»Ein ganzer Mann ist bloß ein halber Mensch.«

Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Thomas Scheskat, Göttingen

Zwei Männer mit Gesichtsbemalung
Interview und Redaktion: Alexander Bentheim
Fotos: stefan m., photocase.de | privat

 
Thomas, was war dein persönlicher, biografischer Zugang zu Jungen-, Männer- und Väterthemen? Und was dein politisch-thematischer?
Ich würde meine Antwort in drei Ebenen differenzieren, auch wenn sie alle eng miteinander zusammenhängen. Persönlich sind für mich Unterlegenheitserfahrungen als Junge wichtig gewesen, in Ringkämpfen oder Prügelauseinandersetzungen wusste ich mich nicht durchzusetzen, hatte davor auch immer Angst. Gleichaltrige oder auch Ältere habe ich oft als gemein und unfair erlebt, weil es um Herausforderungen und Angriffe ging, um Dominanz und Einschüchterung, was die Angreifenden wie als Beweis für ihre Stärke benutzt haben. Das hat mich geängstigt; erst später habe ich mir über diesen Zusammenhang viele Gedanken gemacht. Mit Angreifenden und um Überlegenheit Bemühten wollte ich mich also nie identifizieren, und das hatte auch viel mit meiner Familienerziehung zu tun, wo es eher um Fairness oder korrektes Benehmen ging, was ja grundsätzlich gut ist – nur auch mit der Schattenseite, zu brav zu sein und nicht wirklich Strategien gelernt zu haben, wie man sich trotzdem verteidigen und durchsetzen kann.
In diesen persönlichen Bereich gehören in der zweiten Ebene auch die Erfahrungen mit Freundinnen, die unter ihrem Frau-Sein irgendwie mehr leiden mussten als ich unter meinem Junge-Sein beziehungsweise Mann-Werden. Das ging los mit solchen »Phänomen« wie deren Periode oder Benachteiligungen in der Schule, wenn es etwa hieß, Mädchen seien halt nicht so gut in Mathematik. Das ist mir immer schmerzlich aufgefallen. Trotzdem wurde ich als Junge sozialisiert, das heißt, auch »reingeknetet« in dieses subjektive Gefühl, als Mann »natürlicherweise« irgendwie überlegen oder privilegiert zu sein. Im späteren Alter waren dann meine Freundinnen frauenbewegt-feministisch unterwegs, und ich bekam aus deren Umfeld ziemlich Gegenwind. Also Kritik und zum Teil auch Hohn und Spott für alles, was als mackerhaft oder, wie wir heute sagen würden, »toxisch männlich« empfunden wurde. So entstanden meine Motive, mich zu ändern, gerne anders sein zu wollen, so dass ich diesen Frauen gefalle oder sie mich mindestens akzeptieren; das war allerdings oft auch vergeblich. Aber es hatte einen Antrieb gesetzt, mich nach neuen Identifizierungsmöglichkeiten umzuschauen. Und die fand ich dann in Männergruppen durch die Begegnung mit Männern, die ebensolche Veränderungswünsche hatten.
Auf der dritten Ebene, die ich die größere politische-historische Wetterlage nennen würde, waren diverse Kriegsgeschichten sehr bedeutsam – mein Großvater, der im 2. Weltkrieg in Russland umgekommen war, mein Vater, der als Jugendlicher bei der FlaK dienen musste, dort lebensgefährlich unterwegs war und auch Klassenkameraden sterben sah. Dann seine eigene Jungmann-Geschichte, wie er sich aus diesen Kriegswirren rausbewegt und ins neue westdeutsche Nachkriegsleben hineingefunden hat. All das hat mich mitgeprägt, hatte einerseits Vorbildcharakter, enthielt aber auch Aspekte von einem negativem Vorbild, von dem ich mich abgrenzen wollte. Den 2. Weltkrieg habe ich grundsätzlich als Katastrophe erzählt bekommen, die sich nicht wiederholen möge. Dann folgten Konflikte, die ich schon mit dem eigenen Verstand wahrnehmen konnte, wie etwa der Vietnamkrieg. Und letztlich bin ich zu einer pazifistischen Einstellung gelangt, allerdings nicht im klassischen Sinne – weil ich entschieden hatte, ich könnte mich nicht auf eine radikalpazifistische »Seeleninsel« retten und anderen, ginge es um eine Landesverteidigung, die gewissensbelastende Drecksarbeit überlassen. Heute nenne ich pazifistisch, was sich auf die Ablehnung jeglichen Angriffskrieges beziehen würde, aber davon trennen würde ich eine Bereitschaft zur Verteidigung. Was mich noch geprägt hat, war die Ablehnung von Aufopferungswillen für eine vermeintlich größere Sache, so wie mein Großvater für seine Heimatliebe – die er besaß, ohne Nazi zu sein, und trotzdem freiwillig mit in den Krieg zog. Mein Vater wiederholte dies dann vom Muster her, als er in der Wirtschaft durchstartete und bei seinem Aufstieg seine Gesundheit opferte.

