»Gemeinsames Spielen ist für mich sinnvolle Beschäftigungstherapie und Demenzprävention«

Der MännerWegeFragebogen – beantwortet von Christian Meyn-Schwarze

nachdenklicher junge im Zirkus
Interview: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Fotos: Comiczeichner, photocase.de | privat

 
Was war oder ist dein persönlich-biografischer Zugang zu Väterthemen?
Ich wurde spät Vater, mit 38. Meine Frau wollte weiterhin ihren Beruf als Bibliothekarin ausüben, sodass ich meine berufliche Tätigkeit auf 19 Stunden reduziert habe; damals in den beiden »Erziehungsurlauben« (heute Elternzeit) durfte ich in einem kirchlichen Büro für Öffentlichkeitsarbeit eine halbe Stelle ausfüllen. Als Vater nahm ich zwei Mal an Babykursen und Spielgruppen im Familienbildungswerk der hiesigen Evangelischen Erwachsenenbildung teil. Die kluge und weitsichtige Leiterin schenkte mir ein erstes »Väter-Buch«, das mir zusammen mit anderen Büchern Impulse für Väter-Kinder-Projekte gab. Weitere Motivation und Unterstützung bekam ich durch Martin Verlinden, der mich zur Teilnahme am »Männer-Väter-Forum Köln« ermunterte.

Welche waren damals und sind heute deine zentralen Themen in der Beschäftigung mit Vätern?
Erlebnispädagogik und Leseförderung: Aus den Kindergeburtstagen meiner Töchter und dem Zirkusspiel in den Osterferien vor 26 Jahren entstanden Angebote, die ich zusammen mit einer Pädagogin entwickelt habe. Schon lange, bevor der Begriff »Quality-Time« entstand, habe ich mit Spielmaterial intensive Erlebniszeiten für Kinder und Väter gestaltet: einen Piraten-Tag, eine Zirkusaufführung, eine Kunstwerkstatt mit Abfallmaterialien – heute heißt das »Upcyclingbasteln«, damals »Aus Alt mach Neu«. Gleichzeitig begann meine Leidenschaft für Kinderliteratur, speziell die Suche nach dem Vater in der Literatur. Inzwischen habe ich 800 Papa-Opa-Bücher (hinter diesem Link findet sich auch die aktuelle Leseempfehlungsliste mit lieferbaren Titeln für Väter und Großväter).
Vor über zehn Jahren kam dann die Anfrage der hiesigen Bibliothek, ob beide Leidenschaften verbunden werden können: Vorlesen von Papa-Geschichten und das anschließende Spiel, sodass die Geschichte lebendig wird. Die »Papa-Zeit – Vorlese- und Erlebniszeit für Väter und Kinder« entstand.

Wie hat sich dein Engagement für Väter entwickelt, ggf. verändert?
Kamen zunächst nur Väter mit Kindern zu meinen Projekten, so entstand bei immer mehr Großvätern der Wunsch, an solchen erlebnispädagogischen Zeiten teilzunehmen. Da ich inzwischen ja auch im Opa-Alter bin, ist mir diese Gruppe sehr genehm.
Und die Art der Vaterschaft hat sich in den vergangenen 25 Jahren verändert, damals kamen die leiblichen Väter mit ihren Kindern. Heute ist es oft der »soziale« Vater als neuer Freund der Mutter, oder ein vertrauter Mann, z.B. ein Patenonkel, der begleitet. Und immer mal wieder wird auch sichtbar, dass jemand ein »Wochenend«-Vater ist, der erst wieder einen Zugang zu seinem Kind finden muss und alles am Anfang noch distanzierter zugeht. So schaue ich zu Beginn einer gemeinsamen Zeit, wie die Beziehung ist, und gebe Zeit und Raum, dass ein Miteinander aufgebaut werden kann.

Das für dich nachhaltigste gesellschaftliche/historische Ereignis – auch im Kontext deiner Arbeit?
Ganz klar: Die Zeit der Pandemie, in der alle Menschen verzichten mussten. Ich konnte einige wenige digitale Lesungen anbieten und meine Basteltipps als Filme produzieren, z.B. hier und hier.
Nun spüre ich eine Sehnsucht der gesamten Familie, wieder gemeinsam zu spielen. So verändere ich manchmal die Angebote in den Kindertagesstätten jetzt als Familienprojekt, damit auch Frauen daran teilnehmen können.

Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deinen privaten und beruflichen Beziehungen?
Ich bekam damals sehr viel Zuspruch als aktiver Vater. Und jetzt im Opa-Alter ein bisschen Bewunderung – vielleicht ist es auch Neid – dass ich fast täglich mit kleinen Kindern spielen darf.

Drei Eigenschaften, die dich in deiner Arbeit zu anderen ausmachen?
Charismatisch, laut, geduldig.

Was ist für dich »Erfolg« in deiner Auseinandersetzung mit Jungen-, Männer- und Väterthemen? Hast du Beispiele?
Erfolg?? Ich freue mich, wenn ich von einer Einrichtung wieder eingeladen werde, manchmal 15 Jahre nach dem Erstkontakt. Ich habe mich über eine Flasche Rotwein eines Vaters gefreut, der ein paar Jahre zu meinen Papa-Zeiten in die Bibliothek kam. Ich habe mich über das Grußwort und den persönlichen Besuch des in Hilden für Kultur zuständigen Dezernenten gefreut, der zum Jubiläum »10 Jahre Papa-Zeit in Hilden« gratulierte. In meiner jetzigen Lebensphase erfreuen mich die ganz kleinen Dinge.

Was gibt dir persönlich Sinn und Erfüllung in deinen beruflichen und privaten Beziehungen?
Ich erlebe ähnlich alte Menschen, die jetzt nach der Pandemie nicht mehr von Sofa runterkommen. Ich habe noch so viel Energie, dass ich gerne Anfragen zusage. Und spüre, dass es nach der Pandemie eine große Sehnsucht nach gemeinsamen Spiel gibt. Das ist für mich sinnvolle Beschäftigungstherapie und Demenzprävention. Meine aktive Mutter ist fast 97 Jahre alt geworden, da habe ich doch noch eine gute Zeit vor mir.

Was ist dir (mit) gelungen, worauf bist du (zusammen mit anderen) vielleicht auch stolz?
Die Entwicklung von Veranstaltungen in Bibliotheken für Väter und Kinder, die sogenannte »Papa-Zeit« gibt es jetzt im elften Jahr. Die »Papa-Zeit« wurde im Dezember 2012 in Hilden (bei Düsseldorf) erfunden. Den Mitarbeiterinnen der Kinderabteilung fiel auf, dass samstags immer mehr Väter und Großväter kamen. Es war bekannt, dass ich seit vielen Jahren mit Kindern spiele und neben dem Mitmachzirkus auch andere Dinge mache: Kullerbahnen und Schrottroboter mit Heißklebepistolen bastele, »Indianer«-Dörfer baue, mit Piraten auf Schatzsuche gehe. Nun war die Idee, aus einem Papa-Buch oder einer Papa-Geschichte ein Erlebnis zu machen.
Wir entwickelten ein Veranstaltungskonzept, das eine Mischung aus Vorlesen, Basteln und Erleben bietet, nur für Väter und andere Männer und Kinder zwischen 4 und 8 Jahren. Und zwar samstagsvormittags für zwei Stunden, damit die Mama einkaufen, kochen oder die kinderfreie Zeit einmal ganz für sich nutzen konnte.
Für mein Leseförderprojekt »Papa-Zeit« in Bibliotheken bin ich von der »Stiftung Lesen« mit dem Deutschen Lesepreis 2018 ausgezeichnet worden. Das Preisgeld ermöglicht mir heute zwei Hobbys: eine Jongliergruppe für Senioren und die Unterstützung eines kirchlichen Abenteuerspielplatzes in der Nachbarschaft.

Mit welchen Institutionen und Personen warst du gerne beruflich oder privat verbunden oder bist es noch?
Seit 25 Jahren wirke ich als Referent für Väter-Kinder-Projekte in verschiedenen Familienzentren und Kindertagesstätten in NRW, seit über zehn Jahren lese ich bei der »Papa-Zeit« Vätern und Kindern in verschiedenen Bibliotheken vor. In mancher Kita bin ich einmal, hin und wieder werde ich erneut eingeladen. Meine »Väter-Kinder-Projekte« sollten frauenfrei sein und in den letzten zehn Jahren begleitet mich immer mal ein Erzieher. Leider wechseln die Erzieher oft den Arbeitgeber, sodass wir einige intensive Stunden verbringen, uns dann aber aus den Augen verlieren.
Mit drei Frauen verbindet mich eine besondere »berufliche« Beziehung. In Mettmann werde ich seit vielen Jahren zu Projekten in zwei benachbarte Kitas eingeladen. Leider geht die engagierte Leiterin jetzt bald in den Ruhestand. Sie hat meinen Ansatz immer sofort verstanden und brauchte keine langen Erklärungen, warum z.B. ein Väter-Kinder-Projekt absolut frauenfrei sein sollte.
Zu zwei Bibliotheken fahre ich besonders gerne, die dortigen Ansprechpartnerinnen sind mir sehr ans Herz gewachsen – wir sind zwar nicht befreundet, aber wir haben ein vertrauensvolles Verhältnis und beide organisieren Väter-Kinder-Lesungen, halten sich aber im Hintergrund und engagieren sich an ihrem Schreibtisch für die gemeinsamen Sache.

