2022. Insgesamt zeigten 69.471 Männer im Jahr 2022 eine erlebte Gewalttat im Bereich Partnerschaftsgewalt oder innerfamiliäre Gewalt an«, so Hector, und ergänzt: »Auch von Menschenhandel betroffene Männer und nicht-binäre Personen bedürfen des Schutzes«. Insgesamt gibt es nur wenige Schutzeinrichtungen für von Häuslicher Gewalt betroffene männliche Personen im Bundesgebiet (eine stets aktuelle Gesamtübersicht gibt es von der Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz) und in Hamburg fehlt bislang eine solche Schutzeinrichtung, sodass sich Schutzsuchende an Einrichtungen in anderen Bundesländern wenden müssen. Dem GRÜNEN-Vorhaben ist also maximaler Erfolg zu wünschen!

Schnelle Jungs

Wie aus Kübeln von jetzt auf gleich …

Menschen laufen vor einem Platzregen davon

Text und Foto: Alexander Bentheim
Reihe »Bilder und ihre Geschichte«


Es ist ein schöner sommerlicher Frühabend mit Freunden im empfehlenswerten Hamburger Bodhi an der Kreuzung Borgweg-Wiesendamm. Wir warten gerade draußen vor der Tür, bis der letzte drinnen bezahlt hat. Sekunden später kübelt es los, niemand hat Regensachen dabei. Wir auch nicht, aber wir stehen im überdachten Eingangsbereich des Bodhi, trocken. Nur die Frau mit dem Lastenrad scheint sich informiert zu haben, was heute noch passieren könnte. Also warten, schauen, nach 10 Minuten ist der Spuk vorbei, und so richtig überschwemmt ist auch kaum etwas nichts. Lokaler Starkregen heißt das aber seit einiger Zeit, und es wird nicht der letzte bleiben …



Mehr aus der Reihe »Bilder und ihre Geschichte« im Archiv.

Die Stimmung zuweilen gelöst

Mit Anzug und Krawatte in die Hochschule

Studenten 1950er Jahre im Hörsaal

Text und Foto: Georg Schierling
Reihe »Bilder und ihre Geschichte«


Studenten der Universität in Köln (Studentinnen gab es noch keine!), Klassenzimmer Anfang der 1950er Jahre: schwarze Schultafel mit Kreide, die Tische angeschrägt, die Stimmung zuweilen gelöst. Dahinter die Garderobe: manche Herren kamen mit Hut zum Unterricht, etliche von ihnen in Anzug und Krawatte. Einer von ihnen: mein Vater. Studiengang: Heizungsingenieur.

Mehr Bilder von Georg gibt es hier.


Und mehr aus der Reihe »Bilder und ihre Geschichte« gibt’s im Archiv.

»Der Beitrag der LSBTIQ+Bewegung zur Kritik und Transformation von Männlichkeitsnormen wird immer noch unterbewertet.«

Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Andreas Heilmann, Berlin

Mann riecht an einem Schaffell

Interview und Redaktion: Alexander Bentheim
Fotos: vortritt, photocase.de | privat

 
Andreas, was war oder ist dein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen-, Männer- und Väterthemen? Was dein politisch-thematischer Zugang?
Mein schwules Coming-out habe ich als biografischen Einschlag von individueller Freiheit und persönlicher Authentizität erlebt, inmitten eines vor- und nachlaufenden Prozesses der schmerzhaften Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Männlichkeitsnormen. Drängend war für mich in dieser Zeit eine Frage, die unmittelbar auf mein Selbstbild zielte: Bin ich als Schwuler kein Mann (mehr) oder ein Mann mit mehr Möglichkeiten? – Dieser biografische Moment führte mich politisch-thematisch über die Sozialwissenschaften zur kritischen Männlichkeitsforschung im Anschluss an Pierre Bourdieu und Raewyn Connell, die Männlichkeiten im Plural und im Kontext von gesellschaftlichen Machtverhältnissen reflektierten. Interessiert haben mich dabei immer auch die Mikroperspektiven auf Subjektivierung und alltägliche Lebenspraxen, irritiert und inspiriert von queeren, binaritätskritischen Perspektiven auf Geschlecht. Lust und Leben fanden damals eine neue Heimat im Hafen der Schwulenbewegung und ihrer assoziierten sozialen Infrastrukturen. Väterthemen wurden dann auch unmittelbar zu meinen Themen, als mein Lebensmensch und ich Co-Väter in einer Regenbogenfamilie wurden. Aus ihr sind zwei prächtige junge Menschen erwachsen.