Welche waren damals und sind heute deine zentralen Themen in der Beschäftigung mit Jungen, Männern, Vätern? Wie hat sich dein Engagement entwickelt, ggf. verändert?
Als zentral sehe ich meine Erlebnisse und Wahrnehmungen von allem, was ich »Konfliktunfähigkeit« nennen würde und was mit Kommunikationsunfähigkeit zu tun hat – also mit eigenen Gefühlsspannungen eben nicht umzugehen, und wie so auch Gewalt entsteht. Ich hatte, wie schon erwähnt, eigene Erlebnisse als Kind, also wusste ich, wie sich das anfühlt, Opfer von Bedrohung oder Schlägen zu sein. Ich konnte mich von daher immer gut in Frauen hineinversetzen, die in typische Gewaltverhältnisse zu Männern geraten – typisch verstanden sowohl als die private, häusliche Familiengewalt, als auch das Bedrohtsein durch anonyme Gewalt auf der Straße oder, wie uns heute wieder deutlicher vor Augen geführt wird, im Krieg. Gewaltverhältnisse waren für mich immer zentral für die Geschlechterfragen, auch weil ich einmal erleben musste, wie eine mir nahestehende Frau Opfer einer Vergewaltigung wurde, mit Folgen, die man sich daraus nicht wünscht.
Dadurch faszinierten mich Ansätze dazu, wie mit diesen Unfähigkeiten verändernd umgegangen werden könnte. Ich habe in meinem Buch über Aggression ein Erlebnis geschildert, wie eine Rockerbande ein Schulfest an meiner Schule überfiel, ich dort einen Angriff auf einen Mitschüler mit ansah, ich den Täter der Polizei zeigte und dann später von dieser Rockerbande bedroht wurde. Warum ich diese Gewalterfahrung hier erwähne: Weil ich später durch einen Zufall wieder einigen von denen gegenübertrat, als ein Vikar einer Kirchengemeinde, der bei uns in der Schule auch Religion unterrichtete, eine Begegnung von uns Gymnasialschülern mit sozialen Randgruppen organisierte. Und so trat ich zufällig wieder einigen aus dieser Bande gegenüber, die wahrscheinlich im Rahmen des Jugendstrafvollzugs eine soziale Maßnahme abolvierten. So erfuhr ich etwas über deren Familiengeschichten und es dämmerte mir, dass nichts von nichts kommt und Gewalt Wurzeln und Ursachen hat. Diese Verständigung darüber mit den ehemaligen Tätern, die mich zuvor bedroht hatten, war schlüsselhaft für meine spätere Laufbahn als Männerarbeiter und in der Psychotherapie.
Als meine persönliche Strategie habe ich die Körperpsychotherapie entdeckt und festgestellt, dass sie nach wie vor die wirksamste Methode ist, mit Menschen an Veränderungen zu arbeiten, d.h. sie zu Selbsterkenntnis und auch zur Lust an Selbstentwicklung anzuregen. All das braucht man, um zum Beispiel Gewalttäter dafür zu gewinnen, ihre Gewaltneigungen verändern zu wollen. Dies habe ich seit nunmehr 22 Jahren im Rahmen einer psychiatrischen Klinik mit Straftätern direkt erproben und weiter ausgestalten können.
Darüber hinaus engagierte ich mich im Verein »Woge – Wege ohne Gewalt«, eine Einrichtung zum Verantwortungstraining gegen häusliche Gewalt, die ich mitgegründet und deren Arbeit ich mit entwickelt habe. Häusliche Gewalttäter bekommen hier die Chance, durch ein Training von Strafverfolgung befreit zu werden. Dabei geht es auch um männliche Identität: womit identifizieren sich Männer? Was prägt ihr Selbstverständnis? Und wie entsteht daraus Schaden, körperlich und seelisch für sich selbst, und auch für ihre Beziehungen? Wenn diese Identifizierung bei jemandem sehr eng ist und er vieles andere – etwa das vermeintlich Weibliche und Kindliche – aus dem Menschsein ausklammert, nennt er dann das, was überbleibt, das Männliche. Dafür verwende ich die Formel: Was man traditionell den ganzen Mann nennt, ist höchstens