Was hat die Männer ausgemacht, mit denen du gerne zusammengearbeitet oder Zeit verbracht hast?
Das sind die tollen aktiven Väter, die ich regelmäßig bei Veranstaltungen mit ihren Kindern treffe. Interessanterweise haben die alle Töchter: Stefan kam mit seinen drei Mädels viele Jahre zur Papa-Zeit, Torsten noch heute und mein Zirkusfreund Markus und seine Alba sind inzwischen aktiv beim Mitmachzirkus dabei. Markus ist Zweiradmechaniker und wenn es etwas zu reparieren gibt, packt er an. Was der alles mit seiner Tochter macht: Freiwilligendienst im Waldprojekt, Dienst auf einer Tierfarm, Einradtraining bis zur Deutschen Meisterschaft – sooooo ein »Muster-Papa«.

Hast du eine Lebensphilosophie, ggf. ein Lebensmotto?
Du und ich = Wir spielen, Jetzt und Hier.

Wo siehst du Brüche in deinen beruflichen oder freundschaftlichen Beziehungen? Wodurch wurden diese verursacht?
Einen entscheidenden Bruch in meiner beruflichen Entwicklung kam nach der Heirat und Geburt der beiden Töchter vor über 30 Jahren. Ich war fast 40 Jahre alt und verkümmerte in einem kirchlichen Büro. Durch Impulse der Evangelischen Erwachsenenbildung Hilden kam ich zu pädagogischen Herausforderungen und wechselte in die Freiberuflichkeit als Referent für erlebnispädagogische Projekte. Durch die fachliche Begleitung einer Pädagogin der EEB konnte ich aus Osterurlauben und Kindergeburtstagen Module entwickeln, die ich seit jetzt 25 Jahren für Kindertagesstätten anbiete.
Ein zweiter entscheidender Impuls kam von meiner Frau, einer Bibliothekarin, die mir Literatur für meine kleinen Kinder hinlegte. Das Buch »Mutter, Vater, Kind« von Kirsten Boie und »Die dumme Augustine« von Otfried Preußler gehörten zu meinen prägenden Büchern. Und ich begann vor 30 Jahren zu lesen und vorzulesen. Nach dem allerersten »Papa-Buch« war meine Neugier nach Vätern in der Literatur geweckt, inzwischen habe ich 800 Bücher über Väter, Großväter und andere Männer, die für die Entwicklung von Kindern wichtig geworden sind.
Und nun, nach der Pandemie, nehme ich wahr, dass die gesamte Familie wieder zusammen spielen möchte, sodass ich meine Angebote für Väter und Kinder reduziere zu Gunsten von Angeboten für drei Generationen. Sehr gerne folgte ich einer Einladung des Hildener Spielmobil, mein Bewegungsangebot »Wir spielen wie im Zirkus« zusätzlich zu den Spiel- und Bewegungsangeboten anzubieten. So sind wir zwischen April bis Oktober unterwegs und bewegen Jung & Junggebliebene.

Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstande gegen dein Verständnis vom Umgang mit Väterthemen?
Manche Väter sind beruflich so belastet, dass zu wenig Zeit für die Familie bleibt. Besonders Selbstständige müssen manchmal kurz vor Beginn einer Veranstaltung entscheiden, ob sie einen Auftrag erfüllen oder mit ihrem Kind spielen.

Was treibt dich – trotz manchmal widriger Umstände – weiter in deiner Arbeit an?
Ich erlebe jetzt einige sehr engagierte Väter, die mit ihren Kindern seit vielen Jahren zu meinen Lesungen kommen. Ich erlebe einige sehr aktive Väter bei meinen Zirkus-Angeboten.
Ich erlebe einige sehr aktive Großväter. Das macht mir Mut, mein Know-how und meine 50 Materialkisten anzubieten. Auch wenn ich jetzt mit 70 vollendeten Lebensjahren im Opa- Alter bin, macht es mir immer noch große Freude, mit Männern und kleinen Kindern zu spielen. Ich rede nicht viel über mein Vater-Werden und Vater-Sein, ich hoffe, dass die Kinder und die Männer spüren, mit welcher Begeisterung und Leidenschaft ich mich mit Kindern beschäftige. Mögen meine Impulse für eine gute gemeinsame Zeit aufgenommen werden und ausstrahlen.

Welches Projekt würdest du gerne noch umsetzen, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Und was möchtest du gegen Ende deines Lebens erreicht haben?
Vor vielen Jahren durfte ich mit meinem Mitmachzirkus ein Zeltlager für Väter und Kinder unterstützen. Und vor noch mehr Jahren fuhren wir mit Männern und Kinder zu einem Zirkuswochenende ins Bergische Land. Drei Tage erlebten die Kinder und ihre Väter intensive Zirkusarbeit, z.B. bei den Menschenpyramiden oder bei den Vertrauensübungen mit Leitern.
Vielleicht ist es ja mal wieder möglich, eine Zirkusfreizeit anzubieten, vielleicht können wir dann den anderen Familienmitgliedern unsere Kunststücke zeigen, vielleicht in einem Zirkuszelt. Meine Freunde vom »Sternpunkt« in Wuppertal-Vohwinkel haben ja ein Zelt, ich frag da mal nach.

Eine nicht gestellte Frage, die du aber dennoch gerne beantworten möchtest?
Ja, die Frage danach, ob wir – wo ich seit neun Jahren »Leih-Opa« für »fremde« Kinder bin – mit unseren Töchtern über das Großeltern-Werden sprechen. Ich habe vor dem ersten Ausbildungskurs Mitte 2014 meine Frau und meine Töchter gefragt, ob ich an solch einem Kurs für angehende »Leih-Großeltern« teilnehmen darf. Alle drei befürworteten das, eine Tochter meinte dann ganz locker: »Und dann lässt du dir Zeugnisse der Familien ausstellen, die schaue ich mir dann zu gegebener Zeit an.« Die Zeit einer eigenen Familiengründung ist noch nicht gekommen, sodass ich mit großer Leidenschaft meinen »Leih-Enkel« begleite. An meinem 70. Geburtstag lernten sich alle kennen und es war ein schönes Familienfest für drei Generationen. Natürlich ist da bei mir eine Sehnsucht nach leiblichen Enkelkindern, aber: abwarten.
 
 
 

 
 
 
 
 
 
:: Christian Meyn-Schwarze, geb. 1953 in Norddeutschland, lebt seit 40 Jahren im Rheinland, Großraum Düsseldorf, jetzt in Hilden. Seit Juni 1990 mit der Bibliothekarin Helga Schwarze verheiratet, zwei jetzt erwachsene Töchter. Nach 20 Jahren Mitarbeit in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für die evangelische Kirche Wechsel nach den beiden Erziehungsurlauben in die Selbstständigkeit als Referent in der Familienbildung, seit neun Jahren »Leihopa« für getrennterziehende Mütter mit Söhnen. Seit 25 Jahren Sammler von Büchern über Vaterschaft, jetzt auch Großvaterschaft.

»Sich für die gesellschaftlichen Veränderungen der Geschlechterverhältnisse unbeirrt einsetzen.«

Der MännerWegeFragebogen – beantwortet von Gerhard Hafner

Kleinkind im Park auf Fahrrad

Interview: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Fotos: 1100, photocase.de | Fotostudio Neukölln

 
Was war oder ist dein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen-, Männer- und Väterthemen? Was dein politischer und fachlicher Zugang?
Mein Zugang war in den 1970er Jahren auf der einen Seite der gesellschaftliche Impuls der Frauenbewegung, auf der persönlichen Ebene, dass ich mit meinen Liebesbeziehungen und meiner beruflichen Perspektive zutiefst unzufrieden war.

Welche waren damals und sind heute deine zentralen Themen in der Beschäftigung mit Jungen, Männern und Vätern?
In den 1970er Jahren stand die Auseinandersetzung mit meiner Männerrolle im Mittelpunkt. Heute beschäftigt mich der Zusammenhang zwischen hegemonialer Männlichkeit und Gewalt.

Wie hat sich dein Engagement für Jungen, Männer und Väter entwickelt, ggf. verändert?
Zu Anfang stand die Selbsterfahrung in der Männergruppe, heute das gesellschaftliche Engagement und die berufliche Tätigkeit im Zentrum.

Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deinen privaten und/oder beruflichen Beziehungen?
Dass ich Vater geworden bin, ist das Wichtigste.

Eigenschaften, die dich in deiner Arbeit und/oder Beziehungen zu anderen ausmachen?
Die Verknüpfung von persönlichem und gesellschaftlichem Engagement. Und die Zusammenarbeit mit Frauen.

Was ist für dich »Erfolg« in deiner Auseinandersetzung mit Jungen-, Männer- und Väterthemen?
Den Aufbau von Beratungsstellen zusammen mit Männern und Frauen sehe ich als meine Erfolge.

Was gibt dir persönlich Sinn und Erfüllung in deinen beruflichen und privaten Beziehungen?
Die gemeinsame Arbeit mit Kolleginnen und Kollegen befruchtet mein berufliches Leben und gibt mir Impulse für mein privates Leben.

Was ist dir (mit) gelungen, worauf bist du (zusammen mit anderen) vielleicht auch stolz?
Die »Beratung für Männer – gegen Gewalt« hat sich in Berlin über die langen Jahre gut entwickelt.

Mit welchen Institutionen und Personen warst du gerne beruflich oder privat verbunden oder bist es noch?
Die »Beratung für Männer – gegen Gewalt« steht immer noch im Zentrum. Zugleich engagiere ich mich als Botschafter für die Kampagne »HeForShe« von UN Women Deutschland.

Was hat die Männer/* ausgemacht, mit denen du gerne zusammengearbeitet oder Zeit verbracht hast?
Ich habe mit Männern wie Frauen gerne zusammengearbeitet, die sich für die gesellschaftlichen Veränderungen der Geschlechterverhältnisse unbeirrt eingesetzt haben.

Hast du eine Lebensphilosophie, ggf. ein Lebensmotto?
Nicht lockerlassen!

