Männliche Teilnehmer für sprachtherapeutische Studie gesucht

Untersuchung zur Entwicklung diagnostischer Verfahren in einfacher Sprache und über visuelle Mittel für Menschen mit Sprachproblemen.

ein Mann mit Sonnenbrille sitzt an einem Computer

Text: Alexander Bentheim (Redaktion)
Foto: Mikhail Nilov, pexels.com


Für eine Promotion im Bereich der Sprachtherapie und Psychologie an der Universität Bielefeld führt Louise Nagel-Held aktuell eine Studie zur Erfassung negativer Befindlichkeiten durch, für die sie dringend noch sprachlich gesunde männliche Teilnehmer sucht, weil aktuell ein sehr großes Ungleichgewicht hinsichtlich der Geschlechterverteilung innerhalb der Stichprobe vorliegt. Zum Verständnis und Hintergrund: eine Beeinträchtigung der sprachlichen Gesundheit bezieht sich auf Störungen, die beispielsweise durch einen Schlaganfall ausgelöst werden können und dann z.B. die Wortfindung und/oder das Sprachverständnis betreffen. Stottern, lispeln, Aussprachestörungen etc. gehören ausdrücklich nicht dazu! Insofern kann fast jeder Mann an der Studie teilnehmen; als Teilnahmevoraussetzungen gelten nur Deutsch als Erst-/Muttersprache und ein Mindestalter von 16 Jahren.

Es handelt sich um eine Vorstudie zur Entwicklung diagnostischer Verfahren in einfacher Sprache oder über visuelle Mittel für Menschen mit Sprachproblemen, zum Beispiel im Rahmen einer Aphasie nach Schlaganfall. Die an der Befragung Teilnehmenden können dabei helfen, ein zuverlässiges Verfahren zu entwickeln, mit dessen Hilfe Menschen mit einer Sprachstörung (Aphasie) zu ihrer Befindlichkeit befragt werden können. In der Studie wird untersucht, inwiefern der Fragebogen zur Patientengesundheit (Patient Health Questionnaire PHQ) mit einer sprachlich vereinfachten Version desselben Fragebogens vergleichbar ist. Außerdem wird untersucht, inwiefern Zeichnungen die Symptome einer depressiven Verstimmung messen können.

Die Umfrage kann online ausgefüllt werden, dauert ungefähr 10-15 Minuten und erfolgt anonym. Die Studie ist leider nur auf einem Computer/Tablet durchführbar, weil die Antwortmöglichkeiten auf Mobilgeräten teilweise nicht mehr richtig zugeordnet sind.

Weitere Infos und einen Kontakt für Rückfragen gibt es im Vortext zur online-Befragung, die bis einschließlich 26. Mai hier abrufbar ist:

https://ww3.unipark.de/uc/nagel-held_Universit__t_Bielefel/dcd9/

Bundesverband Männertrauer

Eine bestehende Lücke schließen, um trauernde Männer in unserer Gesellschaft besser zu unterstützen.

Mann sitzt am unteren Ende einer Treppe

Text: Martin Kreuels
Foto: sol-b, photocase.de

 
Wann, wenn nicht jetzt?!? In einer Welt, in der autoritäre Männer die Weltordnung neu und laut zu sortieren versuchen, gibt es auch eine stille, schnell zu überhörende Seite. Eine Bewegung ist es nicht, eher eine Wandlung, eine Veränderung, die sich dafür interessiert, was in uns Männern geschieht, wo wir vielleicht Schwächen haben, warum es uns manchmal nicht gut geht. Das Besondere: Diese Männer fangen an, es endlich und vernehmbar auch zu äußern …

Zum Beitrag

Sicher auf unsicherem Grund

Fragen sind spannender als Antworten. Und das Suchen ist ergiebiger als das Finden. Gute Literatur weiß das und lässt sich nicht zu einem bequemen Plot bewegen.

Bild einer Frau mit Spiegelungen

Text: Frank Keil
Foto: erdbeersüchtig, photocase.de

 
Männerbuch der Woche, 13te KW. – Diesmal im Doppelpack: Slata Roschal liefert mit »Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten« den einen Roman unserer Tage. Den anderen bietet uns Meral Kureyshi mit »Im Meer waren wir nie«. Und als Nachschlag gibt es nochmals von Slata Roschal noch einen Lyrikband mit dem rasanten Titel »Ich brauche einen Waffenschein/ ein neues bitteres Parfüm/ ein Haus in dem mich keiner kennt«.