ein halber Mensch. Es entsteht so die Frage: Will ich ein »ganzer Mann« sein oder will ich ein ganzer Mensch sein? Dies sind Widersprüche, die man fruchtbar aufgreifen und bis zu der Frage führen kann: Wer will ich sein, was in mir will ich zum Wachsen bringen, und wofür bin ich auch bereit einzustehen? Wenn dies mir die »Entwertung« einträgt, dann angeblich kein richtiger Mann zu sein, kann ich das dann mit Selbstvertrauen und neuer Stärke behaupten? Dazu haben für mich die Milieus beigetragen, in denen ich mich bewegt habe, früher studentisch, dann wie auch immer linksgrünliberal, wo man sich auch in seinen Blasen verkriechen kann. Zum Ausgleich habe ich mit den real existierenden Männermilieus dennoch reichlich Kontakt gehabt: im Handballverein, bei der Bundeswehr, bei der Waldarbeit (weil ich auch mal Forstwissenschaft studiert habe), und zuletzt während der Jahre mit psychisch kranken Straftätern. Das alles mündet für mich in die neuzeitliche Kategorisierung von »toxischer Männlichkeit«. Ich halte sehr viel von dieser Begriffsidee, wobei ich aber auch davor warne, sie zu leichtfertig zu verwenden. Es muss gut erklärt werden, weil selbstverständlich nicht Männer an sich toxisch sind, sondern deren Männlichkeitsstereotypen. So kam ich dazu, Arbeitsideen zu entwickeln, die man vielleicht »Strategien der Entgiftung« nennen könnte, die Entgiftung von Aggression. Für mich ist dies schlüsselhaft, um an sich zu arbeiten – wenn man die Aggression weiterfasst und nicht nur als den feindseligen Angriff begreift, sondern als alles, was mit einer Handlungsenergie »angefasst« wird, um es zu verändern oder zu beeinflussen. So wie es im Wortsinn des alten »aggredi« schlicht bedeutet: herangehen, nach vorne gehen. Und das, was wir klassischerweise als Aggression bezeichnen, das nennen wir in der Arbeit dann »vergiftete Aggression«, wenn es eben sich selbst, andere oder unsere Beziehungen beschädigt. Davor bleibt aber: jede Menge Zumutung, auch der Mut, sich anderen mit seinen berechtigten Anliegen und Positionierungen zuzumuten, und zugleich eine gute Abgrenzung zur Gewalt zu entwickeln. Das ist mein zentrales Arbeitsthema, verbunden mit der Idee, dass sich so auch »toxische Männlichkeit« mit Selbsterfahrungsstrategien entgiften lässt. In diesen skizzierten Schritten – Selbsterfahrung, Körperpsychotherapie, Männerarbeit, Aggressionsarbeit – stecken auch die Veränderungschancen in meiner Herangehensweise: Menschen, die mit ihrer Handlungsenergie und Kraft konfrontiert werden, können sich klar machen, was sie damit erwirken oder anrichten. Die meisten finden das spannend und sind, wenn sie durch dieses Themenportal der Aggression gehen, auf einmal wundersam bereit, sich mit viel mehr noch auseinanderzusetzen, eben weil sie auf einmal die Arbeit an sich selbst entdecken und Lust darauf bekommen.
Eine spannende Erweiterung der Aggressionsarbeit ergab sich auch in der Begegnungsarbeit zwischen Männern und Frauen: sich insbesondere über das Thema Aggression mit den diversen Positionen in der Gesellschaft und den verschiedenen psychischen Prägungen durch Geschlechterbilder auseinanderzusetzen – um dann in den Dialog und wieder zueinander zu finden.
Meinen Weg über die Stationen »Männerbüro Göttingen« (1986) und dann die Entwicklung der Männerjahresgruppen mit dem Konzept »Mannsein – eine einjährige Forschungsreise«, die ich fast 30 Jahre lang an verschiedenen Orten mit 400-500 Männern durchgeführt habe, möchte ich nicht missen; ich sehe immer noch mit großer Befriedigung, was ich hierbei mit anderen Männern teilen konnte.