Wo siehst du Brüche in deinen beruflichen oder freundschaftlichen Beziehungen? Wodurch wurden diese verursacht?
Wenn Kolleg*innen in ihrem persönlichen und gesellschaftlichen Engagement nachgelassen haben, gingen diese Beziehungen zu Ende.

Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstände gegen dein Verständnis vom Umgang mit Jungen-, Männer- und Väterthemen?
Zum einen gibt es einen expliziten Anti-Feminismus, zum anderen leider immer noch die »verbale Offenheit bei weitgehender Verhaltensstarre« (Ulrich Beck).

Was treibt dich – trotz manchmal widriger Umstände – weiter in deiner Arbeit an?
Mich treiben die weiterhin heftigen Sexismen an, aber auf der anderen Seite auch die Möglichkeiten der positiven Veränderungen.

Welches Projekt würdest du gerne noch umsetzen, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Und was möchtest du gegen Ende deines Lebens erreicht haben?
Ich bin zurzeit dabei, ein neues Projekt aufzubauen: »Berliner Modell zur Eltern-Kind-Beratung nach häuslicher Gewalt im gerichtlichen Umgangsverfahren«. Die »Beratung für Männer – gegen Gewalt« baue ich zusammen mit Kolleg*innen weiter aus. Außerdem bin ich weiter als Botschafter der Kampagne »HeForShe von UN WOMEN Deutschland« engagiert. Das reicht.

 
 
 

 
 
 
 
 
 
 
:: Gerhard Hafner, Jg. 1949, ist Dipl.-Psychologe. Anno 1975 hat er eine der ersten profeministischen Männergruppen im Westen von Berlin mitgegründet und danach (überregionale) Männertreffen mitorganisiert, Männerzeitungen (u.a. »Herrmann – die falsche Stimme im Männerchor«) mitherausgegeben, die Berliner »Mannege – Information und Beratung für Männer« (heute Väterzentrum Berlin) mitgegründet und profeministische Männerstudien betrieben (u.a. zusammen mit Georg Brzoska: Möglichkeiten und Perspektiven der Veränderung der Männer, insbesondere der Väter. Forschung, Diskussionen und Projekte in den USA, Schweden und den Niederlanden, 1988). Seit den 1990er Jahren fokussiert er in seiner Arbeit die Themen engagierte Vaterschaft und Männergewalt gegen Frauen, indem er die »Beratung für Männer – gegen Gewalt«, »Kind im Blick« und im Jahr 2023 das »Berliner Modell zur Eltern-Kind-Beratung nach häuslicher Gewalt im gerichtlichen Umgangsverfahren« mitgegründet hat. Ehrenamtlich engagiert er sich als Botschafter bei der Kampagne »HeForShe« von UN WOMEN Deutschland.

»Was machst du denn da?« 18 Jahre Männerarbeit

Der MännerWegeFragebogen – beantwortet von Markus Hofer

Vater und Sohn mähen Gras auf der Alm

Interviewleitfragen: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Fotos: lube, photocase.de | privat

 
»Was machst du denn da?« Als ich 1996 mit dem Männerbüro der Katholischen Kirche im österreichischen Vorarlberg begann, musste ich ständig erklären oder rechtfertigen, was ich da mache. Meiner Chefin, der Frauenreferentin, passierte das nie. Vermutlich wäre es heute noch nicht viel anders. Wie kam es zu meinem Engagement für Männer?

Alles rund um Männer und Frauen interessierte mich immer schon. Als die ersten Männergruppen aufkamen, hatten wir auch eine; wobei die Anregung nicht von mir kam. Es hat mir aber einfach gutgetan und wurde mir wichtig. Dann las ich die ersten Männerbücher und irgendwann hielt ich die ersten Vorträge zu Männerthemen. Unvergesslich bis heute ist mir ein Vortrag bei der örtlichen Handwerkerzunft, großteils lauter Männer. Die Jüngeren murrten »Jetzt reicht’s dann! Jetzt kann er wieder aufhören!«, die Älteren waren teilweise sehr berührt. Wahrscheinlich konnten sie es sich besser zugestehen, was ich erzählte. Und wahrscheinlich hatte ich die Moralkeule auch etwas zu sehr ausgepackt. Später versuchte ich es vermutlich charmanter und humorvoller. Aber es war für mich eine wichtige Erfahrung; und etwas Mut kostete es auch, mich einfach vor 120 Handwerker hinzustellen und über Mannsein zu reden.

Das Thema jedenfalls ließ mich nicht mehr los und als bei einer Umstrukturierung in unserem kleinen Bistum eine halbe Stelle für Männer blieb, habe ich mich darum beworben. Das war mein unmittelbarer Zugang zur Männerarbeit. Viel später erst wurde mir bewusst, dass das in meinem Leben noch tiefere Hintergründe hat.

Mein Großvater hatte im Ersten Weltkrieg noch für Kaiser und Vaterland gekämpft und er verstand gar nicht, dass ich den Wehrdienst verweigerte und mich zum Zivildienst meldete. Erst später begriff ich, dass dieser ansonsten sehr traditionelle Mann über längere Zeit Alleinerzieher war, als in der großen Arbeitslosigkeit zwischen den Weltkriegen nur meine Großmutter Arbeit fand, und das im weit entfernten Lech am Arlberg. Mein Großvater schaukelte mit seinen drei Kindern alles selber. Zuhause waren wir in der Familie fünf Söhne, ein kleines »Männerbüro« also. Als Ältester erlebte ich einen sehr präsenten Vater, der mir ein guter Ausgleich zu meiner doch starken Mutter war. Mit zehn Jahren kam ich ins Internat, freiwillig, und es war zumindest nachträglich besehen nicht so schlimm, wie man jetzt vielleicht vermuten würde. Von den Ferien abgesehen bin ich also wieder acht Jahre unter Männern herangewachsen. Im Zivildienst beim Roten Kreuz waren wir damals auch nur Männer. Ich hatte also offensichtlich immer schon viel mit Männern zu tun.

Eines meiner ersten Männerbücher war von Herb Goldberg und da gab es einen Satz, der meine Männerarbeit von Anfang an geprägt hat: »Männeremanzipation heißt nicht, dass die Männer jetzt so werden, wie die emanzipierten Frauen glauben, dass sie sein sollten.« Männerarbeit verstand ich von Anfang an als einen eigenständigen Prozess von Männern und für Männer. Einfach nur »den Feminismus« zu kopieren, war mir zu kurz gegriffen. Es war mir bewusst, dass das alles nicht ganz einfach war. Bis heute habe ich den Eindruck, dass Männer gerne und über vieles reden, aber am wenigsten über sich als Männer. Manche hatten auch Angst vor der Moralkeule: »Was ich zuhause alles falsch mache, sagt mir meine Frau dauernd. Das muss ich mir nicht von dir auch noch sagen lassen.« Daraus entstand für mich die Gretchenfrage – um eine Dame zu zitieren – der Männerarbeit: »Wie hältst du es mit den Männern? Liebst du sie? Oder willst du es ihnen zeigen?«

Eine weitere Überzeugung war mir in meiner Arbeit wichtig: Starke Männer und starke Frauen bilden die besten Partnerschaften. Von Anfang an hatte ich es immer wieder mit im Grunde schwachen Männern zu tun gehabt; auch wenn viele nach außen nicht so gewirkt haben mögen. Auch gewalttätige Männer sind für mich schwache Männer. Wirklich Starke haben es nicht nötig, mit Gewalt auf körperlich Schwächere loszugehen. Mit unmittelbaren Gewalttätern hatte ich nicht viel zu tun; da gab es bei uns eine eigene Gewaltberatung. Aber gerade in den Seminaren erlebte ich viele Männer, die eigentlich sehr schwach waren, wenn es drauf ankam, gerade auch in Beziehungen, mit wenig geerdetem Selbstbewusstsein. Ich erinnere mich noch gut an einen Mann, der wie ein Häufchen Elend vor mir saß und bekannte: »Früher wurde meine Frau von ihren Freundinnen immer beneidet, weil sie so einen netten Mann habe, der ihr alles tue. Jetzt, auf einmal, will sie sich scheiden lassen. Sie halte den ‚langweiligen Sack‘ nicht mehr aus«.

Je bekannter das Männerbüro in unserem kleinen, österreichischen Bundesland Vorarlberg wurde, umso mehr kamen natürlich auch Männer zu mir in die Beratung, obwohl wir eigentlich auch eine eigene Männerberatung hatten. Grundsätzlich bestand aber der Schwerpunkt meiner Arbeit in der Männerbildung. Ich hielt viele Vorträge über eine ganze Palette von Themen von Vätern über Jungenerziehung, Partnerschaft, Männerrollen bis zu Mütter und Söhne. Die Vorträge waren selbstverständlich immer offen auch für Frauen. Zusammen mit unserem Bildungshaus St. Arbogast habe ich unzählige Männerseminare angeboten, manche mehrtägig, die meisten aber eintägig. Es waren persönlichkeitsbildende Seminare für Männer mit einer breiten Themenpalette. Für viele Männer wurde das zu einem wichtigen Teil ihrer Lebensgestaltung: Hin und wieder »zum Service« gehen, sich zusammen mit anderen Gedanken über sich als Mann zu machen. Es waren an die zehn Seminare pro Jahr, die wir angeboten hatten. Selten mussten wir etwas absagen und oft gab es sogar Wartelisten. Das Thema Älterwerden als Mann wurde sogar regelrecht überrannt.