Zu den Rezensionen

Jeder Papa ist anders

Wozu ist so ein Vater überhaupt da?

Text: Ralf Ruhl
Foto: Antonio Recena, photocase.de

 
Jeder Vater ist anders und jeder ist toll, auf seine Weise. Das ist die Botschaft von Peter Horn und Jessica Meserve in ihrem Bilderbuch »Wozu ist ein Papa da?«. Es geht um Entdeckungsreisen, emotionale Bindungen und ganz allgemein: unterschiedliche, aber zuverlässige Lebensbeziehungen.

Zur Rezension

Löwenjunge sucht Elefantenmama

Janis soll in eine Pflegefamilie. Er will nicht, denn es tut zu weh. Auch, wenn er weiß, dass es die beste Lösung ist …

Text: Ralf Ruhl
Foto: vanda lay, photocase.de (Symbolbild)

 
Aber wie kann ihm dieser Übergang erleichtert werden? Anna Kampschroer, Kinder- und Jugendlichenpsychologin mit über 20 Jahren Erfahrung in der Arbeit mit Pflegefamilien, erzählt in »Willkommen im neuen Zuhause« eine Geschichte voller Lebensmut.

Zur Rezension

Der Sohn als Herausforderung

Wird es ein Mädchen? Oder wird es ein Junge? Das ist nicht egal, gerade wenn man sich alle Mühe gibt, dass es egal sein soll.

Kleiner Junge auf dem Arm seiner Mutter

Text: Frank Keil
Foto: tschanga, photocase.de (Symbolbild)

 
Männerbuch der Woche, 16te KW. – Shila Behjat streitet sich in ihrem klugen Buch »Söhne grossziehen als Feministin« mit sich selbst.

Zur Rezension

Wandernd durch das Trauertal

Aufschreiben, was ist. Beschreiben, was war, wie es vielleicht wieder sein könnte, auch wenn es nie wieder so sein wird – das ist eine wahre Herausforderung.

Spiegelung eines Baumes mit Herbstblättern im Wasser

Text: Frank Keil
Foto: derProjektor, photocase.de

 
Männerbuch der Woche, 7te KW. – Elke Naters erzählt in ihrem Protokollroman »Alles ist gut, bis es dann nicht mehr gut ist« nach dem Tod ihres Mannes, wie es wieder annehmbar wird, auch weil die Trauer und der bleibende Verlust zu dem gehören, was man so leichthin wie unbedarft »das Leben« nennt.

Zur Rezension

Der hat uns gerade noch gefehlt!

Zukünftig melden wir uns regelmäßig bei euch – mit einem Newsletter

Mann mit Zeitung im Café

Text: Frank Keil
Foto: inuit, photocase.de

 
Neulich stand ich mit meinem Sohn auf der Wiese vor dem Bundestag. Wir waren zwei von gut Hunderttausend, die gegen den Rechtsruck in unserem Land demonstrierten. Es lag Schnee, es war kalt, aber uns war warm. Ich mit meinem Vater auf einer Demo? Undenkbar. Er hätte das nicht gewollt und ich vermutlich auch nicht.
Eine Generation weiter ist vieles anders. Zum Glück. Was auch notwendig ist, schaut man in die Welt und wie sie bedroht ist, wie sie zum Teil in Flammen steht. Und wie zugleich die alten, überwunden geglaubten Rollenbilder zurückkehren. Wie ein Mann zu sein hat und wie eine Frau und was eine Familie ist und was nicht und ein Dazwischen soll es nicht (mehr) geben. Der ganze alte Scheiß ist wieder da – so denke ich an schlechten Tagen. Und zugleich ist viel Aufbruch, viel Hoffnung, viel Erproben, was möglich ist und jedem und jeder guttun könnte, mit allem Recht zum Irrtum. Unsere Felder, unsere Anliegen. Unsere Männerwege, auf denen wir gehen, sozusagen.

Wir haben bisher keinen Newsletter verschickt, um gezielt auf unsere Texte und Interviews und Rezensionen und Fotos aufmerksam zu machen. Falsche Bescheidenheit? Vielleicht. Scheu vor der Arbeit? Möglich. Skepsis, ob ein Newsletter wirklich gelesen wird? Auch das.
Aber: Probieren wir es doch aus! Ab jetzt wird es einen Newsletter geben, einmal im Monat.

