Skurril und melancholisch

Die fotografischen Männergeschichten von Jens Kuhn

Text und Interview: Alexander Bentheim
Fotos: Jens Kuhn
Reihe »Bilder und ihre Geschichte« (slideshow by click on pic)


Männer in weiten Landschaften, ein halb gedeckter Esstisch auf einem Parkplatz, dann dieses rote Megafon und wer weiß, was da gleich und vielleicht sehr plötzlich passiert? Mit den Bildern von Jens Kuhn kann mancher sicher nicht sofort etwas anfangen. Es gibt eine merkwürdige Stille und scheinbare Unverbundenheit in ihnen, eine melancholisch-skurrile Bildsprache tut ihr Übriges, diesen Eindruck zu unterstreichen. Aber wenn man sich auf sie einlässt, spürt man die inneren Bewegtheiten der Beteiligten und entfalten sie Geschichten, die man irgendwie auch schon einmal selbst erlebt zu haben glaubt. Und sind es deshalb nicht nur wert, gezeigt und gesehen zu werden, sondern nachzufragen, wer und was sich hinter ihnen verbirgt.

Jens, wie findest du deine Themen?
Eine sehr gute Frage, darüber habe ich mir ehrlich gesagt nie richtig Gedanken gemacht. Ich geh ziemlich unbedarft an solche Motive heran und habe das seltene Glück, mit Menschen zu arbeiten, die ebenso ticken wie ich. Ich muss mich vor ihnen nicht erklären. Es sind ganz grobe Visionen, die ich im Kopf habe… dann landen mal eben ein alter Esstisch, Stühle und ein Megafon im Kofferraum. Man fährt dann einfach mit offenen Augen los und – Peng – dann ist dort eine alte Hütte, welche verlassen mitten auf einem Feld steht. Situationsfotografie, oder? 😉
Der ganz Krempel fliegt aus dem Auto und man taucht in eine andere Welt ein. Es wird viel gelacht, man groovt sich irgendwie in eine Rolle, und je länger so eine Session andauert, umso bizarrer wird das Ganze. Man »lebt« irgendwann in dieser Szenerie. Ich mag eher das Surreale, Melancholische und Skurrile, wie du bereits sehr treffend erkannt hast. Mir ist wichtig, den Betrachter fragend mit dem Motiv zurückzulassen, sich seiner Fantasie hinzugeben. Sicherlich mögen viele meiner Bilder für den Konsumenten erst einmal verwirrend erscheinen und man fragt sich vielleicht auch, was zur Hölle mich geritten hat. Ich finde es wichtig, sich als Betrachter mit einem Motiv zu beschäftigen, in dieses einzutauchen. Mir wurde schon sehr oft gesagt, dass meine Bilder Geschichten erzählen, von Trauer, von Depressionen, von Sarkasmus, Neugier, was da wohl jetzt passieren könnte usw. Es sind sozusagen erstarrte Situationen und es obliegt einzig der Fantasie des Betrachters, wie diese weitergehen. Ich finde das total spannend. Jeder empfindet vermutlich etwas anderes beim Betrachten. Deswegen möchte ich niemanden meine Bilder erklären, dass soll man mal schön mit sich selbst ausmachen. So entstehen quasi Seelenfotos. Im wahren Leben bin ich Busfahrer, verrückt … oder? Ich rede nicht viel und habe eine sehr gute Beobachtungsgabe. Das Leben ist völlig skurril, vielleicht ist das eine unbewusste Inspirationsquelle. Ich schreibe auch gern humorvolle Kurzgeschichten, imaginäre Träume und skurrile Tageshoroskope. Ich brauche diese Ventile im Leben. Vielleicht ist mein Output aber auch nur das Ergebnis totaler Depressionen. Ich weiß es nicht.

Wer oder was inspiriert dich in der Fotografie?
Anton Corbijn. Ich bin ein Kind der 80er und habe die alten Depeche Mode Videos geliebt. Seine Musikvideos zu »Behind the Wheel«, »Never let me down again«, »Enjoy the Silence« zum Beispiel sind Meilensteine. Schau dir sein Video zu »In your Room« an, jede Einstellung ein perfekt komponiertes Bild. Das imponiert mir. Ansonsten lasse ich mich von Musik inspirieren. Ich liebe (u.a.) Dead can Dance, GusGus und VNV Nation. Fotografieren und/oder eine Bildbearbeitung ohne Musik ist für mich quasi unmöglich. Höre ich diese Art von Musik, dann formen sich im Kopf Bilder.

Möchtest du etwas erreichen mit deinen Bildern? Was?
Ich möchte, dass man sich Gedanken macht. Wir bekommen im Leben schon alles vorgekaut. Ich finde so kleine »Fantasie-Inseln« deshalb sehr spannend und auch sehr wichtig.

Lebst du von deiner Fotografie?
Nein. Fluch und Segen zugleich. Natürlich ist es schön, wenn jemand deine Arbeit zu schätzen weiß. Auf der anderen Seite möchte ich mich aber auch nicht verkaufen. Ich möchte »Ich« bleiben und nicht auf Kommando kreativ sein, da würde viel verloren gehen. Ich sehe das bei vielen Musikern, aber auch Fotografen. Schau dir z.B. Hochzeitsfotos von professionellen Fotografen an. Kreativität, Charme und Witz ersticken oft in Zeitnot, Routine und den Zwang, das Leben zu finanzieren. Ich mache prinzipiell nur das, was mir Spaß macht und möchte mir da nicht gern reinreden lassen. Klingt vielleicht überheblich, ist es aber nicht. Ich möchte einfach nur meinen Anspruch Genüge tragen, denn ich selbst bin mein größter Kritiker.

Welches Bilderprojekt würdest du gern einmal realisieren?
In farbenfroh glänzenden Nylon-Freizeitanzügen aus den 90ern und vor den passenden Gebäuden abstrakte Situationen nachspielen. Irgendwie sollte noch ein Mann mit Anzug dabei sein, alkoholische Erfrischungsgetränke, Kinderwagen, ein Hund und wichtige Gegenstände. Hab da ganz grobe Visionen im Kopf, die mich gerade zum Schmunzeln bringen. Fotografien mit älteren Menschen würden mich auch sehr reizen.

Jens Kuhn, Jg. 1970, lebt und arbeitet in Weimar. Er fotografiert seit 15 Jahren. Zu finden sind er und seine Bilder unter seinem Facebook-Account.