Für dich nachhaltige gesellschaftliche oder historische Ereignisse – auch im Kontext deiner Arbeit?
Früh schon, noch als Kind, hat mich der Holocaust extrem berührt, ich erinnere meine Fassungslosigkeit, als Anfang der 1960er Jahre die ersten Auschwitzprozesse begannen, und »SPIEGEL«-Serien darüber mit Fotos von KZ-Szenen, Leichenbergen und vielem mehr erschienen. Das hat mich vollkommen fassungslos gemacht, aber auch einen schnellen Einblick in die Realitäten dieser Welt gegeben. Später hatte ich viele Begegnungen in und mit der DDR, weil ich dort eine Liebesbeziehung hatte und mit dieser Frau in der DDR meinen Sohn bekam. Das »Ereignis DDR« – als Kriegsfolge mit der Spaltung Deutschlands, mit so vielen Dramen und Inkonsequenzen auf allen Seiten – historische Trennlinien, die auch quer durch unsere Familie gingen, Beziehungen über Grenzen zu haben, zu halten und auch wieder scheitern zu sehen, das hat mich auch geprägt. Und wie schon erwähnt: Pazifismus als die Ablehnung von Angriffskriegen, und Feminismus als großes Feld des Kampfes von Frauen um Gleichberechtigung mit allen Erfolgen und auch Irrtümern und Irrwegen, das fand ich für mich extrem nachhaltig.
Für den Kontext meiner Arbeit sind die erwähnten persönlichen Erfahrungen ebenso wichtig, der Überfall der Rockerbande und die spätere Begegnung mit denen als Art »schicksalhaftem Geschenk«. Bedeutsam waren meine Ambivalenz beim Wehrdienst aus Gewissensgründen wegen der nicht zu delegierenden Kriegsdrecksarbeit an andere, aber auch die entwürdigenden Erfahrung beim Wehrdienst selbst, sodass ich nach dem Wehrdienst dann noch den Kriegsdienst verweigerte. Die genannten Gewalterfahrungen gegen Freundinnen oder Frauen, die ich kannte, waren ebenso prägend wie die Erfahrungen während der Körperpsychotherapie-Ausbildung, die viele tiefe, innere Einblicke in die eigene Seele, auch Selbstkritik, ermöglicht haben. Dazu zählten auch die Erfahrung mit Kampfübungen, Boxen und Ringen hauptsächlich, aber auch Tai-Chi als »tänzerische Kampfdisziplin«, und wie man sie benutzen kann, um daraus eine gesunde Selbstbehauptung unter Einbeziehung des Rechts des Gegenübers machen zu können. Dies einschließlich einer guten Eigenpositionierung, die einen nicht wehrlos macht, aber bei der man auch nicht zum toxischen Angreifer wird. Und nicht zuletzt alles, was ich als Vater erlebt habe, vom Miterleben zweier Geburten mit allen Dramen und Freuden, Kleinkindfürsorge, enge Verbundenheit, Symbiose, Gefühle, und Auseinandersetzung mit einem pubertierenden Jugendlichen, aus der die Notwendigkeit entstand, aus Liebe zum Kind auch Autorität zu bilden und auszuüben, was eine Menge Zumutung für beide Seiten beinhaltete. All das in gesellschaftlicher und persönlicher Wechselbeziehung waren wichtige Elemente für meine Arbeit. – (eine Fortsetzung des Interviews folgt in Kürze)

