Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Markus Hofer, Feldkirch
Interviewleitfragen: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Fotos: lube, photocase.de | privat
»Was machst du denn da?« Als ich 1996 mit dem Männerbüro der Katholischen Kirche im österreichischen Vorarlberg begann, musste ich ständig erklären oder rechtfertigen, was ich da mache. Meiner Chefin, der Frauenreferentin, passierte das nie. Vermutlich wäre es heute noch nicht viel anders. Wie kam es zu meinem Engagement für Männer?
Alles rund um Männer und Frauen interessierte mich immer schon. Als die ersten Männergruppen aufkamen, hatten wir auch eine; wobei die Anregung nicht von mir kam. Es hat mir aber einfach gutgetan und wurde mir wichtig. Dann las ich die ersten Männerbücher und irgendwann hielt ich die ersten Vorträge zu Männerthemen. Unvergesslich bis heute ist mir ein Vortrag bei der örtlichen Handwerkerzunft, großteils lauter Männer. Die Jüngeren murrten »Jetzt reicht’s dann! Jetzt kann er wieder aufhören!«, die Älteren waren teilweise sehr berührt. Wahrscheinlich konnten sie es sich besser zugestehen, was ich erzählte. Und wahrscheinlich hatte ich die Moralkeule auch etwas zu sehr ausgepackt. Später versuchte ich es vermutlich charmanter und humorvoller. Aber es war für mich eine wichtige Erfahrung; und etwas Mut kostete es auch, mich einfach vor 120 Handwerker hinzustellen und über Mannsein zu reden.
Das Thema jedenfalls ließ mich nicht mehr los und als bei einer Umstrukturierung in unserem kleinen Bistum eine halbe Stelle für Männer blieb, habe ich mich darum beworben. Das war mein unmittelbarer Zugang zur Männerarbeit. Viel später erst wurde mir bewusst, dass das in meinem Leben noch tiefere Hintergründe hat.
Mein Großvater hatte im Ersten Weltkrieg noch für Kaiser und Vaterland gekämpft und er verstand gar nicht, dass ich den Wehrdienst verweigerte und mich zum Zivildienst meldete. Erst später begriff ich, dass dieser ansonsten sehr traditionelle Mann über längere Zeit Alleinerzieher war, als in der großen Arbeitslosigkeit zwischen den Weltkriegen nur meine Großmutter Arbeit fand, und das im weit entfernten Lech am Arlberg. Mein Großvater schaukelte mit seinen drei Kindern alles selber. Zuhause waren wir in der Familie fünf Söhne, ein kleines »Männerbüro« also. Als Ältester erlebte ich einen sehr präsenten Vater, der mir ein guter Ausgleich zu meiner doch starken Mutter war. Mit zehn Jahren kam ich ins Internat, freiwillig, und es war zumindest nachträglich besehen nicht so schlimm, wie man jetzt vielleicht vermuten würde. Von den Ferien abgesehen bin ich also wieder acht Jahre unter Männern herangewachsen. Im Zivildienst beim Roten Kreuz waren wir damals auch nur Männer. Ich hatte also offensichtlich immer schon viel mit Männern zu tun.
Eines meiner ersten Männerbücher war von Herb Goldberg und da gab es einen Satz, der meine Männerarbeit von Anfang an geprägt hat: »Männeremanzipation heißt nicht, dass die Männer jetzt so werden, wie die emanzipierten Frauen glauben, dass sie sein sollten.« Männerarbeit verstand ich von Anfang an als einen eigenständigen Prozess von Männern und für Männer. Einfach nur »den Feminismus« zu kopieren, war mir zu kurz gegriffen. Es war mir bewusst, dass das alles nicht ganz einfach war. Bis heute habe ich den Eindruck, dass Männer gerne und über vieles reden, aber am wenigsten über sich als Männer. Manche hatten auch Angst vor der Moralkeule: »Was ich zuhause alles falsch mache, sagt mir meine Frau dauernd. Das muss ich mir nicht von dir auch noch sagen lassen.« Daraus entstand für mich die Gretchenfrage – um eine Dame zu zitieren – der Männerarbeit: »Wie hältst du es mit den Männern? Liebst du sie? Oder willst du es ihnen zeigen?«
Eine weitere Überzeugung war mir in meiner Arbeit wichtig: Starke Männer und starke Frauen bilden die besten Partnerschaften. Von Anfang an hatte ich es immer wieder mit im Grunde schwachen Männern zu tun gehabt; auch wenn viele nach außen nicht so gewirkt haben mögen. Auch gewalttätige Männer sind für mich schwache Männer. Wirklich Starke haben es nicht nötig, mit Gewalt auf körperlich Schwächere loszugehen. Mit unmittelbaren Gewalttätern hatte ich nicht viel zu tun; da gab es bei uns eine eigene Gewaltberatung. Aber gerade in den Seminaren erlebte ich viele Männer, die eigentlich sehr schwach waren, wenn es drauf ankam, gerade auch in Beziehungen, mit wenig geerdetem Selbstbewusstsein. Ich erinnere mich noch gut an einen Mann, der wie ein Häufchen Elend vor mir saß und bekannte: »Früher wurde meine Frau von ihren Freundinnen immer beneidet, weil sie so einen netten Mann habe, der ihr alles tue. Jetzt, auf einmal, will sie sich scheiden lassen. Sie halte den ‚langweiligen Sack‘ nicht mehr aus«.