Zur Bestellung bitte hier entlang.

Trauer in Venedig

Was, wenn einem klar wird, dass das eigene Leben endlich ist und das der heutigen Welt noch dazu? Oder hat das nichts miteinander zu tun?

Venedig am Abend mit Gondeln

Text: Frank Keil
Foto: 50Centimos, photocase.de

 
Männerbuch der Woche, 4te KW. – Daniel Schreiber widmet sich in seinem Essay »Die Zeit der Verluste« so gekonnt wie berührend dem Zusammenspiel wie Gegensatz von privater und gesellschaftlicher Trauer.

Zur Rezension

»Visionssuchen halfen mir dabei, meinen inneren Vaterkonflikt zu klären und als Mann nachzureifen.«

Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Peter Maier, Kühbach b. Augsburg

Mann allein am Strand

Leitfragen: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Fotos: cw-design, photocase.de | privat

 
Kindheit in der Nachkriegszeit

Geboren bin ich 1954 in einem Dorf in Ostbayern. Mein Vater war Hitlerjunge, die Propaganda der Nazi-Zeit hatte ihn total verblendet. Einmal gestand er mir, dass er noch bis zum 1. Mai 1945, kurz bevor die Amerikaner einrückten, jeden im Dorf mit seiner Pistole erschossen hätte, der etwas gegen Hitler gesagt hätte. Obwohl mein Vater sich deswegen im Nachhinein sehr schämte und sich innerlich von der Nazi-Ideologie lossagte, war meine Erziehung durch ihn dennoch sehr autoritär geprägt. Und es gab für mich mehrere heftige Gewalterfahrungen durch meinen Vater.

Mein Vater hatte einen Doppelberuf: Er war Landwirt und Viehhändler und es war sowohl ihm als auch mir seit frühester Kindheit an sonnenklar, dass ich als sein Erstgeborener einmal in seine Fußstapfen treten sollte. Daher war es für mich ein Schock und ein totaler Bruch in meiner Biographie, als mein Vater mich nach der 5. Klasse Volksschule plötzlich gegen meinen Willen aufs Gymnasium schickte. Die nächsten neun Jahre war ich als Fahrschüler täglich zwei Stunden auf der Strecke – ins 31 Kilometer entfernte Gymnasium des Nachbarlandkreises. Mein jüngerer Bruder sollte nun einmal den Hof übernehmen, mein Vater wollte mich nicht mehr zu Hause haben. Ich war draußen aus dem Hof, raus auch aus der männlichen Ahnenlinie und irgendwie auch aus der Familie, die von meinem Vater geprägt und total dominiert wurde.

Als mich mein Vater dann in der 7. Klasse wegen der Note Drei in einer Erdkunde-Arbeit kritisierte, packte mich eine heilige Wut und ich beschloss, nun Tag und Nacht für die Schule zu lernen und zugleich täglich im großen Hof mit damals großem Stall voll Vieh mitzuarbeiten – 365 Tage im Jahr. Ich wollte meinem Vater zeigen, was ich draufhabe und sein Kritiker-Maul ein für alle Mal stopfen. Mein Vater war nun am Beginn meiner Pubertät zu meiner größten Herausforderung im Leben und zu meinem größten Gegner geworden, den ich täglich durch gute Leistungen und viel Arbeit auf dem Hof niederzukämpfen versuchte. Dies gelang wohl auch, hatte aber zur Folge, dass ich zu einem Lern- und Arbeitsroboter wurde. Meine Pubertätsentwicklung fand, da vollkommen auf den Vater und auf die Arbeit fixiert, hauptsächlich im Verborgenen statt.

Im Alter von 17 Jahren gab es dann den nächsten Schock für mich: Da mein Vater erkannte, dass ich für ihn auf dem Bauernhof sehr nützlich war, wollte er, dass ich nun nach dem Erwerb der Mittleren Reife das Gymnasium sofort verlassen und bei ihm zu Hause »einsteigen« sollte. Als »Bauernbub« hatte ich mich in der fernen Schule mühsam durchgebissen und ein gutes Zeugnis erreicht. Dieses war jedoch für meinen Vater plötzlich nichts mehr wert. Denn es hatte sich herausgestellt, dass mein jüngerer Bruder für das Bauer-Sein doch nicht geschaffen war. Nun wollte der Vater wieder mich als seinen potentiellen Nachfolger zu Hause haben.