 

 
 
 
 
 
:: Thomas Scheskat, Pädagoge M.A., absolvierte eine körperpsychotherapeutische Ausbildung sowie Weiterbildungen in Tiefenpsychologie, Psychotherapie mit Sexualstraftätern und Dialektisch-Behavioraler Therapie (DBT/IBT). Er gründete 1986 das Männerbüro Göttingen und 1997 das Göttinger Institut für Männerbildung mit. Seit 35 Jahren arbeitet er freiberuflich mit körperorientierten Verfahren in Männer- und gemischtgeschlechtlichen Gruppen, in Einzel- und Paararbeit sowie in Beratung und Coaching. Seit 2002 ist er als Stations- und Gruppenleiter im psychologischen Dienst der forensisch-psychiatrischen Landesklinik Moringen in Niedersachsen tätig. Er war Mitgründer und Vorstand der Beratungsstelle Wege ohne Gewalt e.V. Göttingen – Verantwortungstraining für Täter:innen häuslicher Gewalt.

Das bin noch ich

Wer sind wir, wenn wir nicht mehr das tun können, von dem wir denken, dass es uns ausmacht? Und wie finden wir das heraus?

Ein Mann spielt Geige in einem Zimmer

Text: Frank Keil
Foto: Bengelsdorf, photocase.de

 
Männerbuch der Woche, 41te KW. – Stefan Moster lässt in seinem Roman »Bin das noch ich« auf einer finnische Schäreninsel einen verzweifelten Musiker allmählich wieder zu sich kommen. Es hilft: die Natur, auch die Sonate für Violine Solo von Belá Bartók.

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»Aus dem Tagebuch eines Blindgängers«

Jürgen Flegers »Schmunzelgeschichten aus dem lichtleeren Raum« als Verständigungsangebot für sehende Menschen.

Text: Alexander Bentheim
Foto: ozzuboy, photocase.de

 
Für sehende Menschen ist es oft ein Rätsel: Wie kann man ohne Augenlicht überleben? »Ganz gut!«, findet Jürgen Fleger, »hilfreich ist allerdings, wenn man genügend Erfahrungen sammeln konnte und ein paar Tricks und Kniffe gelernt hat«.
Jürgen Fleger ist seit gut 30 Jahren komplett blind und weiß, wovon er spricht. Denn er ist schon recht viel herumgekommen in der Welt. Alleine, oder in Begleitung seiner Blindenführhunde, hat er fast alle Länder Europas bereist, war auch in Indien, Nord- und Südamerika. Und hat von überall her »wirklich erlebte« Anekdoten mitgebracht, in denen er kurzweilig und mit Humor beschreibt, was einem blinden Menschen passieren kann, wenn er offenen Ohres durch’s Leben geht. Er beschreibt Erlebnisse, in denen es mal lustig und mal schon einigermaßen gefährlich zuging. Dabei erklärt er anschaulich, wo die Probleme für blinde Menschen liegen können und macht sehenden Menschen Lust, nochmal über ihre bisherigen Strategien für Hilfsangebote nachzudenken. Jürgen Fleger nimmt mit in seine unsichtbare Welt und gibt praktische Tipps, wie jede*r blinde Menschen im Alltag gut unterstützen kann.

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Hinter dem Praterstern

Immer geht es weiter, es passiert das nächste und das nächste … Doch was ist mit denen, die nicht können oder wollen, dass das Tempo immer wieder immer weiter anzieht?

Männer in einem Wiener Caféhaus

Text: Frank Keil
Foto: martinsombrero, photocase.de

 
Männerbuch der Woche, 34te KW. – Robert Seethaler bietet mit »Das Café ohne Namen« eine das Heute berührende Zeitreise ins Wien der 1960er-70er-Jahre.

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Nicht allzu viele Worte und dennoch enorm viel Bedeutung

Immer diese langen Texte. Immer diese endlosen Romane. 1000 Seiten – und mehr. Es geht auch anders: runterdimmen, um wieder auf Touren zu kommen.