Welche waren damals und sind heute deine zentralen Themen in der Beschäftigung mit Jungen, Männern und Vätern?
Um es auf ein paar Stichworte zu bringen (aber da ist sicher noch mehr drin – the best is yet to come): Coming-out-Forschung und Heteronormativitätskritik, Regenbogenfamilien, neue Arbeitswelten und Geschlecht, Männlichkeit und Rechtsextremismus, Vereinbarkeit und Care, Krisen der Männlichkeit, Männlichkeit und Für/Sorge (Caring Masculinities), Männlichkeit und Nachhaltigkeit …

Wie hat sich dein Engagement für Jungen, Männer und Väter entwickelt, ggf. verändert?
Ich bin alt genug, um mich noch in der jüngeren, (west)deutschen Schwulenbewegung beheimatet zu fühlen, aus der ich einerseits wichtige Impulse erfahren habe und die mir andererseits immer ein bisschen fremd geblieben ist. Auch wenn ich eben von neuer »Heimat« gesprochen habe – es hat nie ganz »gematcht« zwischen uns. Aktiv engagiert habe ich mich in diesem Rahmen bspw. in der Coming-out-Begleitung und in der HIV-Präventionsarbeit. Während meines Studiums, das ich privilegierterweise vor den Bologna-Reformen absolvieren durfte, hatte ich noch die Zeit und Muße für hochschulpolitisches Engagement, zum Beispiel für ein autonom organisiertes Seminar der Queer Studies. Im Jahr nach meinem Studienabschluss sammelte ich Erfahrungen als Bildungsreferent für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt bei dem Berliner Bildungsprojekt »KomBi«, aus dem später die heutige Fachstelle Queerformat hervorgehen sollte. Inspirierend war die Mitarbeit im »Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse« bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Über die Böll-Stiftung wurde ich auch für den Pilotausbildungsgang Gender-Training gewonnen und leistete Gleichstellungsarbeit zunächst im freiberuflichen Netzwerk Genderforum Berlin und dann auch als Gender-Mainstreaming-Berater im GenderKompetenzzentrum der Humboldt-Universität zu Berlin. Gemeinsam mit meinen Kolleg*innen im Genderforum Berlin befeuerten wir die junge Disziplin des Gender Trainings mit unserem breit diskutierten Debattenbeitrag »Gender-Manifest« (veröffentlicht erstmals 2006 im »Switchboard«, Heft 177). Es folgten Hochschullehre als wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Studiengängen der Sozialwissenschaften, der Gender Studies und der Sozialpädagogik, stets eng angebunden an wissenschaftliche Forschung zu den oben genannten Themenschwerpunkten, sowie diverse wissenschaftliche Publikationen und kritische Interventionen, etwa meine empirisch angelegte Dissertation zur medialen Konstruktion homosexueller Männlichkeit in den Spitzen der Politik (es war die Ära von Wowereit, von Beust, Westerwelle und Beck) oder die zusammen mit Sylka Scholz an der Universität Jena initiierte Debatte um Caring Masculinities. In reiferem Alter ist es mir gelungen, mich von der Hochschule abzunabeln, und bin froh, nun völlig freiberuflich und inhaltlich ressourcenorientierter arbeiten zu können. Mit meiner eigenen Beratungspraxis in Berlin-Prenzlauer Berg biete ich Mediation, supervisorische und Coaching-Begleitung an für Gruppen und Teams im Bereich sozialer Arbeit und für Männer* zu Männlichkeitsthemen. Mein Angebot umfasst auch Körperarbeit und Achtsamkeitsübungen auf Yoga-Basis, sowie wissenschaftliche Beratung zu Geschlechter- und Männlichkeitsthemen (bspw. für die Männerarbeit und -seelsorge in der Katholischen und Evangelischen Kirche oder für das Bundesforum Männer).

