Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Ralf Ruhl, Göttingen
Interview: Alexander Bentheim
Fotos: Alexander Bentheim
Was war oder ist dein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen-, Männer- und Väterthemen? Was dein politischer und fachlicher Zugang?
Mein Vater, Jahrgang 1926, war Zeit seines Lebens von der in der Nazi-Zeit und im Krieg eingeprügelten Angst geprägt. Die hat er mit Härte überspielt. Und mir weitergegeben mit Jähzorn, Kälte, Abwesenheit. Entsprechend stark war die Sehnsucht nach einem anwesenden, zugewandten Vater, der mir Halt gibt, Orientierung, mich schützt, anerkennt und stärkt. So war mein Einstieg in die Männerbewegung der Kampf gegen das Bild des harten Mannes, der alles aushält. Logischerweise habe ich mit Jungenarbeit und Väterarbeit losgelegt.
Welche waren damals und sind heute deine zentralen Themen der Jungen-, Männer- und Väterarbeit?
Anfangs war es die Anerkennung, dass Männer wichtig sind für ihre Kinder, dass sie eine genauso starke Bindung zu ihren Kindern haben wie die Mütter, dass sie diese Beziehung genauso gut leben können. Heute ist das grundsätzlich anerkannt, es fehlen aber immer noch die wesentlichen Ressourcen, um Männern gleichberechtigte Elternschaft zu ermöglichen. Das liegt am Familienrecht, am immer noch vorherrschenden Identifikationsmuster Mann = Erwerbsarbeit – bei Männern und Frauen, bei den Möglichkeiten flexibler Lebensgestaltung und den Ansprüchen hoher Verfügbarkeit des Arbeitsmannes seitens der Arbeitgeber.
Wie haben sich deine Tätigkeiten in der Jungen-, Männer- und Väterarbeit entwickelt, ggf. verändert?
Ich bin mit den Themen gealtert bzw. habe meine Themen meinem Lebensalter angepasst. So bin ich aus der Jungenarbeit vor vielen Jahren ausgestiegen. Dass Männer eine spezifische Ansprache brauchen ist inzwischen unumstritten. Auch, dass es männliche Erzieher in Kitas und Lehrer in (Grund)Schulen braucht. Wobei ihnen mit dem Generalverdacht auf sexuellen Missbrauch seitens Eltern oder weiblichem Personal immer noch jede Menge Steine in den Weg gelegt werden und eine Gleichberechtigung hier noch lange nicht erreicht ist. Ich freue mich sehr, dass es inzwischen normal ist, Väter mit ihren Kindern auf dem Spielplatz und im Stadtbild zu begegnen, auch in der Provinz. Zu Beginn meiner Tätigkeit war ich oft der einzige Mann auf dem Spielplatz, erst recht in der Krabbelgruppe. Da hat sich viel getan.
Das für dich nachhaltigste gesellschaftliche oder historische Ereignis – auch im Kontext deiner Arbeit?
Das Wichtigste ist die Einführung der Partnermonate bei der Elternzeit. Das kommt einem Kulturbruch gleich. Hier wird endlich anerkannt, dass Männer nicht nur Arbeiter und Geldbeschaffer für die Familie sind, sondern dass sie eine eigene persönliche Bedeutung für Partnerschaft und Kinder haben.
Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deiner Arbeit?
Ich habe fast immer als einziger heterosexueller Mann in Teams mit Frauen und mehrere Jahre auch mit schwulen Männern gearbeitet. Es hat jeweils viele Monate bis Jahre gedauert, bis ich mich anerkannt fühlte und die entsprechende Wertschätzung der Kolleginnen und Kollegen bekam. Dann aber habe ich sehr viel positive Rückmeldungen bekommen. Auch und gerade als »irgendwie anderer« Mann musste ich mich vor allem bei Frauen als Kolleginnen beweisen und durchsetzen.
Drei Eigenschaften, die dich in deiner Arbeit ausmachen?
Das Wichtigste: Zugewandtheit. Männer haben oft im Gespräch mit mir zum ersten Mal den Eindruck, dass ihnen jemand zuhört. Dann Geduld. Weil es häufig lange dauert, bis Männer Vertrauen fassen und sich öffnen. Und immer wieder Humor. Weil auch bei schwierigsten Themen es Leichtigkeit braucht, die Chancen für neue Sichtweisen und Perspektiven eröffnet.
Was ist für dich »Erfolg« in deiner Arbeit? Hast du ein Beispiel?
Erfolg ist für mich, wenn Männer sich öffnen und Veränderungsbereitschaft zeigen. In der Gruppe für Täter Häuslicher Gewalt – »Verantwortungstraining für Männer« – sind die Auswirkungen Häuslicher Gewalt auf Kinder im letzten Drittel des Trainings Thema. Ich zeige den norwegischen Animationsfilm »Der Wutmann«, in dem ein etwa vierjähriger Junge miterlebt, wie der Vater die Mutter verprügelt. Den Teilnehmern des Trainings stehen Tränen in den Augen. Weil sie das kennen. Weil sie das, was sie selbst als Kind erlebt haben, nie weitergeben wollten. Es aber trotzdem tun. Das schafft eine sehr tiefe, emotionale, wertschätzende Atmosphäre in der Gruppe, die persönliche Veränderung möglich macht.
Was gibt dir Sinn und Erfüllung in der Arbeit?