Doch diesmal wehrte sich etwas in mir. Ich fühlte mich wie eine Schachfigur, die von meinem Vater auf dem »Brett seiner Lebensplanung« in autoritärer Weise beliebig herumgeschoben werden sollte. Ich war doch nicht sein Besitz! Ich sagte gar nichts und blieb stur am Gymnasium, machte ein sehr passables Abitur und leistete anschließend sofort meinen 15-monatigen Wehrdienst als Sanitäter ab. Mir war aber klar, dass diese Zeit nur eine Art von Moratorium für mich war: Denn das Damoklesschwert des Bauernhofes und der Erwartungen meines Vaters an mich hingen die ganze Zeit drohend über mir. Was sollte ich nun tun?

Ich gehe meinen eigenen Weg

Kurz vor der Entlassung aus der Bundeswehr 1975 forderte mich mein Vater an einem Samstag im Juni erneut offensiv auf, dass ich nach Ende des Wehrdienstes bei ihm auf dem Hof »einsteige« – als Abiturient ohne jede Lehre oder berufliche Ausbildung. Da brach es, selbst für mich unerwartet, aus mir heraus: »Vater, ich möchte mich mit Menschen beschäftigen und nicht mit Feld und Vieh!« Raus war es. Das waren die ultimativen Trennungsworte zwischen meinem Vater und mir. Mein Satz war ein Schlag für uns beide – für meinen Vater und für mich selbst. Denn eigentlich wäre ich gerne Bauer geworden, ich wusste aber, dass ich zu Hause immer nur der Knecht oder sogar der Leibeigene meines autoritären Vaters sein würde und nie ein eigenes Leben neben ihm entwickeln konnte. Ich musste unbedingt von ihm weg.

Nun aber kamen auch aus meinem Vater ebenfalls todernste Worte, die viele Jahre in mir nachhallten: »Ja so einen wie Dich kann ich hier nicht brauchen! Wenn Du schon diese sichere Existenz des Bauernhofes ausschlägst, dann sieh zu, dass Du eine Arbeit findest, mit der Du zu hundert Prozent Deine Existenz sichern kannst!« Das empfand ich als eine starke Drohung und als Abwertung meines anderen Weges, den ich ab jetzt gehen wollte.

In diesem Moment spürte und wusste ich zweierlei: Zum einen hatte mich mein Vater, der vollkommen mit seinem Hof identifiziert war, ab jetzt total fallen gelassen. Für ihn war ich nichts mehr wert und wie gestorben. Jede Vaterliebe, die Vaterenergie, die Vaterkraft in mir und der Vatersegen waren aus mir gewichen. Mein Vater stand nicht mehr hinter mir, für ihn war ich ein Versager, ein Feigling, ein Verräter, der sich aus der Familie und der Verantwortung davonstiehlt. Ein junger Mann hat es aber sehr schwer, auf eigene Mannes-Beine zu kommen, wenn ihm diese Vater-Qualitäten entzogen werden und fehlen.

Zum anderen wusste ich, dass ich ab jetzt vollkommen auf mich allein gestellt und ohne jede moralische Unterstützung durch meinen Vater war. Ich wollte Gymnasiallehrer werden und musste mich an der Uni ganz alleine durchkämpfen. Zudem waren die Aussichten auf eine Anstellung als bayerischer Gymnasiallehrer damals sehr schlecht, es gab nur weniger Stellen, wenn ich mit Studium und Referendariat fertig sein würde. Auf keinen Fall aber wollte ich auf den Bauernhof meines Vaters zurückkehren, falls es beruflich als Pädagoge nicht klappen sollte.

Angetrieben von Existenzangst und der Drohung des Vaters schaffte ich das 1. Staatsexamen in meinen beiden Fächern Physik und Katholische Religionslehre mit Bravour. Vor dem Referendariat wollte ich mir jedoch einen lange gehegten Wunsch erfüllen: Ich ging 1981 für ein halbes Jahr auf eine Missionsstation in einem kenianischen Buschdorf. Dort war ein früherer Religionslehrer von mir, ein Comboni-Missionar, in der Erst-Evangelisierung afrikanischer Stämme tätig. Mehrere Monate lang machte ich in der benachbarten staatlichen Secondary School meine ersten Gehversuche als junger Lehrer. Das war inspirierend und der ganze Auslandsaufenthalt bedeutete im Grunde den nächsten wichtigen Schritt in meiner Ablösung (Initiation) von meinen Eltern.