Das für dich nachhaltigste gesellschaftliche/historische Ereignis – auch im Kontext deiner Arbeit?
Spontan beantwortet, kommen mir drei Akte individuellen und nachhaltigen zivilen Widerstands in den Sinn – und sei es, dass sie als Erzählungen einem zivilgesellschaftlichen Aufbruch die geeigneten Ankerpunkte geboten haben: Stonewall 1969 (der Beitrag der Schwulen- bzw. LSBTIQ+Bewegung zur Kritik und Transformation von Männlichkeitsnormen wird meines Erachtens immer noch unterbewertet), etwa zeitgleich mit dem berühmten Wurf der Tomate auf dem SDS-Delegiertenkongress 1968 als Fanal der jüngeren (westdeutschen) Frauenbewegung und – 14 Jahre zuvor – die Weigerung von Rosa Parks, den Sitzplatz im Bus für einen Weißen freizugeben. Auch verneige ich mich vor der bewundernswerten Solidarität, mit der HIV-Positive und ihre Alliierten die in der AIDS-Krise der 1980er Jahre steckende Chance zur kollektiven Emanzipation ergriffen haben. Aktuell interessieren mich die vielfältigen, oft ganz unspektakulären Experimente zur Entwicklung einer selbstgenügsamen, suffizienten Lebensweise, die sich in den wenigen noch bestehenden gesellschaftlichen Nischen entfalten.

Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deinen privaten und/oder beruflichen Beziehungen?
Wie ich in Montréal mein Coming-out als innere Befreiung erleben durfte im Foucault‘schen Sinne, »dass diese Entscheidung das ganze Leben durchdringt« und daraus ein »Motor für eine Veränderung der ganzen Existenz« werden kann: wie meine Eltern und meine Freunde mich dennoch – oder gerade deswegen – als Person in meinem So-Sein annahmen und bestärkten; wie ich meinen lieben Lebensmenschen Paul kennengelernt habe und seitdem mit ihm ein gemeinsames Leben führe; wie wir als Teil einer Regenbogenfamilie Väter wurden und unsere Kinder in ihrer Entwicklung begleiten durften; wie wir für Patenkinder und Neffen/Nichten zu wichtigen Ansprechpartnern wurden und daraus nachhaltige Lebensbeziehungen entstanden; wie ich im Gespräch mit lieben Kolleg*innen und Freund*innen immer wieder auf Offenheit stoße und Inspiration gewinne; wie ich im Yoga und im modernen Tanz ein neues, selbstfürsorgliches Körpergefühl als Mann entdeckte; wie ich mich mit Bruder und Schwester über Männlichkeit und Mannsein frei und unbefangen, nicht ohne Kontroversen, austauschen kann.

 

 
 
 
 
 
:: Andreas Heilmann, Dr. phil, arbeitet in eigener Praxis für Coaching und Supervision in Berlin, www.praxis-heilmann.com.

Am Lenkrad des Lebens

Kleine Jungs in großen Autos – eine legendäre Rollenimitation.