Eine Begebenheit werde ich nie vergessen. Das Thema des Männerseminars war »Vom Held zum Lebenskünstler«. Solche Tagesseminare beginne ich immer mit einer Runde zum Thema »Wer bin ich? Warum bin ich da?« Das hat sich als Einstieg stets bewährt und es ist erstaunlich, wie schnell und direkt viele Männer ihre Geschichten auspacken. Einmal dauerte bei sechzehn Männern allein diese Runde ganze zwei Stunden! Als der Sechzehnte an die Reihe kam, meinte er: »Warum bin ich da? Wenn das Seminar jetzt schon zu Ende wäre, hätte es sich für mich auf jeden Fall gelohnt, denn so etwas habe ich unter Männern noch nie erlebt.« Bei solchen Erlebnissen war es für mich nie eine Frage, ob sich meine Arbeit lohnt.

Daneben war es mir ein Anliegen, Lobbying für Männerthemen zu machen. Das war nicht gegen Frauen gerichtet, aber es ist gesellschaftlich wichtig, auch Männeranliegen und -perspektiven in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Damals lief das ganz gut an, da die Medienleute gierig auf Neues waren. So kam ich vorerst leicht mit einem Thema oder einem Angebot in die Medien. Mein Highlight war eine wöchentliche Radiosendung, »Radio Vorarlberg: Männersache«, die mir der lokale Sender anbot und die ich über viele Jahre gestaltete. Anfangs bekam ich begeisterte Rückmeldungen von Frauen, doch dann waren es durchaus auch die Männer, die die kurze Sendung regelmäßig hörten.

Wichtig, wenn auch manchmal mühsam, war das Thema der Scheidungsväter. Da habe ich schon einige grausame Geschichten hautnah mitbekommen. Natürlich schießen Betroffene manchmal übers Ziel in ihrem Schmerz. Es wurde viel geschimpft über rabiate Scheidungsväter, aber kaum jemand fragte sich, warum sie so sind bzw. sich so verhalten. Kaum jemand riskierte einen Blick auf die Verwundungen und Verletzungen, die dahinterlagen. Manche von ihnen sahen in mir die einzige Einrichtung, in der sie auf Verständnis stießen. Solche Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen, war auch Teil meiner Arbeit. Wenn Betroffene Politik machen, kann es manchmal heikel werden. Genau darum tat ich mich leichter.

Nach achtzehn Jahren hauptberuflicher Männerarbeit kam ich allmählich in eine Art Leerlauf. Es gab kaum ein Thema, das ich nicht schon bearbeitet hatte. Bis zur Rente waren es aber noch acht Jahre und das funktioniert nicht im Leerlauf, weshalb ich mich beruflich noch einmal veränderte. Erfolg heißt für mich, Spuren zu hinterlassen, und ich hoffe, dass mir das gelungen ist, gesellschaftlich wie in einigen Männerherzen. Enttäuscht hat mich, dass mein Engagement keinen Nachfolger gefunden hatte. Die Männerberatung existiert zwar weiterhin, aber ansonsten gibt es in Vorarlberg neben den zurecht vielen Frauenreferaten kein Männerreferat mehr; und selbstverständlich immer noch keine Männersprecher in den Parteien. Einige der Älteren erinnern sich zweifellos noch, aber ansonsten ist zumindest gesellschaftspolitisch mein Männerbüro einfach Geschichte; da mache ich mir nichts vor.

Persönlich habe ich über die vielen Jahre enorm profitiert. Trotzdem hat mich manches auch selber eingeholt. Schmunzeln muss ich heute noch über das Thema Älterwerden. Als Experte erklärte ich anderen Männer, wie es so geht mit der Midlife-Krise, immer in der Überzeugung, dass mich das als Profi natürlich nicht betrifft. So kann mann sich täuschen. Ich war altersmäßig nur ein bisschen später dran. Inzwischen verstehe ich die Irrungen und Wirrungen dieser Umbruchsphase aus eigener Erfahrung. Heute habe ich auch diese Phase hinter mir, genieße in kreativer Weise meinen Ruhestand und denke gerade mit etwas nostalgischen Gefühlen an meine Männerarbeit zurück. Aber heute, wenn ich jemandem davon erzähle, heißt es immer noch: »Was hast du denn da gemacht?«
 
 
 

 
 
 
 
 
 
:: Markus Hofer, Dr. phil. Mag. Theol., Jahrgang 1957, verheiratet, kinderlos, wohnhaft in Götzis (Vorarlberg, Österreich). Erwachsenenbildner, Buchautor, Rentner.

»Männer, die warten können, gewinnen.«

Der MännerWegeFragebogen – beantwortet von Ralf Ruhl

Spuren eines Hundes am Strand

Interview: Alexander Bentheim
Fotos: Alexander Bentheim

 
Was war oder ist dein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen-, Männer- und Väterthemen? Was dein politischer und fachlicher Zugang?
Mein Vater, Jahrgang 1926, war Zeit seines Lebens von der in der Nazi-Zeit und im Krieg eingeprügelten Angst geprägt. Die hat er mit Härte überspielt. Und mir weitergegeben mit Jähzorn, Kälte, Abwesenheit. Entsprechend stark war die Sehnsucht nach einem anwesenden, zugewandten Vater, der mir Halt gibt, Orientierung, mich schützt, anerkennt und stärkt. So war mein Einstieg in die Männerbewegung der Kampf gegen das Bild des harten Mannes, der alles aushält. Logischerweise habe ich mit Jungenarbeit und Väterarbeit losgelegt.

Welche waren damals und sind heute deine zentralen Themen der Jungen-, Männer- und Väterarbeit?
Anfangs war es die Anerkennung, dass Männer wichtig sind für ihre Kinder, dass sie eine genauso starke Bindung zu ihren Kindern haben wie die Mütter, dass sie diese Beziehung genauso gut leben können. Heute ist das grundsätzlich anerkannt, es fehlen aber immer noch die wesentlichen Ressourcen, um Männern gleichberechtigte Elternschaft zu ermöglichen. Das liegt am Familienrecht, am immer noch vorherrschenden Identifikationsmuster Mann = Erwerbsarbeit – bei Männern und Frauen, bei den Möglichkeiten flexibler Lebensgestaltung und den Ansprüchen hoher Verfügbarkeit des Arbeitsmannes seitens der Arbeitgeber.

Wie haben sich deine Tätigkeiten in der Jungen-, Männer- und Väterarbeit entwickelt, ggf. verändert?
Ich bin mit den Themen gealtert bzw. habe meine Themen meinem Lebensalter angepasst. So bin ich aus der Jungenarbeit vor vielen Jahren ausgestiegen. Dass Männer eine spezifische Ansprache brauchen ist inzwischen unumstritten. Auch, dass es männliche Erzieher in Kitas und Lehrer in (Grund)Schulen braucht. Wobei ihnen mit dem Generalverdacht auf sexuellen Missbrauch seitens Eltern oder weiblichem Personal immer noch jede Menge Steine in den Weg gelegt werden und eine Gleichberechtigung hier noch lange nicht erreicht ist. Ich freue mich sehr, dass es inzwischen normal ist, Väter mit ihren Kindern auf dem Spielplatz und im Stadtbild zu begegnen, auch in der Provinz. Zu Beginn meiner Tätigkeit war ich oft der einzige Mann auf dem Spielplatz, erst recht in der Krabbelgruppe. Da hat sich viel getan.

Das für dich nachhaltigste gesellschaftliche oder historische Ereignis – auch im Kontext deiner Arbeit?
Das Wichtigste ist die Einführung der Partnermonate bei der Elternzeit. Das kommt einem Kulturbruch gleich. Hier wird endlich anerkannt, dass Männer nicht nur Arbeiter und Geldbeschaffer für die Familie sind, sondern dass sie eine eigene persönliche Bedeutung für Partnerschaft und Kinder haben.

Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deiner Arbeit?
Ich habe fast immer als einziger heterosexueller Mann in Teams mit Frauen und mehrere Jahre auch mit schwulen Männern gearbeitet. Es hat jeweils viele Monate bis Jahre gedauert, bis ich mich anerkannt fühlte und die entsprechende Wertschätzung der Kolleginnen und Kollegen bekam. Dann aber habe ich sehr viel positive Rückmeldungen bekommen. Auch und gerade als »irgendwie anderer« Mann musste ich mich vor allem bei Frauen als Kolleginnen beweisen und durchsetzen.

Drei Eigenschaften, die dich in deiner Arbeit ausmachen?
Das Wichtigste: Zugewandtheit. Männer haben oft im Gespräch mit mir zum ersten Mal den Eindruck, dass ihnen jemand zuhört. Dann Geduld. Weil es häufig lange dauert, bis Männer Vertrauen fassen und sich öffnen. Und immer wieder Humor. Weil auch bei schwierigsten Themen es Leichtigkeit braucht, die Chancen für neue Sichtweisen und Perspektiven eröffnet.

Was ist für dich »Erfolg« in deiner Arbeit? Hast du ein Beispiel?
Erfolg ist für mich, wenn Männer sich öffnen und Veränderungsbereitschaft zeigen. In der Gruppe für Täter Häuslicher Gewalt – »Verantwortungstraining für Männer« – sind die Auswirkungen Häuslicher Gewalt auf Kinder im letzten Drittel des Trainings Thema. Ich zeige den norwegischen Animationsfilm »Der Wutmann«, in dem ein etwa vierjähriger Junge miterlebt, wie der Vater die Mutter verprügelt. Den Teilnehmern des Trainings stehen Tränen in den Augen. Weil sie das kennen. Weil sie das, was sie selbst als Kind erlebt haben, nie weitergeben wollten. Es aber trotzdem tun. Das schafft eine sehr tiefe, emotionale, wertschätzende Atmosphäre in der Gruppe, die persönliche Veränderung möglich macht.

Was gibt dir Sinn und Erfüllung in der Arbeit?
Erlebnisse wie eben beschrieben. Und Gespräche mit Kollegen, mit anderen aus der Männerbewegung. Wenn es da zum Flow kommt, Projekte überlegt und geplant werden, aus einem persönlichen Gefühl der Gemeinsamkeit heraus.

