Wenn Männer trauern

Der österreichische Psychoanalytiker, Genderforscher und Männeraktivist Erich Lehner wendet sich gegen das gängige Klischee vom gefühlsarmen starken Geschlecht.

ein Mann hält sich die Hand vors Gesicht

Text: Thomas Gesterkamp
Foto: una.knipsolina, photocase.de

 
Eine Schlüsselszene im Finale der Champions League 2019: Der ägyptische Starstürmer des FC Liverpool, Mohammed Salah, hat sich ganz früh schwer verletzt. Er muss sofort ausgewechselt werden, unter Tränen verlässt er den Rasen. »Titan« Oliver Kahn, einst Torwart der deutschen Nationalmannschaft, vertritt dazu in der Halbzeitpause im Fernsehstudio eine klare Meinung: »Sowas gehört nicht auf den Platz!«
Dürfen Männer Gefühle zeigen, sogar weinen, und dann noch bei einem Fußballspiel? Solange schlechte Vorbilder wie Kahn (der inzwischen als TV-Kommentator selbst ausgewechselt wurde) verstaubte Männlichkeitskonzepte medienwirksam verteidigen, haben es zuschauende Jungen – wie auch ihre Väter – schwer, von traditionellen Normen abzuweichen. Viele Männer trauen sich nicht, Gefühle zu zeigen oder gar der Devise zu folgen: Boys are allowed to cry!
Erich Lehner hat sich in seinem neuen Buch »Ohne dich« dieses Themas angenommen und beschäftigt sich mit Männern, die trauern.

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In all den Weiten

Muss man alles aussprechen, alles benennen? Aber nein. Die Fotografie hat ihre eigenen Mittel und Möglichkeiten, der Welt auf den Grund zu gehen.

Text: Frank Keil
Foto: Tom Licht, Buchcover

 
Männerbuch der Woche, 36te KW. – Tom Licht erzählt mit gekonnt spröden Fotografien in »Der Vater, der Sohn und der Krieg« von einer doppelten Vatersuche in den Weiten Russlands und von einer Reise dorthin.

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Auf der Suche nach der Suche

Was wollen wir nicht alles über uns wissen … aber was, wenn es dann soweit ist? Ändert sich etwas?

Lichtspur von Autos in der Nacht

Text: Frank Keil
Foto: Grany187, photocase.de

 
Männerbuch der Woche, 34te KW. – Zora del Buono macht sich in »Seinetwegen« auf die Suche nach ihrem Vater. Sucht, wer ihn und warum auf einer Schweizer Landstraße fahrend getötet hat und was danach geschah und was daher heute ist.

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»Die Kirche muss mich ertragen. Ich mute mich der Kirche zu.«

Nachruf auf Andreas Borter

eine Person im Gegenlicht in einer langen Gasse
Text: Frank Keil
Foto: capicua, photocase.de

 
Die Nachricht kam per E-Mail von männer.ch: Andreas Borter ist gestorben. Ich wischte die Nachricht weg und sah aus dem Fenster, während die S-Bahn in weitem Bogen aus dem Bahnhof und dem Tunnel heraus so verlässlich ins Helle fuhr. Ich schaute noch mal nach und es stimmte.
Wir sind uns gar nicht so oft begegnet. Aber manchmal reichen ja wenige Begegnungen und man lernt jemanden schätzen. Das erste Mal traf ich ihn auf einer unseren Redaktionskonferenzen vom ERNST, unserem Magazin, dem Nachfolger der Männerzeitung. Er stand in der Tür, groß und schlank, mit seinem dichten, weißen Haar und den dunklen Augenbrauen. Manchmal werden Männer im Alter noch mal auf besondere Weise schön und interessant. Es war so eine Ruhe und Sicherheit um ihn herum. Wir tagten, wir redeten, wir waren von unseren Ideen begeistert, die wir dann wieder verwarfen. Und zwischendurch gab es etwas zu essen, ein Nachtmahl, ich mag dieses mir so fremde Wort noch immer. Und er war einfach dabei.
Andreas, der Pastor und Theologe und Männeraktivist, erfahren und früh dabei, gab uns bald ein langes Interview für unsere Glaubens-Nummer, die Ausgabe 14. Wir waren gar nicht wild christlich unterwegs oder gediegen spirituell gestimmt. Uns interessierte das Glauben und das Zweifeln, egal auf welchem Feld, gleich in welche Richtung, und ich glaube (!), genau das hat Andreas gereizt, uns von seinem Weg zu erzählen, der ihn als jungen Mann damals von der Theologie zur Männerbewegung gebracht hat. »Wir befreiungstheologischen Männer sind am Anfang einfach mit den Frauen mitgelaufen, weil wir die Frauen unterstützen wollten – und weil es nichts anderes gab«, sagt er in dem Interview. In dem ich auch zu spüren meine, welche Kämpfe er als kritischer Mann innerhalb seiner Kirche ausgefochten hat und dass es ihn Kraft gekostet hat: »So bin ich nie aus der Kirche ausgetreten – und will das auch nicht. Die Kirche muss mich ertragen. Ich mute mich der Kirche zu.«
Zuletzt habe ich ihn bei einem großen Fest in Burgdorf gesehen, im Juni. Ich kannte nur wenige der Gäste. Und ich freute mich daher, dass es sich ergab, dass Andreas und ich uns gegenübersaßen und dass es so blieb. Es gab gut zu essen und zu trinken, und wir langten beide zu. Wir redeten, wir erzählten uns was oder wir schwiegen und sahen den anderen Gästen zu. Auch das schätzte ich an ihm: Dass man einfach jeweils still sein konnte.
Er ging recht früh, das Fest war noch im Gange. Aber er musste am nächsten Morgen bald los, wie er erzählte: Er würde aus der einen Richtung der Schweiz losfahren, seine Frau aus einer anderen Richtung, sie würden sich in Italien treffen, für ein paar Tage es sich gut gehen lassen, und wir nahmen uns etwas schüchtern in den Arm, und dann ging er durch den großen, bunt beleuchten Saal zum Ausgang, und ich bin mir sicher, dass er es guthat, da wo er jetzt ist.