Erlebnisse wie eben beschrieben. Und Gespräche mit Kollegen, mit anderen aus der Männerbewegung. Wenn es da zum Flow kommt, Projekte überlegt und geplant werden, aus einem persönlichen Gefühl der Gemeinsamkeit heraus.
Was ist dir (mit) gelungen, worauf bist du (zusammen mit anderen) stolz?
Am meisten stolz bin ich darauf, dass Männer unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten mich in meiner Arbeit akzeptieren und wertschätzen, was sie dort erleben. Stolz bin ich auf die Videos, die ich mit Robert Moos für den Youtubekanal »Täterberatung Häusliche Gewalt« gedreht habe. Stolz bin ich auch auf verschiedene Artikel, die ich geschrieben habe, u.a. für die Zeitschrift »Gesundheit und Gesellschaft« der AOK. Und auf mein Buch »Kinder machen Männer stark«. Was mich glücklich macht: Dass meine Kinder meine Arbeit schätzen und anerkennen.
Mit welchen Institutionen und Personen hast du gerne zusammengearbeitet oder tust es noch?
Mit dem Göttinger Männerbüro, der Akademie Waldschlösschen, dem kidsgo-Verlag, paps e.V., mit Alexander Bentheim, Thomas Gesterkamp, Albert Krüger, Karsten Knigge, Werner Sauerborn, Robert Moos, dem Hilfetelefon »Gewalt an Männern«.
Was hat die Männer ausgemacht, mit denen du am liebsten zusammengearbeitet hast?
Freundlichkeit, Humor, Zugewandtheit, Wertschätzung, Wissen, Gelassenheit, Reflexionsbereitschaft, Offenheit.
Hast du eine Lebensphilosophie?
Männer, die warten können, gewinnen.
Wo siehst du Brüche in deiner Arbeit? Wodurch wurden die verursacht?
Es ist immer heftig zu spüren, wieviel vom alten Mann, der alten klassischen harten Männersozialisation in mir steckt. Das führt bestenfalls zu Erkenntnis, oft aber auch zu schrägen Widersprüchen. Ein starker Bruch: Es gibt kaum Nachwuchs in der Männerbewegung. Die nachwachsende Generation, die jungen Männer um 30, die wollen lieber den Mann an sich abschaffen – »Sei kein Mann« und ähnliche Titel verstopfen die Bestsellerlisten – als zu erkennen, wie und wo sie selbst Mann sind und das Männlichkeitsbild zu erweitern. Denn das würde auch bedeuten, wertzuschätzen, was an Männlichkeit und am Mannsein gut ist.
Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstände gegen dein Verständnis von Jungen-, Männer- und Väterarbeit?
Bei konservativen Kräften in Wirtschaft und Politik, die am althergebrachten Bild der Geschlechterhierarchie festhalten. Weil sich Männer und Frauen so am besten ausbeuten lassen. Bei Pädagoginnen, Müttern, Kinderbuchautorinnen, für die ein Penis so bedrohlich ist, dass sie Kinder grundsätzlich vor allem Männlichen bewahren müssen. Bei etablierten Kräften der Frauenbewegung, die weiterhin die Deutungshoheit über alles, was Familie und Kinder angeht, allein für sich beanspruchen – so weit, dass noch nicht einmal gesehen wird, dass Täterarbeit Opferschutz bedeutet.
Was treibt dich – trotz manchmal widriger Umstände – weiter in deiner Arbeit an?
Ich bin alt und brauche das Geld 🙂 Gute Gespräche mit Kollegen und Kolleginnen. Freundschaft. Wissen, dass die Arbeit wichtig ist. Zu sehen, dass sie Früchte trägt. Bei Projekten und bei einzelnen Personen.
Welche Projekte würdest du gerne noch umsetzen, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Und was möchtest du gegen Ende deines beruflichen Lebens erreicht haben?
Meinen persönlichen Väter-Podcast. Die Einrichtung von Schutzwohnungen für Männer in ganz Deutschland, vor allem aber in Hessen. Den Blick auf Jungen und Väter in Kinder- und Jugendbüchern schärfen durch gute und prägnante Rezensionen. Und einen Nachfolger für meine Arbeit in Eschwege gefunden haben. Am besten auch eine Regelfinanzierung für die Täterarbeit in Hessen erreichen.
Eine nicht gestellte Frage, du aber dennoch gerne beantworten möchtest?
Mein Männer-Lieblingsbuch: »Das etruskische Lächeln« von Jose Saramago. Mein Lieblingsfilm: »Second Best« mit William Hurt in der Regie von Chris Menges.
:: Ralf Ruhl, Jahrgang 1957, lebt in Göttingen, ist Vater eines Sohnes und einer Tochter, inzwischen auch Großvater. Er arbeitet bei der Beratungsstelle für Schwangerschaft, Familie und Sexualität der AWO Werra-Meißner in Eschwege. Seit Mitte der 1980er Jahre ist er in der Männerbewegung aktiv, hat das Männerbüro Göttingen mitbegründet, die Jungenarbeit der Pro Familia in Göttingen etabliert, den Fachbereich Männerbildung im Verein niedersächsischer Bildungsinitiativen geleitet, die Zeitschrift »paps« als Redakteur geleitet, das Internetportal www.vaeterzeit.de mitgegründet und als Redakteur geleitet. Jetzt arbeitet er mit Männern, die ihre Frauen verprügeln, und mit Männern, die selbst Opfer Häuslicher Gewalt wurden. Und schreibt und schreibt, wobei er besonders gern Kinder- und Jugendbücher für www.maennerwege.de rezensiert.