Was ist dir (mit) gelungen, worauf bist du (zusammen mit anderen) stolz?
Am meisten stolz bin ich darauf, dass Männer unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten mich in meiner Arbeit akzeptieren und wertschätzen, was sie dort erleben. Stolz bin ich auf die Videos, die ich mit Robert Moos für den Youtubekanal »Täterberatung Häusliche Gewalt« gedreht habe. Stolz bin ich auch auf verschiedene Artikel, die ich geschrieben habe, u.a. für die Zeitschrift »Gesundheit und Gesellschaft« der AOK. Und auf mein Buch »Kinder machen Männer stark«. Was mich glücklich macht: Dass meine Kinder meine Arbeit schätzen und anerkennen.

Mit welchen Institutionen und Personen hast du gerne zusammengearbeitet oder tust es noch?
Mit dem Göttinger Männerbüro, der Akademie Waldschlösschen, dem kidsgo-Verlag, paps e.V., mit Alexander Bentheim, Thomas Gesterkamp, Albert Krüger, Karsten Knigge, Werner Sauerborn, Robert Moos, dem Hilfetelefon »Gewalt an Männern«.

Was hat die Männer ausgemacht, mit denen du am liebsten zusammengearbeitet hast?
Freundlichkeit, Humor, Zugewandtheit, Wertschätzung, Wissen, Gelassenheit, Reflexionsbereitschaft, Offenheit.

Hast du eine Lebensphilosophie?
Männer, die warten können, gewinnen.

Wo siehst du Brüche in deiner Arbeit? Wodurch wurden die verursacht?
Es ist immer heftig zu spüren, wieviel vom alten Mann, der alten klassischen harten Männersozialisation in mir steckt. Das führt bestenfalls zu Erkenntnis, oft aber auch zu schrägen Widersprüchen. Ein starker Bruch: Es gibt kaum Nachwuchs in der Männerbewegung. Die nachwachsende Generation, die jungen Männer um 30, die wollen lieber den Mann an sich abschaffen – »Sei kein Mann« und ähnliche Titel verstopfen die Bestsellerlisten – als zu erkennen, wie und wo sie selbst Mann sind und das Männlichkeitsbild zu erweitern. Denn das würde auch bedeuten, wertzuschätzen, was an Männlichkeit und am Mannsein gut ist.

Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstände gegen dein Verständnis von Jungen-, Männer- und Väterarbeit?
Bei konservativen Kräften in Wirtschaft und Politik, die am althergebrachten Bild der Geschlechterhierarchie festhalten. Weil sich Männer und Frauen so am besten ausbeuten lassen. Bei Pädagoginnen, Müttern, Kinderbuchautorinnen, für die ein Penis so bedrohlich ist, dass sie Kinder grundsätzlich vor allem Männlichen bewahren müssen. Bei etablierten Kräften der Frauenbewegung, die weiterhin die Deutungshoheit über alles, was Familie und Kinder angeht, allein für sich beanspruchen – so weit, dass noch nicht einmal gesehen wird, dass Täterarbeit Opferschutz bedeutet.

Was treibt dich – trotz manchmal widriger Umstände – weiter in deiner Arbeit an?
Ich bin alt und brauche das Geld 🙂 Gute Gespräche mit Kollegen und Kolleginnen. Freundschaft. Wissen, dass die Arbeit wichtig ist. Zu sehen, dass sie Früchte trägt. Bei Projekten und bei einzelnen Personen.

Welche Projekte würdest du gerne noch umsetzen, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Und was möchtest du gegen Ende deines beruflichen Lebens erreicht haben?
Meinen persönlichen Väter-Podcast. Die Einrichtung von Schutzwohnungen für Männer in ganz Deutschland, vor allem aber in Hessen. Den Blick auf Jungen und Väter in Kinder- und Jugendbüchern schärfen durch gute und prägnante Rezensionen. Und einen Nachfolger für meine Arbeit in Eschwege gefunden haben. Am besten auch eine Regelfinanzierung für die Täterarbeit in Hessen erreichen.

Eine nicht gestellte Frage, du aber dennoch gerne beantworten möchtest?
Mein Männer-Lieblingsbuch: »Das etruskische Lächeln« von Jose Saramago. Mein Lieblingsfilm: »Second Best« mit William Hurt in der Regie von Chris Menges.

 
 
 

 
 
 
:: Ralf Ruhl, Jahrgang 1957, lebt in Göttingen, ist Vater eines Sohnes und einer Tochter, inzwischen auch Großvater. Er arbeitet bei der Beratungsstelle für Schwangerschaft, Familie und Sexualität der AWO Werra-Meißner in Eschwege. Seit Mitte der 1980er Jahre ist er in der Männerbewegung aktiv, hat das Männerbüro Göttingen mitbegründet, die Jungenarbeit der Pro Familia in Göttingen etabliert, den Fachbereich Männerbildung im Verein niedersächsischer Bildungsinitiativen geleitet, die Zeitschrift »paps« als Redakteur geleitet, das Internetportal www.vaeterzeit.de mitgegründet und als Redakteur geleitet. Jetzt arbeitet er mit Männern, die ihre Frauen verprügeln, und mit Männern, die selbst Opfer Häuslicher Gewalt wurden. Und schreibt und schreibt, wobei er besonders gern Kinder- und Jugendbücher für www.maennerwege.de rezensiert.

»Pro nicht wahlberechtigtem Kind darf jedes Elternteil eine halbe Wahlstimme mehr abgeben!«

Der MännerWegeFragebogen – beantwortet von Martin Verlinden

See in Guatemala

Interview: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Foto: p.m.roedel, photocase.de | privat

 
Was war oder ist dein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen-, Männer- und Väterthemen? Was dein politischer und fachlicher Zugang?
Mit der Geburt meiner fünf Töchter zwischen 1979 und 1987 steigerte sich mein Interesse an der Genderpolitik. Zugleich erhielt ich seitens des Landesfamilienministeriums NRW genügend entsprechend gelagerte Aufträge und Projektzusagen zur Bestandsaufnahme und Entwicklung von Arbeitshilfen zur sozialemotionalen Erziehung im Kindergarten, der dortigen Beziehungen zwischen Mädchen und Jungen, der Bedeutung von Männern als Väter, dem Fehlen von männlichen Fachkräften in der Familienbildung, Kitas und Beratung. Mein Arbeitsansatz kulminiert in der Erkenntnis: Kinder brauchen präsente Väter und männliche Fachkräfte, um gleichberechtigte Interaktionen und selbstbewusste Kommunikation zu erlernen.

Welche waren damals und sind heute deine zentralen Themen in der Beschäftigung mit Jungen, Männern und Vätern?
Stets beschäftigten mich die Fragen nach günstigen Bedingungen zur Entwicklung von Identität und Autonomie, Gleichberechtigung und Vielfalt – gegenüber Konformismus und Drill, Hierarchie und Uniformität.

Wie hat sich dein Engagement für Jungen, Männer und Väter entwickelt, ggf. verändert?
Mit der Erkenntnis (nach Urie Bronfenbrenner), dass die individuelle Entwicklung in einem Spannungsfeld steht zwischen vielen mikro- und makrosystemischen Einflüssen, verflüchtigte sich das Individuum zentrierte Arbeits-Paradigma in der Jugendhilfe und Bildungspolitik, denn: Kind, Partnerschaft und Familie sind nicht die Ursache für Probleme und Scheitern, sondern nur der Ort des Geschehens.
Die strukturellen Einflüsse mussten mitberücksichtigt werden, Väter und Jungen brauchen besser finanzierte Hebammen, Kindergärten, Grundschulen, Familienbildung und -beratung, ansonsten bleiben sie Spielbälle hinterwäldlerischer Medien, Verwaltungen, Glaubensvertreter und Parteien.

Das für dich nachhaltigste gesellschaftliche/historische Ereignis – auch im Kontext deiner Arbeit?
Die Popularisierung toxischer Männlichkeit und des irrationalen Nationalismus stieg in den letzten 20 Jahren erheblich an. Symptome dafür sehe ich insbesondere in den unbeschreiblich hässlichen Auftritten und spürbaren Eigenschaften von Donald Trump und anderer mit ihm vergleichbarer »Diktatoren« größerer und kleinerer Staaten – auch in Europa. Und im Auf und Ab der radikalen völkisch-rassistischen und fundamentalreligiösen Strömungen in Deutschland, Europa und international.

Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deinen privaten und beruflichen Beziehungen?
Die Dauerhaftigkeit von beruflich progressiven Projekten steigt mit der Finanzierung. So bedauere ich, dass Männer-Politik und Väter-Arbeit immer noch wie ein Blinddarm der Frauenpolitik verortet ist. Es fehlt in den Familienministerien und Kommunen ein Budget, das dauerhaft und ausdrücklich nur für die Jungen-, Männer- und Väterarbeit reserviert ist.
Die Familie, die Kinder, die Mütter und Väter haben keine nennenswerte Lobby. Erst ein im Grundgesetzt verankertes Familienwahlrecht: »Pro nicht wahlberechtigtem Kind darf jedes Elternteil eine halbe Wahlstimme mehr abgeben!« könnte Abhilfe schaffen. Dann erst werden Ministerien und Parteien ihre familienpolitischen Konzepte dem echten Bedarf von Familien anpassen und angemessen ausweiten.

Drei Eigenschaften, die dich in deiner Arbeit und in deinen Beziehungen zu anderen ausmachen?
Was mich in meinen Projekten und wohl auch Beziehungen antreibt sind eine große, suchende Neugier nach Erklärungen, dann sicher auch eine Jahre anhaltende Ausdauer für Forschung und schließlich die selbstkritische Freude an der Verbalisierung und Diskussion von Ergebnissen.