Junge in einem Cabrio

Text und Foto: Alexander Bentheim
Reihe »Bilder und ihre Geschichte«


1975, wir sind per Daumen unterwegs durch England. In einer Kleinstadt nahe London kurzer Halt, mein Kumpel holt ein paar Sachen aus dem Lebensmittelladen. Ich warte draußen, gehe rüber zur Straße – und sehe den kleinen Jungen am Lenkrad des Cabrios. Stolz umgreift er das Lenkrad, sein Oberkörper folgt angedeuteten Rechts- und Linkskurven, an- und abschwellende Motorengräusche sind kein Problem für seine Intonation, glücklich kreuzt er durch imaginäre Welten. Dann kommt sein Vater um die Ecke, überrascht, mich und meine Kamera sehend, dann lacht er kurz. Der Kleine rutscht schnell zur anderen Seite, und gleich darauf sind beide auch schon verschwunden in ihrem Triumph.



Mehr aus der Reihe »Bilder und ihre Geschichte« im Archiv.

»Das Eis der Traditionalisten begann zu schmelzen, wir konnten betroffenen Jungen Gesicht und Stimme geben.«

Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Harry Friebel, Hamburg

junger Mann stützt den Kopf in die Hände

Interview und Redaktion: Alexander Bentheim
Fotos: cottonbro, pexels.com | privat

 
Über die Rezeption der Frauenforschung bin ich Mitte der 1980er Jahre zum Jungen- und Männerforscher geworden. Studierende regten mich im Sommersemester 1986 an, mit ihnen eine informelle Arbeitsgemeinschaft zum Thema »Geschlecht und Gesellschaft« an der Universität Hamburg zu generieren. Es war für mich ein Perspektivwechsel, von der empirisch-statistischen Erfassung der Geschlechtermerkmale hin zur Analyse individueller Biographien im Kontext des Strukturgebers Geschlecht.

Es folgten viele Lehrveranstaltungen an verschiedenen Hochschulen und Universitäten zum Themenbereich. Sehr interessierte mich der sozial-strukturelle Herstellungsprozess von dominanter Männlichkeit und unterworfener Weiblichkeit in der patriarchal organisierten Gesellschaft. Dieser Herstellungsprozess war – als ich ihn begriff – Stein des Anstoßes verstärkter Zuwendungen zum männlichen Lebenszusammenhang als Risiko (wurde und wird verschiedentlich mit dem Begriff »toxisch« bezeichnet). Zwei Bücher schrieb ich dazu in dieser anregungsreichen Lebens-, Forschens- und Unterrichtsphase: 1991 »Die Gewalt, die Männer macht« (Rowohlt) und 1995 »Der Mann, der Bettler« (Leske und Budrich). In den Klappentext des Buches von 1991 notierte ich: »Ich habe dieses Lese- und Handbuch zur Geschlechterfrage geschrieben, weil ich das Geschlechterverhältnis zwischen Mann und Frau permanent sehe, weil ich mich an dieser Normalität stoße, weil ich viel von gleichen Lebenschancen für Frau und Mann halte, weil ich mir Geschlechteremanzipation – als Befreiung von Mann und Frau aus diesem Gewaltverhältnis – vorstellen kann …«. Und angemerkt hatte ich in der Einleitung zum Buch von 1995: »Erziehung zur Männlichkeit soll hier einmal von ihrem Risiko her – nicht von ihren chancenreichen Möglichkeiten – gesehen werden … Männlichkeit hat in der Moderne nicht nur durch die feministische Kritik einen Prestigeverlust erfahren, sie hat sich in ihrer Sachzwangerstarrung und Verdinglichung zum Risiko Nr. 1 in der modernen Menschheitsgeschichte gemacht«. In beiden Büchern habe ich mich bemüht, die »Gewalt« (1991) der »gefallenen« (1995) Männer vorzustellen. Weil diese Kritik auch nicht folgenlos für mich war, habe ich mich ganz alltäglich einer Männergruppe – als Resonanzgruppe – angeschlossen. Ein drittes Buch in diesem Kontext mit Erwartungen an das Konstrukt des »neuen« Mannes wollte ich immer noch schreiben. Aber meine doch wachsende Skepsis über die Realitäten des »neuen« Mannes hinderte mich.