Mann sitzt mit Stift über einem Papier

Text: Frank Keil
Foto: aoo3771, photocase.de

Männerbuch der Woche, 22te KW. – Kurz, sehr kurz und sehr, sehr kurz und immer wieder sehr komisch: Jürgen Hosemann versammelt in »Papierkorb« wunderbarste Miniaturen und textliche Erprobungen zum Bewahren und also Aufheben und Bedenken.

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»Man kann Kinder für das Aufräumen ein bisschen austricksen«

Martin Tolkmitt, 13, Schüler der Stadtteilschule Niendorf und Teilnehmer am Halbjahreskurs »Soziale Jungs vor Ort«, über seine Mitarbeit im Kinderhaus »Fliewatuut«.

2 Kinder spielen im Matsch

Interview: Alexander Bentheim
Foto: suze, photocase.de

Martin, was hat dich am meisten beeindruckt während deiner Mitarbeit?
Dass wir tatsächlich viel mit den Kindern gespielt und sie beschäftigt haben, was ich zuerst gar nicht als richtige Hilfe gesehen habe. Ich dachte, spielen bedeutet nicht so viel, aber doch, darüber kann man ja Vertrauen herstellen.

Mit wie vielen Kindern hattest du zu tun und in welchem Alter waren diese?
Das waren so bis zu 15-16 Kinder, im Alter von 2 bis 6 Jahre.

Was hat dich überrascht, das du zuvor nicht gewusst hast?
Dass ein Kind einfach zu weinen anfängt, nur weil es mich sieht. Also das war in einer Situation, wo wir fangen spielen wollten, und plötzlich weinte der Junge los. Vielleicht war ihm das zu plötzlich mit dem Spiel, obwohl ich mich schon bemüht hatte, nicht zu schnell zu sein. Aber nach kurzer Zeit war das vorbei. Ach ja, und dass manche Kinder richtig gewalttätig sein können, also dass sie Spielzeug nehmen und dich damit schlagen oder an deinen Klamotten ziehen. Dann habe ich zwar »Stop!« gesagt, aber so richtig zugehört hat wohl niemand. Erst als die Erzieherin dazu kam, haben sie aufgehört. Ich muss wohl etwas strenger werden. Oder konsequenter. Überhaupt mussten wir aber auch aufpassen, dass sie sich nicht verletzen, weil sie schon ein bisschen wild waren.

Was hast du gelernt, wovon du sagst: das nehme ich mit aus dieser Zeit?
Dass man mit den Kindern nicht sofort losspielen kann, sondern warten muss, bis sie zu dir kommen. Ich wollte eine Verbindung herstellen zu einem Kind, aber das war etwas schwierig, weil ich ja neu war und unbekannt für das Kind. Da muss man erstmal etwas anderes machen und warten, bis sie zu dir kommen und dann kannst du fragen: »Na, willst spielen?« Man muss sich halt langsam kennenlernen.

Würdest du etwas verbessern wollen oder anders machen?
Ja, vielleicht nicht so sehr nur mit den Kindern spielen, sondern ihnen auch beibringen, nicht so wild zu sein. Was ich aber nicht geschafft habe … vielleicht bin ich ja zu nett und wollte keinen »bösen« Eindruck vermitteln. Und ich hätte gern noch etwas mehr Anleitung gehabt, was wir mit den Kindern machen sollen. Am Anfang hab ich viel gefragt, was wir mit denen machen, aber da gab es nicht so viele Antworten. Wir sollten wohl selbst herausfinden, was wir alles machen können.

Fühltest du dich insgesamt wohl in der Einrichtung, mit den Kindern?
Zuerst war es ungewohnt, weil ich vorher noch nie – also als schon etwas Älterer – in einer Kita war. Da habe ich so viele Kinder gesehen und wusste nicht genau, was ich mit denen nun machen soll. Es war alles neu, aber mit der Zeit habe ich mich schon wohlgefühlt und es war dann alles einfacher.

Hast du ein Beispiel für ein Spielangebot, bei dem die Kinder richtig neugierig oder begeistert waren?
Neugierig weiß ich jetzt nicht so, aber die haben oft Fangen gespielt mit uns, und sie haben damit auch angefangen, und Bela – mit dem zusammen ich im Kinderhaus war – und ich haben dann halt mitgemacht. Dann haben sie uns erwischt, aber wir sind auch wieder rausgekommen und dann gab es viel Geschrei. Da war dann natürlich viel Begeisterung und Spaß dabei.