Was ist für dich »Erfolg« in deiner Auseinandersetzung mit Jungen-, Männer- und Väterthemen? Hast du Beispiele?
Erfolge meiner Arbeit messe ich an der Verbreitung von empirischen Erkenntnissen zu Vielfalt und Verläufen von Männlichkeiten, dann auch an dem Wachstum und der Alltagstauglichkeit von professionellen Männernetzwerken und nicht zuletzt an der politischen und finanziellen Absicherung der Arbeit mit Jungen, Männern, Vätern und Großvätern.

Was gibt dir persönlich Sinn und Erfüllung in deinen beruflichen und privaten Beziehungen?
Wenn ich Menschen in ihren gemeinsamen Anliegen und unterschiedlichen Kompetenzen vernetzen kann und sie dadurch voneinander lernen können.

Was ist dir (mit) gelungen, worauf bist du (zusammen mit anderen) vielleicht auch stolz?
Die Gründung des Männer-Väter-Forum Köln im Jahr 1999 war ein wichtiger Meilenstein meiner praxisbezogenen Kooperation mit Männern und Frauen in alltäglichen Genderfragen. Das Forum florierte zwei Jahrzehnte weit über die Region Köln hinaus.
Grundsteine zu Konzepten der Väterarbeit in der Familienbildung, Familienberatung und in Kindergärten gehen auf Projekte zurück, die ich unter anderem mit Forumsmitgliedern in Nordrhein-Westfalen für Wohlfahrtsverbände und Familienministerien durchführen durfte.
Schließlich konnte ich nach meiner Pensionierung meine Erfahrungen auch in Projekte zur Väterarbeit und Gewaltprävention in Mittelamerika (Guatemala) einbringen.

Mit welchen Institutionen und Personen warst du gerne beruflich oder privat verbunden oder bist es noch?
Ich glaube, ich hatte großes Glück, dass ich meine beruflichen Themen und Schwerpunkte mit meinen privaten Lebensübergängen parallelisieren konnte. Denn mit der persönlichen Herausforderung, fünf eigene Töchter in ein eigenständiges Leben zu begleiten, lernte ich das Engagement und die Grenzen von vielen Hebammen, Fachkräften der Familienbildung und -beratung sowie Tätige in Kindergärten, Lehrkräfte an Grundschulen und weiterführenden Schulen und in Vereinen sowie deren Funktionäre kennen und wertschätzen.
Je älter ich mit dieser Arbeit werde, umso mehr verbreitern sich die Kreise und irgendwann gebe ich den Staffelstab gern an Jüngere ab, durchaus mit der Un-Gewissheit, ob und wie sie die Arbeit weiter vorantreiben können.

Was hat die Männer/* ausgemacht, mit denen du gerne zusammengearbeitet oder Zeit verbracht hast?
Im Männer-Väter-Forum Köln, als Dozent an der Technischen Hochschule Köln und in Kooperation mit Wohlfahrtsverbänden traf ich immer wieder sowohl auf junge Leute, Studenten, Berufsanfänger, die Einstiege und Orientierungen zur Väterarbeit suchten, als auch auf bereitwillige Mentoren, die ihre profunde Erfahrung weitergeben mochten. Mit ihnen konnte ich zum Teil sehr fruchtbare Beziehungen aufbauen, in denen wir uns mit gegenseitiger Wertschätzung entgegentreten. Entweder begleiteten wir gemeinsam spannende Projekte, schrieben unser Wissen auf, vernetzten uns mit anderen im Land, organisierten Fachkongresse oder hielten rege virtuelle Kontakte zueinander.

Hast du eine Lebensphilosophie, ggf. ein Lebensmotto?
Ich glaube, mein Pflichtbewusstsein ist recht ausgeprägt, etwa nach dem Imperativ: Mach das Beste aus dir! Handle so, dass du zur positiven Evolution der Menschheit beiträgst!

Wo siehst du Brüche in deinen beruflichen oder freundschaftlichen Beziehungen? Wodurch wurden diese verursacht?
Mitunter kam es in der Arbeit zu Konkurrenzen und Verstimmungen, auch zwischen verschiedenen Trägern und Regionen in Deutschland, etwa wer welche Fördertöpfe mit welchen »ähnlichen« Projekten und Verbindungen erobern konnte. Oder ob die im öffentlichen Dienst abgesicherten Kräfte besser den Selbständigen in der Väter-, Jungen- und Männerarbeit den Vortritt lassen sollten.

Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstände gegen dein Verständnis vom Umgang mit Jungen-, Männer- und Väterthemen?
Unsere Arbeit läuft meist unter dem Dach der Familienpolitik, Sozialpolitik und dem Jugendhilfegesetz; die Entstehung von Familien mit Schwangerschaft und Geburt sowie die Arbeit in Sozialisationsinstanzen und Institutionen der ersten zehn Lebensjahre ist damit überwiegend an Frauen, deren Bedürfnissen oder Interessen, orientiert! Das führt zu einem traditionellen Monopol an weiblichen Fachkräften und zur Exklusion von Fachmännern (etwa durch geringe Honorare) hinsichtlich der Geburtsvorbereitung, Familienbildung, Kleinkinderziehung, insbesondere in Kindergärten und Grundschulen.

Was treibt dich – trotz manchmal widriger Umstände – weiter in deiner Arbeit an?
Meine Vorbildfunktion für meine Töchter und Enkel lässt mich auch viele Jahre nach meiner Pensionierung aufmerksam bleiben für die enorme internationale, globale und zukunftsweisende Bedeutung gewaltfreier, gefühlsbewusster und wertschätzender Beziehungen zwischen Jungen und Mädchen, Männern und Frauen, Vätern und Müttern, Eltern und Kindern, in öffentlichen Einrichtungen, Betrieben, Verbänden, Parteien, Religionen und Vereinen.

Welches Projekt würdest du gerne noch umsetzen, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Und was möchtest du gegen Ende deines Lebens erreicht haben?
Ich bin eigentlich längst da, wo ich immer hinwollte; meine Projekte, Veröffentlichungen, Nachfahren und persönlichen Verbindungen stehen für meine Begriffe längst am richtigen Platz. Vielleicht bestärkt mich der Impuls dieses Interviews hier, in den nächsten Jahren ein wenig an meiner Biografie und an meiner Reiselust zu arbeiten.

Eine nicht gestellte Frage, die du aber dennoch gerne beantworten möchtest?
Die Frage danach, welche Interaktion zwischen meinem Privatleben und der beruflichen Entwicklung entstand, denn das ist mir noch wichtig zu sagen: Mit der Zeit lernte ich, mich selbst im Spiegel der Entwicklung von Männer-Themen zu betrachten. Und ich versuchte möglichst, die Konzepte in meinem eigenen Alltag anzuwenden und zu prüfen, die ich aus Forschung und Beratung, aus der Lehre und von Kollegen als »grundsätzlich sinnvoll für Männer« ansah. Dadurch fühlte ich mich zunehmend authentischer und selbstbewusster.
 
 
 

 
 
 
:: Martin Verlinden, Jahrgang 1949, Vater von fünf Kindern mit sechs Enkeln, wohnhaft in Bonn, Diplompsychologe. Forschung, Beratung, Lehre, Publikationen insbesondere zu den Themen Sozialemotionale Erziehung im Kindergarten, Mädchen und Jungen im Kindergarten, Väter im Kindergarten, Bestandsaufnahme zur Väterarbeit in NRW, Väter in der Familienbildung, Vom Mann zum Vater, Väter in Transitionen, Initiativen zu »Mehr Männer als Fachkräfte in Kitas«.

»Das Aufleuchten einer Erkenntnis in den Augen des Gegenübers«

Der MännerWegeFragebogen – beantwortet von Georg Paaßen

Interview: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Fotos: privat

 
Georg, was war oder ist dein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen-, Männer- und/oder Väterthemen?
Beide Eltern wurden vom Weltkrieg traumatisiert. Das hat sich nur selten gezeigt, war aber (findet mein Ich im Jahr 2023) deutlich zu spüren. Mein Vater war wenig präsent und starb, als ich 11 war, am Alkohol. Mir war klar: Die Männer sind selten glücklich. Im Alltag waren meine Mutter und meine Schwestern viel prägender. Auch andere weibliche Erwachsene in Familie, Kirchengemeinde und Verwandtschaft spielten wichtige Rollen. Meine Alltagserfahrung passte nie zu der Behauptung des Patriarchats, dass nur Männerwelten beachtenswert seien.

Und was ist dein politischer und fachlicher Zugang?
Die Feministinnen der 1970er und 1980er fielen mir auf. Beeindruckt war ich vom anderen Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in Büchern wie »Frauen« von Marilyn French oder »Der Tod des Märchenprinzen« von Svende Merian. Bei einer Organisation, die 18-monatige Freiwilligendienste im Ausland organisiert, war ich um 1987 an den Vorbereitungsseminaren beteiligt, wo wir Sexismus zum Thema gemacht haben.