Schwierigkeiten als Lehrer mit Jungen

Als ich dann jedoch im September 1981 mit dem Referendariat begann, wehte mir ein sehr kalter Wind an bayerischen Gymnasien entgegen. Aufgrund der guten Noten im 1. Staatsexamen bekam ich 1983 doch noch eine feste Beamtenstelle. Nun war meine berufliche Existenz gesichert. Aber nun begann meine Not. Denn ich hatte immer wieder große Schwierigkeiten im Unterricht, vor allem mit Jungen. Sie erkannten meine Autorität als Lehrer nicht an, rebellierten und versuchten laufend, meinen Unterricht zu stören. Jetzt rächte es sich, dass ich keine wirkliche Jugend gehabt hatte wie die meisten meiner Altersgenossen im Dorf. Als Fahrschüler ins weit entfernte Gymnasium und durch die tägliche Arbeit auf dem Bauernhof war ich der Dorfgemeinschaft und meinen Kumpeln aus der Volksschulklasse vollständig entfremdet worden. Ich musste mir jetzt schmerzlich eingestehen, dass ich meine Pubertät nie richtig durchlebt hatte. Daher konnte ich mich auch nicht so richtig in die Lage von Jungen in ihrer Pubertät einfühlen. Was wollten sie bloß von mir?

Heute ist mir vieles klar: Die Jungen suchten damals Stärke, Coolness, Humor und vor allem Orientierung und Anerkennung durch einen männlichen Lehrer. Sie wollten und brauchten für ihre Persönlichkeitsentwicklung einen »starken« Lehrer, an dem sie sich reiben konnten und der in der Lage war, ihnen Grenzen zu setzen. Doch was ist ein starker Lehrer? Offensichtlich strahlte ich diese Stärke überhaupt nicht aus. Die Jungs wollten testen, ob ich ihnen und ihrer geballten Jungen-Energie gewachsen war. Und sie waren bedürftig nach männlicher Energie und suchten Zuwendung, Klarheit und Kraft, um sich an mir als männlicher Bezugsperson auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden orientieren zu können. Das konnte ich ihnen aber aufgrund meiner eigenen Defizite nicht bieten und ihre starken Energien machten mir große Angst. Diesen war ich kaum gewachsen.

Den Jungs war es aber egal, woher ich kam und was ich fühlte. Sie hatten kein Verständnis für mein eigenes, mir selbst noch unbewusstes unterschwelliges Bedürfnis nach Zuwendung und Mitgefühl. Da dieses von meinem eigenen Vater nie wirklich gestillt worden war, suchte ich die Anerkennung fälschlicher Weise bei den Jungen in meinen Klassen. Verkehrte Welt! Wir waren also in unserem Bedürfnis nach männlicher Anerkennung und Zuwendung zu Konkurrenten geworden.

Das konnte nicht gut gehen und darum suchte ich schon bald nach Beginn meines Referendariats nach Hilfe: Zehn Jahre lang machte ich berufsbegleitend eine ambulante Psychotherapie – zunächst fünf Jahre lang als Einzeltherapie, später zusätzlich auch als Gruppentherapie und das zwei Mal pro Woche. So konnte ich viele Defizite aus meiner eigenen Jugendzeit erkennen und heilen. Das half mir sehr und ermöglichte es mir, in meinem Beruf stabil zu bleiben. Dennoch vermisste ich etwas Entscheidendes in meinem Beruf, aber ich konnte lange nicht wirklich sagen, was dies war.

Die Initiations-Thematik ändert alles

Dies änderte sich erst, als ich um die Jahrtausendwende auf die Initiations-Thematik stieß. In zwei Workshops mit dem afrikanischen Schamanen, Männer-Initiator und Buch-Autor Malidoma Patrice Somé 2001 und 2002 war ich ausschließlich mit Männern zusammen und konnte erleben, dass ich mit meinem Vaterkonflikt nicht alleine war. Fast alle waren auf der Suche nach sich selbst als Person, vor allem aber als Mann. In diesem Kreis von Männern fühlte ich mich angenommen und geborgen. Das war neu für mich und sehr wohltuend. Daher war ich anschließend auch drei Jahre lang Mitglied in einer Malidoma-Männer-Gruppe in München, die sich nach dem zweiten Workshop gebildet hatte.