Je bekannter das Männerbüro in unserem kleinen, österreichischen Bundesland Vorarlberg wurde, umso mehr kamen natürlich auch Männer zu mir in die Beratung, obwohl wir eigentlich auch eine eigene Männerberatung hatten. Grundsätzlich bestand aber der Schwerpunkt meiner Arbeit in der Männerbildung. Ich hielt viele Vorträge über eine ganze Palette von Themen von Vätern über Jungenerziehung, Partnerschaft, Männerrollen bis zu Mütter und Söhne. Die Vorträge waren selbstverständlich immer offen auch für Frauen. Zusammen mit unserem Bildungshaus St. Arbogast habe ich unzählige Männerseminare angeboten, manche mehrtägig, die meisten aber eintägig. Es waren persönlichkeitsbildende Seminare für Männer mit einer breiten Themenpalette. Für viele Männer wurde das zu einem wichtigen Teil ihrer Lebensgestaltung: Hin und wieder »zum Service« gehen, sich zusammen mit anderen Gedanken über sich als Mann zu machen. Es waren an die zehn Seminare pro Jahr, die wir angeboten hatten. Selten mussten wir etwas absagen und oft gab es sogar Wartelisten. Das Thema Älterwerden als Mann wurde sogar regelrecht überrannt.
Eine Begebenheit werde ich nie vergessen. Das Thema des Männerseminars war »Vom Held zum Lebenskünstler«. Solche Tagesseminare beginne ich immer mit einer Runde zum Thema »Wer bin ich? Warum bin ich da?« Das hat sich als Einstieg stets bewährt und es ist erstaunlich, wie schnell und direkt viele Männer ihre Geschichten auspacken. Einmal dauerte bei sechzehn Männern allein diese Runde ganze zwei Stunden! Als der Sechzehnte an die Reihe kam, meinte er: »Warum bin ich da? Wenn das Seminar jetzt schon zu Ende wäre, hätte es sich für mich auf jeden Fall gelohnt, denn so etwas habe ich unter Männern noch nie erlebt.« Bei solchen Erlebnissen war es für mich nie eine Frage, ob sich meine Arbeit lohnt.
Daneben war es mir ein Anliegen, Lobbying für Männerthemen zu machen. Das war nicht gegen Frauen gerichtet, aber es ist gesellschaftlich wichtig, auch Männeranliegen und -perspektiven in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Damals lief das ganz gut an, da die Medienleute gierig auf Neues waren. So kam ich vorerst leicht mit einem Thema oder einem Angebot in die Medien. Mein Highlight war eine wöchentliche Radiosendung, »Radio Vorarlberg: Männersache«, die mir der lokale Sender anbot und die ich über viele Jahre gestaltete. Anfangs bekam ich begeisterte Rückmeldungen von Frauen, doch dann waren es durchaus auch die Männer, die die kurze Sendung regelmäßig hörten.
Wichtig, wenn auch manchmal mühsam, war das Thema der Scheidungsväter. Da habe ich schon einige grausame Geschichten hautnah mitbekommen. Natürlich schießen Betroffene manchmal übers Ziel in ihrem Schmerz. Es wurde viel geschimpft über rabiate Scheidungsväter, aber kaum jemand fragte sich, warum sie so sind bzw. sich so verhalten. Kaum jemand riskierte einen Blick auf die Verwundungen und Verletzungen, die dahinterlagen. Manche von ihnen sahen in mir die einzige Einrichtung, in der sie auf Verständnis stießen. Solche Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen, war auch Teil meiner Arbeit. Wenn Betroffene Politik machen, kann es manchmal heikel werden. Genau darum tat ich mich leichter.
Nach achtzehn Jahren hauptberuflicher Männerarbeit kam ich allmählich in eine Art Leerlauf. Es gab kaum ein Thema, das ich nicht schon bearbeitet hatte. Bis zur Rente waren es aber noch acht Jahre und das funktioniert nicht im Leerlauf, weshalb ich mich beruflich noch einmal veränderte. Erfolg heißt für mich, Spuren zu hinterlassen, und ich hoffe, dass mir das gelungen ist, gesellschaftlich wie in einigen Männerherzen. Enttäuscht hat mich, dass mein Engagement keinen Nachfolger gefunden hatte. Die Männerberatung existiert zwar weiterhin, aber ansonsten gibt es in Vorarlberg neben den zurecht vielen Frauenreferaten kein Männerreferat mehr; und selbstverständlich immer noch keine Männersprecher in den Parteien. Einige der Älteren erinnern sich zweifellos noch, aber ansonsten ist zumindest gesellschaftspolitisch mein Männerbüro einfach Geschichte; da mache ich mir nichts vor.
Persönlich habe ich über die vielen Jahre enorm profitiert. Trotzdem hat mich manches auch selber eingeholt. Schmunzeln muss ich heute noch über das Thema Älterwerden. Als Experte erklärte ich anderen Männer, wie es so geht mit der Midlife-Krise, immer in der Überzeugung, dass mich das als Profi natürlich nicht betrifft. So kann mann sich täuschen. Ich war altersmäßig nur ein bisschen später dran. Inzwischen verstehe ich die Irrungen und Wirrungen dieser Umbruchsphase aus eigener Erfahrung. Heute habe ich auch diese Phase hinter mir, genieße in kreativer Weise meinen Ruhestand und denke gerade mit etwas nostalgischen Gefühlen an meine Männerarbeit zurück. Aber heute, wenn ich jemandem davon erzähle, heißt es immer noch: »Was hast du denn da gemacht?«
:: Markus Hofer, Dr. phil. Mag. Theol., Jahrgang 1957, verheiratet, kinderlos, wohnhaft in Götzis (Vorarlberg, Österreich). Erwachsenenbildner, Buchautor, Rentner.