Welche waren damals und sind heute deine zentralen Themen in der Beschäftigung mit Jungen, Männern und/oder Vätern?
Wir haben, als wir die Initiative »Pfefferprinz – Männernetzwerk und Aktion« gründeten, lange über die Zielformulierungen diskutiert. Hängen geblieben ist mir vor allem »enhancing men’s lives«, das deutsche Wort »bereichern« trifft es aber nicht wirklich. In meinem Engagement geht es mir um Klarheit über die eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Dabei denke ich immer mit, dass meine Entwicklung, meine Entscheidungen und meine Zukunft in sozialen Zusammenhängen verlaufen. Ich habe Entscheidungen getroffen: Ich möchte mit meiner Lebenspartnerin alt werden. Ich wollte mit ihr auch Kinder in den Welt setzen, die wir – gemeinsam – ins Leben begleiten. Das wäre mit einer beruflichen Karriere nicht vereinbar gewesen.
Ohne die Begegnungen mit alten Verwandten und im Zivildienst hätte ich mich auch nicht für den »Frauenberuf« Altenpflege entschieden. Auch heute noch, mit 58 Jahren, werde ich für beides schief angesehen.
Mit meinem Lieblingsmenschen, mit den Kindern (beide sind erwachsen) und auch mit Freund*innen, war Ehrlichkeit immer ein zentrales Thema. Dazu gehört auch, soziologische Tatsachen anzuerkennen und diese bei Bedarf zum Thema zu machen und zu hinterfragen. Das Patriarchat ist eine solche soziologische Tatsache. In patriarchalen Machverhältnissen erleben sich Männer immer wieder als »unpassend« und erfahren auf vielerlei Weise Anpassungsdruck. Ich habe noch niemanden kennengelernt, bei dem das ohne Verängstigungen, Verletzungen und spurlos geblieben wäre. Ohne die Begegnung mit bewegten Männern hätte ich nicht Klarheit über meine Wünsche und Bedürfnisse erarbeiten können. Diese Entwicklungen habe ich gern in Männer- und Vätergruppen und bei Männertreffen vorangebracht. So konnte ich zu meinen Entscheidungen stehen und Konflikte im Privat- und Berufsleben durchstehen.
Ich habe viele Pflegeauszubildende begleitet. ich habe in der Palliativversorgung Sterbenden und ihren Angehörigen beigestanden. Ich konnte auch meine Mutter in ihrem Sterben und meine Geschwister in ihrer Trauer begleiten.

Wie hat sich dein Engagement für Jungen, Männer und/oder Väter entwickelt, ggf. verändert?
Ich bin über die Jahre offener und verständnisvoller für die Lebensentwürfe und Prioritäten anderer geworden.

Das für dich nachhaltigste gesellschaftliche/historische Ereignis – auch im Kontext deiner Arbeit?
Ein einzelnes Ereignis fällt mir nicht ein. Aber Entwicklungen, etwa dass in der Zeit meiner Entwicklung zum erwachsenen Mann HIV und AIDS aufkamen, und damit auch eine Enttabuisierung des Sprechens über homosexuelle Lebensweisen. Oder diese Entwicklung: Wenige Jahre vor unseren Kindern wurde das Elterngeld eingeführt, das seitdem auch mehr und mehr Väter in Anspruch nehmen. Elterngeld war möglich, weil die »Erziehungsleistungen« gesellschaftlich zum Thema gemacht werden konnten. Die Rolle von Vätern wurde damit ebenfalls in den Blick genommen. In meinem Umfeld gehörte ich in den 1990er Jahren zu sehr wenigen Vätern, die vor der Kita standen oder (ohne Frau) beim Kinderarzt waren. (Uns mit Kinderfahrradanhänger zu sehen, war für viele in unserer Stadt auch eine Premiere.) Schließlich: Die vielen Jahrzehnte, in denen wir um gendergerechte Sprache ringen. Es ist viel besser geworden. Gefühlt werden die Auseinandersetzungen mit Ignoranten (und wenigen Ignorant*innen) leider nicht seltener.

Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deinen privaten und/oder beruflichen Beziehungen?
Eine reicht nicht, da gibt es mehrere, zum Beispiel die 17jährige, die mir um 1984 sagte: »Der Feminismus hat sich erledigt. Wir sind gleichberechtigt.« Und die Angst des schwulen englischen Freundes vor homophoben Gewalttätigkeiten auf offener Straße. Und die gemeinsame Entscheidung: Wir möchten zusammen Kinder und sie aufwachsen sehen, ebenso dann die gemeinsame Entscheidung, dass wir nicht noch mehr Kinder möchten und in der Folge meine Vasektomie. Auch das berufliche Scheitern einer 25jährigen Kollegin, die sich als Pflegefachperson in nur wenigen Jahren in die Berufsunfähigkeit gearbeitet hatte. Und ein Workshop über Männerkörper, auch mit Anfassen, und selbstverständlich mit Haydar Karatepe (1957-2011), damals beim Männertreffen 1994. Wie ebenso ein Bauer in Lederkluft, der sein schwules Coming-Out jenseits des 60. Geburtstages auch auf dem Männertreffen genoss. Und nicht zuletzt viele offene Gespräche mit Männern in single/komplizierten/schwulen/getrennten/verwitweten-Beziehungen, ohne und mit Kindern, in denen wir immer wieder Gemeinsamkeiten in unseren Lebensentwürfen entdecken konnten.

Drei Eigenschaften, die dich in deiner Arbeit und/oder Beziehungen zu anderen ausmachen?
Offenheit, Ehrlichkeit, …

Was gibt dir persönlich Sinn und Erfüllung in deinen beruflichen und privaten Beziehungen?
Das Aufleuchten einer Erkenntnis in den Augen des Gegenübers.

Was ist dir (mit) gelungen, worauf bist du (zusammen mit anderen) vielleicht auch stolz?
Zuerst: »Unsere« beiden Kinder leben ein glückliches Leben. Da gerade Mai 2023 ist: Mir ist sehr präsent, dass ich einen, wenn auch sehr kleinen, Anteil daran habe, dass in Deutschland kein Atomstrom mehr produziert wird. Ich habe von einigen Erlebnissen bei den Männertreffen geschrieben; ich habe Grund zu der Annahme, dass ich manche Männer ermutigt habe, sich selbst zu erkennen. Ich bin Altenpfleger, und weil der überwiegende Anteil der pflegebedürftigen Alten Frauen sind, konnte ich vielfach Geschlechtervorurteile entkräften und Vertrauen erwerben. Ich hoffe auch, dass ich vielen Auszubildenden Stolz auf den Pflegeberuf vermitteln konnte – das war nicht einfach, weil ich als Praxisanleiter überwiegend mit weiblichen Auszubildenden zu tun hatte.

Mit welchen Institutionen und Personen warst du gerne beruflich oder privat verbunden oder bist es noch?
Mit Alexander Bentheim von der Agentur MännerWege, mit dem »Rundbrief antisexistischer Männer« (erschien von 1988 bis 1992 in Berlin) und mit der Zeitschrift »Moritz« (erschien von 1993 bis 1997 ebenfalls in Berlin), außerdem mit dem Friedenszentrum Martin-Niemöller-Haus. Wenn das bundesweite Männertreffen und das Herbst-Männertreffen als Institutionen gelten, dann auch diese 😉

Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstände gegen dein Verständnis vom Umgang mit Jungen-, Männer- und/oder Väterthemen?
In den patriarchalen Machtstrukturen … aber das ist zu allgemein. Versuch der Präzisierung (1): Faulheit und Angst scheinen es vielen Männern fast unmöglich zu machen, eigene Verhaltensweisen und Eingrenzungen zu hinterfragen. Neue Erfahrungen sind dann nicht eine Einladung zu lernen und zu wachsen, sondern werden bedrohlich empfunden. Bis hin zu frauen- oder schwulenfeindlichen Gewalttaten. Versuch der Präzisierung (2): Wieder und wieder muss ich erleben, dass Menschen, statt die gesellschaftlichen Verhältnisse zu hinterfragen, ersatzweise einzelne Mitmenschen ins Visier nehmen. So werden Verhaltensweisen, die nicht-konformistisch sind, zu persönlichen Angriffen stilisiert und es wird zum persönlichen »Gegenangriff« geblasen.

Was treibt dich – trotz manchmal widriger Umstände – weiter in deiner Arbeit an?
Viele freudige menschliche Begegnungen.

Welches Projekt würdest du gerne noch umsetzen, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Und was möchtest du gegen Ende deines Lebens erreicht haben?
Ich habe das Wichtigste schon erreicht, dem Rest des Lebens sehe ich gelassen entgegen. Mit fast 60 Jahren kann ich überlegen, was ich mir für die Rentnerjahre vorstelle. Da denke ich als erstes an die Klimakatastrophe. Als zweites: Ich habe beruflich in der Pflege viel Wissen und Erfahrung erworben. Wahrscheinlich wäre es der verantwortlichste Umgang, mich in der Palliativversorgung zu engagieren. Was auch offene Begegnungen mit Menschen verspricht.
In der dritten Lebensphase werden Männer neu mit Fragen nach dem Lebenssinn konfrontiert. Auch die Sorge für andere und Situationen, in denen wir selbst auf Hilfe angewiesen sind, spielen eine größere Rolle. Mal sehen, was ich vor diesem Hintergrund, mit meinen Lebenserfahrungen, tun kann.

Eine nicht gestellte Frage, die du aber dennoch gerne beantworten möchtest?
Ich begann die Welt zu entdecken, bevor es das Internet gab. Deshalb waren und sind Bücher für mich wichtig. Ein Frauenbuch, das ich Männern gern empfehle: »Die Töchter Egalias« von Gerd Brantenberg (1977, Verlag Frauenoffensive, ISBN 388104163X).
2023 kollidieren Männer in ähnlicher Weise mit Rollenerwartungen wie 1993. Wenn das Rad nicht wieder und wieder neu erfunden werden soll, dann braucht es Kontinuitäten und Menschen, die die »Basisarbeit« machen: Prozesse und Konflikte dokumentieren, Männer vernetzen, Projekte aufbauen und deren Arbeit öffentlich machen. »MännerWege« aus Hamburg hat dazu sehr wichtige Arbeit geleistet. Ich freue mich, dass ich das unterstützen konnte.
 
 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
:: Georg Paaßen, geb. 1964, aufgewachsen im Ruhrpott, Männergruppen in Glasgow und Berlin, Vätergruppe im Ruhrpott, Teilnahme an diversen Männertreffen.

