»Das Schönste ist, Feedbacks zu bekommen von Menschen, die man begleitet hat.«

Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Marc Melcher, Frankfurt/M.

2 Jugendliche auf einem Fahrrad vor Wohnblocks

Interview: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Fotos: bilderberge, photocase.de | privat

 
Was war oder ist dein persönlich-biografischer Zugang zur Jungen-, Männer- und Väterthematik? Was dein politisch-thematischer Zugang?
Erste Erfahrungen habe ich während meines Zivildienstes in einem paritätisch besetzten Team in einer Kita in Frankfurt gesammelt. Die frühe Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen und Geschlecht habe ich während meines Studiums an der Goethe-Universität in Frankfurt, hier vor allem in den Seminaren von Prof. Drin Barbara Rendtorff, ab 1994 erfahren, des Weiteren durch die Konfrontation mit sexualisierter Gewalt im jungen Erwachsenenalter, hier als Begleitung von einer betroffenen Person. Ich habe frühzeitig Wissen erworben (Theorie im Studium) und den Transfer in die Praxis machen können (Arbeiten im pädagogischen Bereich während des Studiums). In meinem weiteren Berufsleben folgte dann die Fortbildung in der Jungenarbeit in Nordhessen (2004) sowie meine Weiterbildung in der Genderpädagogik beim Bayrischen Jugendring in Gauting (2007).

Was waren damals und sind heute deine zentralen Themen in der Beschäftigung mit Jungen, Männern und Vätern?
In meiner Arbeit mit Jungen wie auch mit Studierenden der Frankfurt University of Applied Sciences war und ist es mir wichtig, Räume zum Austausch zu schaffen, ihnen zuhören, Beziehungsangebote zu machen und Impulse zu setzen, um ihnen Reflexionsebenen anzubieten.

Wie hat sich dein Engagement für Jungen, Männer und Väter entwickelt, ggf. verändert?
Die Grundrichtung ist seit den Anfängen ähnlich geblieben: zuhören statt belehren, Fragen stellen und Interesse zeigen an den Lebenswelten meiner Zielgruppen. Intersektionale Perspektiven kamen in den letzten Jahren hinzu. Immer wichtig war für mich auch der Austausch mit Kolleg*innen aus der Mädchen*arbeit und der queeren Jugendarbeit.

Das für dich nachhaltigste gesellschaftliche/historische Ereignis – auch im Kontext deiner Arbeit?
Die Digitalisierung, Social Media, die Corona Pandemie und deren Nachwirkungen auf junge Menschen.

Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deinen privaten und/oder beruflichen Beziehungen?
Menschen, die ich in meinen Arbeitskontexten kennengelernt und die mich in meinem beruflichen Alltag und im Privaten weitergebracht haben.

Eigenschaften, die dich in deiner Arbeit und Beziehungen zu anderen ausmachen?
Offenheit, Empathie, Fürsorglichkeit, professionelle Nähe. Auch die Offenheit, auf Menschen mit unterschiedlichen Haltungen in unserer »Szene« zuzugehen.

Was ist für dich »Erfolg« in deiner Auseinandersetzung mit Jungen-, Männer- und Väterthemen? Hast du Beispiele?
Erfolg für mich bedeutet: wenn eine Beziehungsebene zwischen Menschen hergestellt wurde, wenn Impulse wahrgenommen wurden. Das Schönste ist es, Feedbacks zu bekommen von Menschen, die man begleitet hat. Manchmal sind das Zufälle, wenn man Menschen wiedertrifft, z.B. ehemalige Jungen aus der Einrichtung in Hanau, aber auch Studierende oder junge Fachkräfte, die ich mit meiner Arbeit erreichen konnte.

Was gibt dir persönlich Sinn und Erfüllung in deinen beruflichen und privaten Beziehungen?
Zuhören, sich einlassen, sich positionieren, aber auch zu bestimmten Zeitpunkten sich zurücknehmen.

Was ist dir (mit) gelungen, worauf bist du (zusammen mit anderen) vielleicht auch stolz?
Der Begriff »stolz« ist für mich hier nicht passend. Ich bin froh und dankbar, Impulse zu setzen und gesetzt zu haben – z.B. mit und bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Jungen*arbeit, meine Projekte in Frankfurt am Main beim Paritätischen Bildungswerk Bundesverband im Care- und Fürsorgebereich, im Kontext der Fachgruppe für Jungen*arbeit in Hessen und in meiner pädagogischen Praxis mit jungen Menschen.

Mit welchen Institutionen und Personen warst du gerne beruflich oder privat verbunden oder bist es noch?
Institutionen stehen für mich weniger im Vordergrund als vielmehr Personen. Bundesweit, hessenweit und im Raum Frankfurt gab und gibt es Menschen, von denen ich eine Menge lernen konnte. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich beim Paritätischen Bildungswerk Bundesverband 2009 die Chance bekommen habe, mich bundesweit in dieses Arbeitsfeld zu bewegen.