Fast zeitgleich nahm ich an drei Visionssuchen in der Tradition der amerikanischen School of lost Borders teil, in den Jahren 2000, 2003 und 2007. Jedes dieser elementaren Rituale in der Natur dauerte 12 Tage. Der Kern davon war jeweils die sogenannte »Solozeit«, eine Auszeit von vier Tagen und Nächten ganz allein in der Natur ohne Essen, ohne Zelt und ohne alle Kommunikationsmittel wie dem Handy, unsichtbar für alle anderen Menschen. In diesen jeweils 100 Stunden Alleinsein in einer Art von »Anderswelt« war ich ganz auf mich gestellt und mit mir selbst konfrontiert, schmorte im eigenen Saft und stellte mir viele Lebensfragen. Die drei Visionssuchen halfen mir enorm dabei, meinen inneren Vaterkonflikt zu klären und als Mann nachzureifen.

Und plötzlich war mir klar, was mir selbst und meinen Jungs in der Schule die ganze Zeit gefehlt hatte: ein elementares Übergangsritual vom Jugendlichen ins Erwachsensein. Als ich im August 2007 von den Nockbergen in Kärnten herab zur Alm stieg, die das Basislager für unsere Visionssuche-Gruppe war, wusste ich, dass ich ab jetzt solch ein fundamentales Ritual auch meinen Schülern anbieten sollte. Doch zunächst wollte ich für mich selbst die Grundlagen dafür schaffen: Von 2007 bis 2009 machte ich die Fortbildung zum Initiations-Mentor und Jugend-Visionssuche-Leiter in der Tradition der School of lost Borders in einer Gruppe in Niederbayern.

Acht Jahre lang veranstaltete ich danach zusammen mit kleinen Leitungsteams das sogenannte WalkAway-Seminar für 15- bis 17-jährige Jugendliche, ein viertägiges erlebnispädagogisches Ritual in der Natur, eine Visionssuche für junge Menschen. Die Jugendlichen ließen sich darauf ein, nach einer zweitägigen Vorbereitung für 24 Stunden im Wald zu verschwinden und einen Tag und eine Nacht zu überstehen – ohne Essen, ohne Zelt und vor allem ohne ihr geliebtes Smartphone, unsichtbar für alle Menschen. Am vierten Tag frühmorgens standen die Eltern bereit, um ihre jugendlichen Kinder zu begrüßen. Im nahen Seminarzentrum konnte man dann jeweils für drei Stunden eine Stecknadel fallen hören, während die Jungen und Mädchen ihre ergreifenden Geschichten von allein da draußen in der wilden Natur erzählten.

Dieses Ritual hat den Jugendlichen enorm in ihrer Persönlichkeitsentwicklung geholfen – zu mehr Selbstbewusstsein, Selbständigkeit und Selbstverantwortung auf ihrem Weg hin ins Erwachsensein. Das Ritual hat nicht selten auch die ganze Familie verändert. 83 Mädchen und Jungen haben mit mir diesen WalkAway absolviert, zwei Drittel von ihnen waren Jungen. Die dabei gemachten Erfahrungen haben mich so angeregt und motiviert, dass ich schon 2009 anfing, darüber Bücher zu schreiben: »Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft« . Dieser Schreibfluss hielt an und hat mich sehr erfüllt. In das erst vor kurzem veröffentliche Buch »WalkAway – Jugendliche auf dem Weg zu sich selbst« ist die Essenz meiner Erfahrungen mit Initiationsritualen eingeflossen. Die Situation der Jungen stand dabei jedoch immer im Mittelpunkt. Zugleich dienten diese Bücher stets meiner Selbstreflexion und Befreiung meines eigenen Mann-Sein.