Würdest du diese Arbeit anderen Jungs empfehlen? Und welche Voraussetzungen bräuchte jemand deiner Meinung nach dafür?
Man braucht auf jeden Fall Geduld. Am Anfang war es ja so, dass wir darauf warten mussten, dass die Kinder auf uns zukommen, nicht umgekehrt. Und man braucht etwas Mut, mit ihnen zu sprechen, weil man ja bei dem Altersunterschied nicht gleich weiß, wie man sie ansprechen kann, vor allem wenn man keine kleinen Geschwister hat. Und man sollte nicht schnell reizbar sein oder wütend werden, nicht alles persönlich nehmen, weil man ja auch ein Vorbild sein soll. Das brauchte uns auch nicht gesagt werden, denn das haben wir schon selbst schnell gemerkt, dass man sich vorbildlicher verhalten muss.

Gab es Kinder, mit denen du mehr anfangen konntest als mit anderen?
Am Anfang fand ich manche aggressiver und manche netter. Aber eigentlich waren sie alle ganz lieb, wenn wir sie dann besser gekannt haben. Über das gemeinsame Spielen mochten wir dann alle gleich gern.

Gibt es noch etwas, das du erwähnenswert findest?
Man kann die Kinder für das Aufräumen, was ja niemand gerne macht, austricksen: indem man sagt, dass es ein Spiel ist, und wer mehr aufräumt, der gewinnt. Dann kann man einfach dabeistehen und die Kinder räumen schon alles auf. Bela hat jüngere Geschwister und daher weiß er, wie man das richtig ansprechen kann, so mit einem leicht kindlichen »Dialekt« 🙂

Die Runden

Ein Ziel haben, nach Höherem streben, und zugleich auf dem Boden bleiben, im Alltag verhaftet. Das zu vereinen, muss Glück bedeuten.

Ein Taucher vor einer Wand mit Containern

Text: Frank Keil
Foto: Saimen., photocase.de

Männerbuch der Woche, 3te KW. – Arno Geiger erzählt in seinem neuen Buch »Das glückliche Geheimnis« von entscheidenden Lebensmomenten am Altpapiercontainer und damit dem allmählichen Werden eines Schriftstellers.

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»Mehr Selbstvertrauen, dass ich mit Kindern arbeiten kann.«

Emilio Centanaro, 15, über seine Erfahrungen auf dem Hamburger Bauspielplatz Rahlstedt-Ost und was sein Praktikum mit Motivation und Selbstvertrauen zu tun hat.

Junge spielt in einer Waldhütte

Interview: Alexander Bentheim
Foto: coscaron, photocase.de

Emilio, warum ein Praktikum auf einem Bauspielplatz?
Ich fand es interessant, weil ich noch nie so richtig mit Kindern gearbeitet habe. Christian Herzog von der SGA Bramfeld hat mir das Praktikum vorgeschlagen und ich fand das okay und richtig super, die Kinder waren voll nett, und wir konnten da ein bisschen was bauen.

Was waren deine Aufgaben und Tätigkeiten?
Die meiste Zeit habe ich mit den Kindern im Gelände gespielt und auch aufgepasst, dass nichts passiert. Ich habe in der Werkstatt mitgeholfen und Werkzeug an die Kinder ausgeliehen. In der letzten Woche haben wir dann zusammen ein Fahrrad repariert.

Was hat dich auf dem Baui am meisten beeindruckt?
Wie nett die Leute da sind und wie die Kinder einem zuhören können; sie waren nicht so anstrengend wie ich das erwartet hatte.

Mit wie vielen Kindern hattest du zu tun und in welchem Alter waren diese?
Das waren so 6-8 Kinder, sie waren etwa 7 bis 8 Jahre alt.

Was hat dich überrascht, wovon du zuvor nicht gewusst hast?
Dass der Baui so groß ist, das habe ich nicht erwartet. Ich dachte, es gibt nur einen kleinen Raum, in den die Kinder reingehen und z.B. malen können. Aber nein, das war ein sehr großes Gelände mit Spielplatz und vielen Möglichkeiten.