Anfang der Nuller Jahre dieses Jahrhunderts kam es dann für mich anders und noch aufregender: Ich nahm an einem Workshop der Initiativgruppe »Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse« in Berlin teil. Wow, das war eine engagierte Männergruppe, dieses Forum; wow, der Arbeits- und Lernzusammenhang in diesem Forum war elektrisierend und erleuchtend; wow, ich blieb für mehr als 10 Jahre Akteur in diesem sozial-räumlichen »Nest« der Selbstreflexion und Gesellschaftskritik. Ich lernte viel; gemeinsam gestalteten und veranstalteten wir Workshops über aktuelle Männer- und Männlichkeits-Themen.

Dabei berührte mich das Jungenthema zunehmend. Mehr zufällig hatte ich in einschlägigen Fachzeitschriften gelesen, dass Jungs – in vermeintlich typischer Weise – als aggressive Täter unverändert häufig in allerlei Gewaltexzesse involviert seien; dass Mädchen – in ebenso vermeintlich typischer Weise – hingegen unverändert häufig bestehende Aggressionen gegen sich selbst richteten. Ich hielt diese »Beton«-These geschlechtsspezifischer Reproduktion für eine missbräuchliche Anleihe an traditionalistischen Zirkeln. Daraus resultierten für mich allerlei Fragen. Parallel zum und inmitten der Gruppe des »Forum Männer« suchte ich nach Relevanzkriterien der Jungensozialisation und ihres selbstverletzenden Verhaltens. Ich fragte nach Sinn, nach Kontexten, nach biographischen Risikolagen der Männlichkeitssozialisation. Ich demontierte dabei in Zusammenarbeit mit Lehrer*innen, Psychotherapeuten*innen, Mediziner*innen und Psychiater*innen die Suggestionskraft traditioneller Geschlechterbilder: hier die junge Frau, zart und verletzlich, dort der junge Mann, kraftvoll und verletzend. Der – wirklichkeitswidrige – herrschende Diskurs zum geschlechtsspezifischen Selbstverletzen reproduzierte, wie in Stein gemeißelt, die Botschaft, dass Mädchen etwa zehnmal häufiger davon betroffen seien als Jungen. Der alarmierende Befund war jedoch: Immer mehr Jungs und junge Männer verletzen sich selbst. Ich schrieb ab Ende der Nuller Jahre mehr und mehr gegen den traditionalistischen Zeitgeist in relevanten Fachzeitschriften und Jugendberatungsstellen an. Dabei kam ich auf meine Erkenntnis der 1980er und 1990er Jahre über die »Gewalt« der »gefallenen« Männer zurück. In der traditionellen Lesart der Geschlechtersozialisation durfte oder sollte der Junge ja aggressiver Täter sein, keinesfalls aber autoaggressives Opfer seiner selbst. Nur: Jungs erfahren – wie Mädchen – Leid und Verletzung, und sie spüren zugleich die Erwartung, dass sie »coole« Jungs sein müssen, um »harte« Männer zu werden. Diese Erwartung ängstigt viele und sie bräuchten sozial entgegenkommende Bewältigungskonzepte – jenseits einer individualisierenden Selbstverletzung. Die Jugendarbeit müsste also sensibilisiert werden für das selbstverletzende Verhalten auch von Jungs! Dafür wäre mehr interdisziplinäre Forschung notwendig.