Männer und ihre Wege

Beiträge für ein biografisch geprägtes Archiv zur persönlichen, ehrenamtlichen und professionellen Beschäftigung mit Jungen-, Männer- und Väterthemen.

Mann sitzt über einer alten Schreibmaschine

Text: Alexander Bentheim
Foto: Andreas Berheide, photocase.de

 
Was ist uns wichtig? Warum tun wir, was wir tun? Was hat uns inspiriert oder provoziert, etwas besser oder anders machen zu wollen angesichts dessen, was wir vorgefunden haben? Und wie bewerten wir all das, im Nachhinein vielleicht radikaler oder milder als seinerzeit?

Länger projektiert, nun auf den Weg gebracht: Leitfragen, zu denen wir uns von Kollegen, Freunden, Partnern persönliche Antworten wünschen. Gedanken dazu, wie sie ihre Zugänge zur ehrenamtlichen oder professionellen Beschäftigung mit Männlichkeits*themen gefunden haben. Wie sie ihre biografisch geprägten Entwicklungen, Erweiterungen und Veränderungen empfinden, wie ihre inneren Verortungen, Überzeugungen und Begründungen aussehen. Und wie sie das alles – auch beruflich, partnerschaftlich, geschlechterpolitisch – reflektieren.

Bisherige Beiträge:
:: Dirk Achterwinter, Bielefeld
:: Dirk Bange, Hamburg
:: Alexander Bentheim, Hamburg
:: Marc Gärtner, Berlin
:: Thomas Gesterkamp, Köln
:: Gerhard Hafner, Berlin
:: Markus Hofer, Feldkirch (Österreich)
:: Frank Keil, Hamburg
:: Christian Meyn-Schwarze, Hilden
:: Georg Paaßen, Mülheim
:: Josef Riederle, Kiel
:: Ralf Ruhl, Göttingen
:: Matthias Stiehler, Dresden
:: Martin Verlinden, Köln

Weitere zugesagte Beiträge:
:: Frank Beuster, Hamburg
:: Tobias Bücklein, Konstanz
:: Ulrich Dirks, Dortmund
:: Harry Friebel, Hamburg
:: Frank-Ole Haake, Dresden
:: Jeff Hearn, Örebro (Schweden)
:: Wolfgang John, Hamburg
:: Karsten Kassner, Berlin
:: Michael Kimmel, New York (USA)
:: Karsten Knigge, Göttingen
:: Hans-Joachim Lenz, Ebringen b. Freiburg
:: Renato Liermann, Bochum
:: Birol Mertol, Essen
:: Karl-Heinz Michels, Ruderting b. Passau
:: Sascha Möckel, Dresden
:: Hans-Georg Nelles, Düsseldorf
:: Gunter Neubauer, Tübingen
:: Tim Rohrmann, Hildesheim
:: Wolfgang Rosenthal, Oldenburg
:: Michael Roth, Duisburg
:: Thomas Scheskat, Göttingen
:: Dag Schölper, Berlin
:: Christian Sieling, Dietzenbach b. Frankfurt/M.
:: Bernhard Stier, Hamburg
:: Holger Strenz, Dresden
:: Markus Theunert, Basel (Schweiz)
:: Michael Tunç, Köln
:: Rainer Ulfers, Hamburg
:: Detlef Vetter, Bielefeld
:: Henning von Bargen, Berlin

»You Don’t Need To Be Superheroes«

Einblicke in die vielfältigen Lebenslagen von Vätern – ein Projekt der Technischen Universität Braunschweig und der Fachhochschule Kiel

Collage von Vaterbildern

Text: Alexander Bentheim (Redaktion)
Illustration: Collage aus eigenen Bildern des Vaterschaftsprojektes und des Blogs »@alltagsgewusel«

Das Vaterschaftsprojekt (VAPRO) unter der Leitung von Dr. Kim Bräuer am Institut für Soziologie, Arbeit und Organisation der TU Braunschweig liefert aktuelle Einblicke in die Wahrnehmung von Vätern und wie sie sich auf ihr soziales Umfeld und ihre mediale Community beziehen. Dafür wurden Väter u.a. gefragt, welche Erwartungen sie an sich selbst haben, wie ihr Alltag aussieht und von wem sie beim Ausüben ihrer Vaterschaft unterstützt werden. Um die Studienlage in Deutschland zu diesem Thema zu stärken, führte VAPRO in drei Erhebungszeiträumen zwischen April 2021 und August 2022 insgesamt 55 qualitative Interviews, eine Online-Befragung mit 2.200 Vätern und eine Medienanalyse von 7 Instagram-Accounts von Väterbloggern durch.



Ein hier anhängender Kurzbericht informiert über die wichtigsten Ergebnisse des Projektes. Viele weitere Infos zum Projekt, darunter auch mehrere Podcasts und die Langfassung, gibt es auf dem Portal des Familienbüro der TU Braunschweig und auf dem Instagram-Account »dadsaredads« des Projektes.

Männlichkeiten als Lebensweisen in Geschichte und Gegenwart

14.Tagung des Arbeitskreises AIM Gender vom 15.–17. Juni 2023 im Tagungszentrum Stuttgart-Hohenheim

Ein junger Mann schüttelt seinen Kopf

Text: Alexander Bentheim (Redaktion)
Foto: botho, photocase.de

Mannsein zu leben war nie ein einfaches Unterfangen, sondern gekennzeichnet von einer je historisch und soziokulturell spezifischen Verwobenheit von Privilegien, Abwertungen, Überlegenheiten und Unterdrückungen. Dabei geht es – oft nur unterschwellig oder unbewusst – auch um den Aufbau von Identitäten in Vergleich und Konkurrenz mit oder in Abgrenzung von »anderen«. Für die Stabilisierung, aber auch für die Veränderung von Männlichkeit spielen Sozialisation und Subjektivierung eine zentrale Rolle. Die Art und Weise, wie Männlichkeit gelebt wird, verändert sich im Lebensverlauf. Formen von Partnerschaften, Freundschaften, aber auch solitäre und ungebundene Lebensweisen bestimmen große Bereiche des Alltags von Männern, und sie werden sehr unterschiedlich erlebt.
Die Veranstaltung des Arbeitskreises für interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung (AIM Gender) und des Fachbereiches Geschichte der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, in Kooperation mit dem Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Hildesheim, fragt in verschiedenen Themenfeldern – darunter: Queere Männlichkeiten / Männliches Leben im Spätmittelalter / Väterlichkeit / Männlichkeiten in der Kunst / Männliche Selbstkonstruktionen / Männliche Nahbeziehungen / Berufsmännlichkeiten – danach, wie Männlichkeit(en) alltäglich erlernt, erlebt, erfahren, erlitten und performativ hergestellt werden.

Alle Inhalte und Koordinaten zur Tagung finden sich im anhängenden Flyer.

Eine Frage der Perspektive

Der kleine Kasten am Rande des großen Tempelsaals

Text und Foto: Alexander Bentheim
Reihe »Bilder und ihre Geschichte«, #19


Wie man das manchmal so macht in fremden Städten, selbst als kirchenferner Mensch: man schaut in eine solche, z.B. um kühlenden Schutz vor der Sommerhitze zu finden, um sich einigen leise anerkennenden »Ooohs« und »Aaahs« hinzugeben oder um einen Moment die Stille von der Hektik der Stadt zu genießen. Auf dem kurzen Weg durch den Saal dann ein kleiner schwarzer Blechkasten in einem Seitengang, etwas unscheinbar, sein Hals viel zu eng, da passen vielleicht wenige kleine Münzen auf einmal hindurch, Scheine sicher nur gut vorgefaltete. Und warum ist der Kasten so schwarz, dass man ihn zwischen dem vielen Prunk und Gold als hässlich und fast schon selbst beschämt wahrnimmt? Frühe Gerechtigkeitsimpulse werden wach, Fragmente vom Schein und Sein alles Religiösen und Weltlichen verdichten sich auf einer mehr als nur kurzen Achterbahn durch Hirn und Herz, wilde Aktionsideen blitzen auf, aber mir fehlen gerade kommentierende Mittel für eine anhaftend sichtbare Bemerkung. Und nach Passau komme ich so schnell nicht wieder.



Reihe »Bilder und ihre Geschichte/n«
#18 | Ina Buskens, »Männer mögen es, wenn sie etwas härter dargestellt werden, als sie in Wirklichkeit sind.«
#17 | Alexander Bentheim, Zeitenwende / Beleidigungen in der Postmoderne
#16 | Frank Keil, Warten auf den nächsten Zug
#15 | Alexander Bentheim, Im Bistro am Ölberg
#14 | Alexander Bentheim, »Riskanter, als Aktien zu haben …«
#13 | Rolf Lüüs, Geschenkte Momente
#12 | Christian Thiel, Ein Augenblick der Ruhe und Verbundenheit
#11 | Tom Focke, Berliner Trompeten
#10 | Kerstin Maier, 9 Tage Glück / Familiensachen
#09 | Jo Fröhner, Rollentausch am Arbeitsplatz / Wenn Männer Männer pflegen
#08 | Kerstin Maier, Roadmovie / Männersachen
#07 | Caio Jacques, Von Luis zu Mina / Eine Reise zwischen den Geschlechtern
#06 | Alexander Bentheim und Frank Keil, Stephen Sondheim’s Musical »Assassins«
#05 | Soumita Bhattacharya, Mandeep Raikhy’s »A MALE ANT HAS STRAIGHT ANTENNAE«
#04 | Gilles Soubeyrand, Portraits und ein Interview
#03 | Jens Kuhn, Fotografische Männergeschichten und ein Interview
#02 | Kerstin Maier, 11 Freunde
#01 | Sebastian Ansorge, malender Kreativitätsbegleiter