Was hat die Männer/* ausgemacht, mit denen du gerne zusammengearbeitet oder Zeit verbracht hast?
Die Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, haben oder hatten auch immer Interesse an meiner Person, jenseits des Arbeitszeitkontextes. Auch hier stand die Beziehungsarbeit sehr oft im Vordergrund. Eine Offenheit und Nähe habe ich bei allen Personen wahrgenommen.

Hast du eine Lebensphilosophie, ggf. ein Lebensmotto?
Ich hatte eine glückliche Kindheit und liebevolle Eltern. Ich versuche, das in meiner Beziehung zu meiner Liebe zu leben und an unsere Tochter weiterzugeben. Ich versuche, die größtmögliche Akzeptanz anderen Menschen gegenüber zu haben – aber keine Toleranz bei Intoleranz, d.h., dass ich mich auch immer politisch positioniere.

Wo siehst du Brüche in deinen beruflichen oder freundschaftlichen Beziehungen? Wodurch wurden diese verursacht?
Wenn mit zweierlei Maß gemessen wird, etwa wenn eine Person sehr moralisch argumentiert, sich selbst aber in Widersprüchlichkeiten verstrickt. Widersprüchlichkeiten sind Teil des Menschseins. Sie sollten reflektiert, nicht negiert werden. Sonst wird es für mich schwierig in der weiteren Beziehung zu dieser Person, und da kann es dann auch zu Brüchen kommen.

Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstände gegen dein Verständnis vom Umgang mit Jungen-, Männer- und Väterthemen?
Auf der einen Seite das Nichtreflektieren von unterschiedlichen Lebensumständen und die mangelnde Wahrnehmung bezüglich unterschiedlicher Betroffenheiten, auf der anderen Seite das Wissen darum, dass sich das Leben in der Regel nicht als schwarz/weiß-Schablone darstellt. Wir wachsen alle in Strukturen und Systemen auf und bewegen uns darin. Dadurch nehmen wir unterschiedliche Positionen ein und haben auch unterschiedliche Privilegien. Diese Privilegien können sich aber auch verändern, im Sinne von gewinnen, verlieren, ausweiten und auch wiederum einschränken.

Was treibt dich – trotz manchmal widriger Umstände – weiter in deiner Arbeit an?
Zu merken, dass mein »Hauptbusiness« – nämlich: in Beziehung gehen – immer noch funktioniert und mir sehr viel Freude und Erfüllung bereitet. Kindern und Jugendlichen wird viel zu wenig zugehört, Adultismus ist oft das Metathema. In unseren Workshops zum Thema »Sexismus und sexualisierte Gewalt« wurde das 2023 wieder sehr deutlich.

Welches Projekt würdest du gerne noch umsetzen, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Und was möchtest du gegen Ende deines Lebens erreicht haben?
Ich würde gerne mehr zum Thema »Mobbing« mit Jungen* arbeiten, auch zum Thema »Beziehung« bzw. Liebesbeziehung, Wünsche und »Lebens«-Träume. Das passiert einfach zu wenig. Und vor allem Fachkräfte schulen, die mit »cis hetero Jungen« und männlichen Jugendlichen arbeiten und hier oft an ihre Grenzen kommen. Am Ende meines Lebens möchte ich das Gefühl haben, ein erfülltes Leben gehabt zu haben. Zum jetzigen Zeitpunkt, glaube ich, bin ich auf einem guten Weg dahin.

Eine nicht gestellte Frage, die du aber dennoch gerne beantworten möchtest?
Ja: Wie steht es mit dem Thema »Konkurrenz und Machtverhältnisse« innerhalb der »Szene«? Darüber würde ich mich gerne einmal mit Kolleg*innen austauschen, da diese Frage nicht oft reflektiert wird. Ich stelle mir interessante Resonanzen vor und Gedanken, die uns auch weiterbringen.
 
 

 
 
 
 
:: Marc Melcher, Jg. 1973, arbeitet in Frankfurt am Main und lebt auch dort in der Nähe. Von 2000 bis 2009 arbeitete ich in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Hanau bei der evangelischen Kirche. Seit 2009 bin ich Bildungsreferent beim Paritätischen Bildungswerk Bundesverband mit den Themenfeldern: Jungen*arbeit, Genderpädagogik in Kita, Hort und OKJA, und ich bin Berater für den Early Excellence-Ansatz im Elementarbereich. Ich gebe Fortbildungen in meinen Themenfelder für Fachkräfte und führe dort immer wieder Projekte/Workshops in »koedukativen« und »homogenen« Settings mit Kindern und Jugendlichen durch, um die daraus gewonnen Praxiserfahrungen in die nächsten Fort- und Weiterbildungen einfließen zu lassen; in einem Interview mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung konnte ich mein Verständnis dazu etwas ausführen. Freiberuflich bin ich darüber hinaus Referent bei der Sinus Akademie für deren Jugendstudie und führte 10 Jahre lang den Boys’Day an der Frankfurt University of Applied Sciences mit Studierenden durch. Ehrenamtlich bin ich seit mittlerweile 10 Jahren im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Jungen*arbeit.