Als dann erstmals 2016 ein führender Jugendpsychiater im Kontext zu empirischen Befunden bei Jugendlichen mit einer Borderline-Störung schrieb: »… vergleicht man Mädchen und Jungen mit einer ähnlichen Belastung durch depressive Symptome, dann gibt es keinen Geschlechterunterschied«, da wackelte die Front der Traditionalisten kräftig; dieser Text stand in einer medizinisch-klinischen Leitlinie für Ärzte. Im Juli 2020 schrieb ich dann im aerzteblatt.de, »dass eine ins Absurde gesteigerte traditionelle Überlegenheitsmeinung der Jungen von sich selbst zwangsläufig durch die vorgefundene gesellschaftliche Wirklichkeit enttäuscht wird. Dies kann eine gravierende Irritation in Bezug auf Männlichkeit auslösen und damit eine (Selbst)Verletzungsoffenheit generieren. Eine mögliche Reaktion der Jungen auf diesen Verlust von (Männlichkeits)Gewissheiten ist das Selbstverletzende Verhalten – als letzte Kontrolle über den eigenen Körper«. Das Eis der Traditionalisten begann zu schmelzen, wir konnten den betroffenen Jungen Gesicht und Stimme geben. In vielen aktuellen Arbeiten zur Selbstverletzungsproblematik ist nur noch von einer statistischen Relation von 2:1 (Mädchen / Jungen) zu lesen.
Jungs versagen sich häufig »weiblich« etikettierte Symptome und Verhaltensweisen wie Niedergeschlagenheit, Kummer und Traurigkeit. Die Jungen »maskieren« dabei ihre Depressionen durch Risikoverhalten und Selbstverletzung; und die medizinischen wie therapeutischen Professionen sind primär geschult für »typisch weibliche« Depressionssignale. Es ist daher überhaupt nicht abwegig, anzunehmen, dass im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess ein zunehmend enger werdender Zusammenhang zwischen der Männlichkeitssozialisation einerseits und »sozialer Desorganisation« bzw. »Identitätsdiffusion« andererseits besteht. Die soziokulturelle Integration des Jungen in der Moderne scheint immer fragiler zu werden, wenn nicht …. und hier überlasse ich die Satzvollendung den Leser*innen.

Mittlerweile bin ich in einem anderen für mich wichtigen Arbeitsfeld angekommen. Einerseits wollte ich schon seit einigen Jahren ein Buch über meinen verstorbenen väterlichen Freund Franz von Hammerstein schreiben (er hatte sein ganzes Leben nach 1945 für NS-Erinnerungsarbeit und Versöhnung gearbeitet, und er hat mich als Arbeiterkind mit Hauptschulabschluss in den schulischen und hochschulischen Bildungsprozess gleichsam transformiert). Andererseits signalisierte mir seine Familie, dass es schon genug Schriften über ihn gäbe – sie also mein Buchprojekt nicht wollten. Das akzeptierte ich und führte mich zu dem Entschluss, ihn auch damit würdigen zu wollen, wenn ich verstärkt selbst in der NS-Erinnerungskultur arbeite. Das habe ich dann in meiner typisch selbstaktivierenden Art strategisch vollzogen: erst zum Thema viel zu lesen, dann viel zu diskutieren und danach viel zu schreiben. Jetzt gestalte ich mit Kollegen*innen in Hamburg, Bielefeld, Berlin und Oldenburg einen Forschungsverbund zu rassistischen und eugenischen Krankenmorden in der NS-Diktatur. Das wird meinem Franz im Himmel auf Wolke 7 sicher freuen und viele Verbrechen der Nationalsozialisten entdecken helfen. Wir folgen mit unserer Forschungsarbeit der Überzeugung: Das Vergessen der NS-Vernichtung ist Teil der Vernichtung selbst. Wir arbeiten gegen das Vergessen. Auch für diese antifaschistische Arbeit sind meine männlichkeitstheoretischen Einsichten von großem Belang.

 

 
 
 
 
 
:: Harry Friebel, Jg. 1943, Dr. phil., Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Politik 1995-2005 und Professor für Soziologie an der Universität Hamburg 2006-2009. Forschungsschwerpunkte: Bildungs- und Sozialisationstheorie, Weiterbildung, Biographieforschung, Geschlechterverhältnisse, Gender- und Männerforschung und empirische Methoden. Kontakt: friebelh-projekte@mailbox.org