Nun hatte ich mein Lebensthema gefunden: Initiation. Das spürten wohl auch meine Schüler, denn nun wurde ich von den meisten von ihnen sehr geschätzt und anerkannt – als ihr männlicher Lehrer und für viele auch als eine Art Lebensbegleiter und Mentor, der sich gut in ihre Entwicklungssituation als Jugendliche einfühlen konnte. Als ich 2020 nach vierzig Jahren im Schuldienst verabschiedet wurde, galt ich bei Schülern und Kollegen als der respektierte »Mister WalkAway«, der stets sein eigenes Ding gedreht hatte. Als Supervisor versuche ich in meiner Pension, vor allem Lehrer in ihrem Beruf zu beraten zu bestärken. Als Autor sehe ich meine Aufgabe darin, im deutschsprachigen Raum für das Initiations-Thema zu werben und dieses mit heutiger Pädagogik zu verbinden.

Fundamentale Erkenntnisse

:: So viele Männer haben nie eine richtige Ablösung von den Eltern und eine Initiation in ihr eigenes Mann-Sein erlebt. Obwohl beruflich vielleicht erfolgreich, fühlen sie sich unruhig und haben Schwierigkeiten, ihren Mann in Familie und Gesellschaft zu stehen. Aus eigener Erfahrung möchte ich heutigen Männern zur Stärkung zweierlei empfehlen: eine Visionssuche zu machen und eine Männergruppe zu suchen.
:: Die von uns Europäern lange Zeit verachteten indigenen Völker hatten ein Urwissen bezüglich des Lebenskreises und der Lebensübergänge, das uns aufgeklärten, meist nur rational orientierten »Westlern« fehlt. Wir können gerade in der Initiations-Thematik viel von diesen traditionellen Völkern lernen, die ein noch elementares Wissen über das Leben und die Natur bewahrt haben.
:: Gerade die Jungen bedürfen einer besonderen gesellschaftlichen Beachtung. Im heutigen Schulsystem, das immer »weiblicher« ausgerichtet ist, gelten sie nicht selten als das »schwache Geschlecht«. Jungen sollten täglich mehrere Stunden lang be-vatert werden, um sich gut entwickeln zu können. Doch so oft sind die Väter – z.B. aus beruflichen Gründen – nicht da, sondern physisch und emotional »abwesende Väter«. Gerade männliche Lehrkräfte und Leiter von Sportgruppen haben hier eine enorme Aufgabe, den Jungen männliche Orientierung zu geben, ihnen Grenzen zu setzen und sie in ihrem Wesen liebend anzunehmen.
:: Mir ist aufgefallen, dass besonders in Deutschland die verantwortlichen Bildungsbehörden den Initiations-Begriff und geeignete Initiationsrituale wie den viertägigen WalkAway fürchten »wie der Teufel das Weihwasser«. Sie wollen mit dieser Thematik nichts zu tun haben und verweisen etwaige Initiativen vehement in den privaten Bereich. Doch hier lässt man gesellschaftlich und schulisch eine wichtige Aufgabe ungenutzt. Denn auch hierzulande sollen ja gerade die Jungen durch passende Rituale und Zeremonien den Übergang vom Junge-Sein ins Erwachsen-Sein bewältigen und erwachsen werden können. Sie brauchen solche Rituale. Vermutlich gibt es aber die folgende Problematik: Im deutschen Faschismus wurden germanische Rituale, Zeremonien und Symbole von der Nazi-Ideologie in übler Weise für rassistische und kriegerische Zwecke missbraucht. Daher fürchtet man heute womöglich, als Neonazi beschimpft zu werden, wenn man den Begriff »Initiationsritual« benutzt. Die WalkAway-Seminare, die ich angeboten haben, sind jedoch von den Initiationsritualen nordamerikanischer Indianerstämme, den »native americans«, beeinflusst und daher unberührt von faschistischen Ideologien.

 
 

 
 
 
 
 
:: Peter Maier, Jg. 1954, Gymnasiallehrer, Jugend-Initiations-Mentor, WalkAway-Leiter, Supervisor, Autor. Meine Bücher »Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft. Band I: Übergangsrituale« und »Band II: Heldenreisen« sowie »WalkAway – Jugendliche auf dem Weg zu sich selbst« sind als Print oder eBook hier erhältlich: www.initiation-erwachsenwerden.de und www.alternative-heilungswege.de; einen knappen Überblick über meine Arbeit gibt es auch in einem Flyer. Kontakt: info@initiation-erwachsenwerden.de.