Was hast du gelernt, wovon du sagst: das nehme ich mit aus dieser Zeit?
Mehr Selbstvertrauen, dass ich mit Kindern arbeiten kann. Und dass es positive Überraschungen geben kann, wenn man erst nicht weiß, was auf einen zukommt und man denkt, dass es stressig werden kann mit den Kindern. Aber das war am Ende überhaupt nicht mehr so. Deshalb nehme ich mit, dass ich etwas nicht einschätzen sollte, bevor ich es nicht ausprobiere.

Würdest du irgendetwas noch verbessern oder ganz anders machen?
Nein, es war alles okay.

Fühltest du dich insgesamt wohl in der Einrichtung, mit den Kindern, mit der Anleitung?
Ja, sehr. Auch dass ich, wenn ich mit dem Rad ankam, erstmal etwas zu trinken und manchmal auch Kuchen bekommen habe; ich wurde richtig gut aufgenommen. Wir wollen auch den Kontakt miteinander halten, aber wegen der Schule geht das im Moment gerade nicht. Wenn ich mal Zeit habe, fahre ich einfach vorbei und schaue, wie es denen geht.

Hast du noch ein Beispiel für ein Angebot, wo die Kinder richtig neugierig und begeistert waren?
Ja. Ich musste mal einen kleinen Schrank bauen und da war ein kleiner Junge, der unbedingt mitmachen wollte. Ich hab ihm dann dies und das gezeigt, aber dann verlor er doch die Lust und wollte lieber spielen gehen. Das war wohl etwas viel für ihn, was wir da vorhatten.

Würdest du die Arbeit, die du gemacht hast, anderen empfehlen? Und welche Voraussetzungen bräuchte jemand deiner Meinung nach dafür?
Ja, das würde ich, aber es muss jemand richtig Motivation mitbringen, mit Kindern arbeiten zu wollen! Und viel Energie! Denn die Kinder haben auch viel Energie, wollen laufen und verstecken spielen, und das Gelände ist ja groß. Gut war, dass sie dann doch schneller müde wurden als ich.

Und dann

Arbeiten. Kind füttern. Schlafen. Nachdenken. Sich sorgen. Das Kind betreuen. Verreisen. Dem Kind zuhören. Arbeiten. Schulbrot machen. Wie ist das zu schaffen? Und was passiert dabei?

nachdenklicher Junge

Text: Frank Keil
Foto: macingosh, photocase.de

Männerbuch der Woche, 51te KW. – Heinz Helle erzählt in seinem tagebuchartigem Roman »Wellen« angenehm unaufgeregt von seinem Leben als Schriftsteller mit zwei Kindern – und wie beides seine Welt prägt.

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Papa in der Pandemie

Ein Buch über Kinder in der Pandemie und die Belastung, denen auch Väter ausgesetzt sind, wenn sie sich kümmern.

Vater und Sohn im Wald

Text: Ralf Ruhl
Foto: behrchen, photocase.de

Anton ist ein Bilderbuch-Papa. Also zum einen, weil dies eben ein Bilderbuch ist. Mit sehr schönen, kühlen Illustrationen von Marie Bonnin. Aber auch, weil er mit seinem Sohn Fred das macht, was er selbst als Kind gern gemacht hat. Draußen sein, in den Wald gehen, eine Hütte aus Birkenholz bauen. Aber dann kommt ein Anruf. Oma und Opa wollen zum ersten Mal in ihrem Leben in Urlaub fahren. Sie leben auf einem Bauernhof im Norden und so macht sich Papa auf, sie bei Kuh und Huhn zu vertreten. »Ich komme wieder, sobald sie zurück sind«, sagt er seinem Sohn. Klar versteht der das. Und Papa fährt weg. Nur kommt er leider nicht so schnell wieder …
Ein lesenswertes Buch, weil es vermutlich zum ersten Mal zeigt, wie auch Väter in der Pandemie unter den Kontaktabbrüchen zu ihren Kindern gelitten haben. Und dass es gelingen kann, diese »verlorene« Zeit zu überbrücken und an das Vorher anzuknüpfen.

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