Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Thomas Gesterkamp, Köln
Interview: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Fotos: PixelClown, photocase.de | Alexander Bentheim
Was war dein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen-, Männer- und Väterthemen?
Meine erste Männergruppe hatte ich schon Ende der 1970er Jahre in meiner Heimatstadt Münster, da war ich 19 oder 20 Jahre alt. Unter Freunden haben wir über unsere Beziehungen zu Frauen, über Gefühle, Verunsicherung und sogar über Sexualität geredet, das war damals sehr ungewöhnlich. »Basisliteratur« war ein schmales Bändchen mit lustigen Zeichnungen, »Männergruppen« von Helmut Rödner, der Untertitel lautete: »Versuche einer Veränderung der traditionellen Männerrolle«.
Und dein politischer und fachlicher Zugang?
Der kam viel später. Anfang der 1980er Jahre habe ich mich auf mein Studium der Soziologie, Pädagogik und Publizistik konzentriert. Schon in der Unizeit war ich Mitarbeiter eines lokalen Stadtmagazins, nach dem Examen dort auch zwei Jahre festangestellt als Redakteur. Danach habe ich mich selbständig gemacht als freier Journalist und mit vier Kolleg:innen eine Bürogemeinschaft in Köln gegründet. Schwerpunkte waren wirtschafts- und kulturpolitische Themen, Geschlechterfragen spielten zunächst keine große Rolle. Das änderte sich Anfang der 1990er Jahre durch die Geburt meiner Tochter und das eigene Vatersein, und durch die Kooperation mit Dieter Schnack, mit dem zusammen ich mein erstes Buch »Hauptsache Arbeit – Männer zwischen Beruf und Familie« veröffentlicht habe.
Was waren damals und sind heute deine zentralen Themen?
Indirekt waren die ersten Jahre meiner journalistischen Tätigkeit schon verknüpft mit Gender-Themen. Ich habe viel über die Arbeitswelt berichtet, über Betriebsrats- oder Gewerkschaftskontakte ergab sich die Möglichkeit, zahlreiche Unternehmen von innen zu sehen. Schon früh hat mich dabei die Frage beschäftigt, warum Männer eigentlich so viel und so lange arbeiten, warum ihnen die Rolle des Ernährers so wichtig ist – und welche Folgen das hat für ihre privaten Interessen, für ihr Leben mit Frauen und Kindern.
Wie haben sich deine Tätigkeiten entwickelt und verändert?
Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus Vätersicht hat mich lange beschäftigt. In meinem zweiten Buch »gutesleben.de«, das nach dem Internet-Hype um die Jahrtausendwende erschien, lote ich aus, welche Chancen digitale Techniken bieten, damit Männer eine weniger eindimensionale, nicht nur auf den Beruf beschränkte Identität entwickeln können. »Die Krise der Kerle« war dann eine leicht popularisierte Version meiner Promotion über »Männliche Arbeits- und Lebensstile in der Informationsgesellschaft«. Hier ging es mir vor allem um die »double loser«, wie sie im Englischen heißen, die doppelten Verlierer: Männer, die erwerbslos sind oder sehr prekär arbeiten – und deshalb auch keine Partnerin finden, weil sie deren Erwartungen nicht erfüllen können.
Was war für dich im Rückblick das nachhaltigste Ereignis im Kontext deiner Arbeit?
Im Kontext der Väterdebatte sicher der ungeheure Schub, den das Elternzeitgesetz ab 2007 ausgelöst hat. Die Quote der männlichen Beteiligung stieg binnen weniger Jahre von 3,5 auf rund 40 Prozent. Es war für die meisten Männer eine ganz neue Erfahrung, plötzlich zeitweise allein für ein Kleinkind verantwortlich zu sein. Und selbst wenn die Mehrheit, was die Frauenpolitik regelmäßig kritisiert, nur zwei Monate pausiert, ist das etwas gänzlich anderes als null Monate. In meinem Buch »Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere« beschreibe ich diesen Kulturwandel als »Papawelle«: alle Institutionen, die sich mit Familie und Erziehung beschäftigen, also etwa Krippen, Kitas, Schulen, Gerichte, Arztpraxen oder Bildungsstätten, müssen sich seither mit aktiveren Vätern auseinandersetzen. Erst recht gilt das für die Situation am Arbeitsplatz: Männer kommen durch die Elternzeit vielleicht auf den Geschmack, fordern anschließend mehr Teilzeit- oder Homeoffice-Angebote.
Was ist für dich »Erfolg« in deiner Männerarbeit?
Meine Form der Männerarbeit ist ja eher die Männerpublizistik. Ich hoffe, dass ich mit der schriftlichen wie mündlichen Verbreitung meiner Gedanken einen nicht ganz unwesentlichen Beitrag geleistet habe zu dem, wo emanzipatorische Männerpolitik heute steht.
Was gibt dir persönlich Sinn und Erfüllung in deiner Arbeit?
Wie alle Autoren sehe ich mich gerne gedruckt. Und ich vertrete auch gerne öffentlich meine Meinung, mag es auf der Bühne zu stehen, ob als Moderator, Vortragsredner oder Podiumsgast.
Mit welchen Institutionen und Personen hast du gerne zusammengearbeitet oder tust es noch?