 
Einen weiteren Nachruf von Christoph Walser und Markus Theunert, beide männer.ch, gibt es hier.

»Das Herz ist mir so schwer«

Die Ära des Stalinismus ist bei uns nur grob bekannt. Im Detail betrachtet zeigt sich ein Schreckensregime, das bis ins Privat-Familiäre hinein wütete.

Abendliches Gegenlicht in einem russischen Dorf

Text: Frank Keil
Foto: heckenschwein, photocase.de

 
Männerbuch der Woche, 30te KW. – Die Herausgeberin Irina Scherbakowa holt in »Ich glaube an unsere Kinder – Briefe von Vätern aus dem Gulag« Lebensläufe der Stalin-Jahrzehnte aus der Dunkelheit.

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Wandernd durch das Trauertal

Aufschreiben, was ist. Beschreiben, was war, wie es vielleicht wieder sein könnte, auch wenn es nie wieder so sein wird – das ist eine wahre Herausforderung.

Spiegelung eines Baumes mit Herbstblättern im Wasser

Text: Frank Keil
Foto: derProjektor, photocase.de

 
Männerbuch der Woche, 7te KW. – Elke Naters erzählt in ihrem Protokollroman »Alles ist gut, bis es dann nicht mehr gut ist« nach dem Tod ihres Mannes, wie es wieder annehmbar wird, auch weil die Trauer und der bleibende Verlust zu dem gehören, was man so leichthin wie unbedarft »das Leben« nennt.

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Trauer in Venedig

Was, wenn einem klar wird, dass das eigene Leben endlich ist und das der heutigen Welt noch dazu? Oder hat das nichts miteinander zu tun?

Venedig am Abend mit Gondeln

Text: Frank Keil
Foto: 50Centimos, photocase.de

 
Männerbuch der Woche, 4te KW. – Daniel Schreiber widmet sich in seinem Essay »Die Zeit der Verluste« so gekonnt wie berührend dem Zusammenspiel wie Gegensatz von privater und gesellschaftlicher Trauer.

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Weiterhin Krieg

Der Krieg in Bosnien? Ja, den gab es. Aber was war da noch mal los? Was hat er mit den Menschen gemacht? Und hätte man daraus vielleicht etwas lernen können?

Text: Frank Keil
Foto: pur, photocase.de

 
Männerbuch der Woche, 3te KW. – Tijan Sila erzählt in »Radio Sarajevo« beeindruckend nah wie nüchtern vom Ende einer Kindheit unter ständigem Beschuss. Es hat seine Zeit gebraucht, bis er sich dieser Lebensphase literarisch nähern konnte.

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»Leben. Leben. Leben.«

Festhalten. Loslassen. Und immer weiterlesen, den Helden und Heldinnen folgen, auf ihren Wegen und Irrwegen, dass die Welt stillsteht – was für ein großes Vergnügen!

Zwei Männer gehen über einen Friedhof

Text: Frank Keil
Foto: secretgarden, photocase.de

1.050 Seiten sattes Leben voller Verzweiflung und voller Hoffnung(en) im Männerbuch der Woche, 20te KW. Der Roman »Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit« von Karl Ove Knausgård schickt uns in ein sympathisch-chaotisches und ganz eigenes Universum.

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Luftalarm

Schauen wir in den Himmel, sehen wir was ist. Und gehen entspannt oder besorgt in den Tag. Der was wohl bringen wird?

Frau mit geschlossenen Augen in einem lost place

Text: Frank Keil
Foto: jodofe, photocase.de

Aus leider düsterem Anlass: ein Männerbuch-der-Woche-Special, 8te KW. Heute ist es ein Jahr her, dass der russische Staat samt seinem Militär die souveräne Ukraine überfallen hat. Beobachtungen, Eindrücke, Verarbeitungen, Bewältigungen von Yevgenia Belorusets (»Anfang des Krieges – Tagebuch aus Kyjiw«), Irina Rastorgueva (»Das Russlandsimulakrum«), Alhierd Bacharevič (»Sie haben schon verloren – Repression und Revolte in Belarus«) und Katja Petrowskaja (»Das Foto schaute mich an«) zu einer Invasion, deren Ende nicht in Sicht ist.

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