Ich habe über die Männerarbeit zum Beispiel gelernt, die christlichen Kirchen mehr wertzuschätzen. Denn die hatten schon Männergruppen, als es noch gar keine Männerbewegung gab. Diese Gesprächskreise waren vorwiegend spirituell und weniger politisch orientiert, das gilt im Kern bis heute. Ich schätze auch die Arbeit der Parteistiftungen im Gender-Bereich, ein klares Profil hat hier allerdings nur die grüne Heinrich-Böll-Stiftung. Zudem gab und gibt es in vielen Städten regionale Foren von männerpolitischen Akteuren, mit denen ich regelmäßig kooperiert habe, in einigen war ich zeitweise auch aktives Mitglied. Im letzten Jahrzehnt hat sicher das Bundesforum Männer als Dachverband an Bedeutung gewonnen. Nicht zu vergessen selbstverständlich meine langjährige und immer sehr angenehme Zusammenarbeit mit der Zeitschrift »Switchboard« und ihrem Online-Nachfolger »MännerWege«.
Was hat die Männer ausgemacht, mit denen du gerne gearbeitet hast?
Es tut einfach immer wieder gut, Männer zu kennen und zu treffen, die wie ich selbst ein anderes Männlichkeitsbild vertreten und repräsentieren als das herkömmliche.
Hast du eine Lebensphilosophie, ein Motto?
Leute auf keinen Fall ohnmächtig zurücklassen, sie immer auch ermutigen. Das Positive nicht aus dem Blick verlieren, humorvoll und selbstironisch sein.
Wo siehst du Brüche in deiner Arbeit? Wodurch wurden diese verursacht?
Überrascht haben mich die heftigen Reaktionen auf meine Recherche »Geschlechterkampf von rechts«, die ich 2010 für die Friedrich-Ebert-Stiftung erstellt habe. Antifeministische Männerrechtler inszenierten im Internet einen hasserfüllten Shitstorm gegen meine Person. Der Titel der Broschüre führte offensichtlich zu Missverständnissen, weil das Wort »rechts« in Deutschland immer gleich mit »Nazi« assoziiert wird. Klar, es gibt tatsächlich faschistoide Maskulinisten wie den norwegischen Massenmörder Anders Breivik. Aber es war nie meine Absicht, Akteure pauschal in eine bestimmte Ecke zu stellen. Ich habe stets für Differenzierung plädiert, lehne die pauschale Entlarvungsattitüde ab – zu der leider auch das linke Antifa-Milieu neigt.
Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstände gegen dein Verständnis von Männerarbeit?
Im leider sehr beharrlichen Fortbestehen des Patriarchats, der hegemonialen Männlichkeit im Sinne von Raewyn Connell. Und in Institutionen, die dies durch blockierende Rahmenbedingungen stützen. Man denke nur an das Ehegattensplitting, das immer noch die Hausfrauenrolle steuerlich subventioniert und damit auch die männliche Emanzipation behindert.
Was treibt dich trotz manchmal widriger Umstände weiter in deiner Arbeit an?
Ich habe schon so etwas wie eine »Mission«. Ich wünsche mir, dass mehr Männer ein facettenreiches »gutes Leben« führen können.
Welches Projekt würdest du gern noch umsetzen, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?
Eine größere Veranstaltung über Männer und Krieg. Mich irritiert sehr, wie viele ehemalige Pazifisten die Seite gewechselt haben, plötzlich Waffenlieferungen in Krisengebiete unterstützen oder gar die Wehrpflicht wieder einführen wollen. Die Pflicht zum Soldatentum war schon immer eine besonders brisante Form der geschlechtsspezifischen Diskriminierung. Auf merkwürdige, meist unausgesprochene Weise herrschte aber gesellschaftlich Konsens, den männlichen Kriegsdienst mit der weiblichen Care-Arbeit zu verrechnen. Die neue »Wehrhaftigkeit«, die sich jetzt auch Sozialdemokraten oder Grüne wünschen, hat keineswegs zufällig zuerst der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke gefordert. Damit will ich nichts zu tun haben, das ist ein extremer Rückfall in alte Rollenbilder.
:: Thomas Gesterkamp, Jahrgang 1957, lebt mit seiner Frau in Köln und ist Vater einer erwachsenen Tochter. Er ist promovierter Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist. Seit drei Jahrzehnten beschäftigt er sich mit geschlechterpolitischen Themen aus männlicher Perspektive. Er schrieb fünf Sachbücher und veröffentlichte hunderte von Beiträgen im Hörfunk, in Zeitungen, Fachzeitschriften und Sammelbänden zu männerpolitischen Fragen. Seine Recherchen hat er auf über 700 öffentlichen Veranstaltungen im deutschsprachigen Raum sowie in zahlreichen europäischen Ländern präsentiert. Ehrenamtlich engagierte er sich beim »Männer-Väter-Forum«, Köln, und beim »Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse«, Berlin; zudem war er Mitbegründer des »Väter-Experten-Netz Deutschland«. Weitere Infos sind auf seiner Homepage hinterlegt, und erleben kann man ihn auch im biografischem Podcast-Interview mit Hagen Bottek vom »PROJEKT A4 – Männerberatung in Thüringen«.