»Der Anspruch sollte sein, etwas zu tun, was einem Jungen in seiner Situation hilft.«

Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Josef Riederle, Kiel

drei junge Männer vor dramatischem Himmel

Leitfragen: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Fotos: e.kat, photocase.de | privat

 
Nach einem Verwaltungsstudium habe ich mit 29 Jahren noch Sozialpädagogik studiert. Dann begann im April 1991 der Aufbau des »Männerzentrum Kiel e.V.«, in welchem ich über 4 Jahre lang leitend aktiv war. Und 1992 absolvierte ich die Jungenarbeiter-Weiterbildung (antisexistische Jungenarbeit) an der Heimvolkshochschule Alte Molkerei Frille, um dann 1995 KRAFTPROTZ Bildungsinstitut für Jungen und Männer zu gründen, das ich 2020 an meinen Nachfolger übergeben habe. Zusammen: ein 30 Jahre langer Weg, der davon geprägt war, dass es für die Belange von Jungen und Männern kaum Verständnis gab. Die notwendige Frauenemanzipationsbewegung hat eine Sichtweise auf Jungen und Männer als störende, zerstörende, sexistische Wesen, die von der patriarchalen Dividende profitieren, entwickelt. Eine defizitorientierte Wahrnehmung, die nur einen Teil der männlichen Wirklichkeit abbildete und nicht erkannte, dass Jungen zu Männern gemacht werden. So wurden z.B. die Angebote der Jugendzentren von Jungs wahrgenommen. Aber niemand fragte danach, ob diese Angebote die Entwicklung von Jungs hin zu verantwortlicher Männlichkeit fördern oder ein tradiertes Männlichkeitsstereotyp bedienen.

1990 habe ich eine Veranstaltung zu Angsträumen in Kiel besucht und dort gab es eine Arbeitsgruppe nur für Männer. Die Inhalte der AG weiß ich nicht mehr, aber ich erinnere mich gut, wie beschämend ich es fand, dass die veranstaltende Frauenorganisation für uns Männer ein Forum schaffen musste, damit wir überhaupt mal zusammenkamen. Das war der entscheidende Funke, um zusammen mit anderen Männern das »Männerzentrum Kiel e.V.« zu gründen. Der Leitsatz für Jungenarbeiter: »Du selbst bist Dein wichtigstes Werkzeug!« macht deutlich, dass jeder, der mit Jungs arbeiten will, auch seine eigene Biografie, seine Werte und sein Mann-Sein in einer patriarchalen Gesellschaft reflektieren sollte. Denn der »heimliche Lehrplan« prägt das eigene Wirken mit.

Ich habe die Haltung, die ein Mensch berücksichtigen sollte, der mit Menschen arbeitet, in vier Sätzen ausgedrückt, die als Botschaft beim Gegenüber ankommen sollten:
1. Ich sehe Dich: Ich bin da. Ich interessiere mich für Dich. Ich bin bereit, hinter Deine Fassade zu schauen und Dich bei Deinem Blick hinter Deine Fassade zu begleiten.
2. Du bist okay: Die persönliche Wertschätzung als Mensch, den persönlichen Respekt hat jeder verdient. Aber nicht alles, was jemand macht, ist okay. Das konkrete Verhalten darf und soll kritisch reflektiert werden, doch die Person wird respektvoll behandelt.
3. Du gehörst dazu: Du bist ein Junge und daher gehörst Du dazu. Du bist ein Mann und daher gehörst Du dazu. Du musst nichts dafür tun, musst nicht gigantisch sein, Dich nicht besser oder größer darstellen als Du bist. So wie Du bist, gehörst Du dazu und genügst.
4. Ich bleibe: Ich halte Dich aus. Ich breche nicht zusammen, wenn Du deine Wut und Deinen Frust zeigst. Ich bin der Scheuerpfahl, an dem Du Dich reiben kannst. Ich konfrontiere Dich mit mir und mit meinen Werten und Bedürfnissen.

Ich habe versucht, Jungs und Männern zu verdeutlichen, dass alles, was sie empfinden, zu einem gesunden Mannsein gehört. Ich mag es nicht, von femininen Anteilen zu sprechen. Es ist alles ein männlicher Anteil eines Mannes. Alle Anteile sind gleich wertvoll, alle sind wichtige Teile eines ganzen Mannes.
Ohnmacht und Hilflosigkeit sind Empfindungen, die wohl keiner gerne spürt. Doch als Jungenarbeiter und als pädagogisch Wirkender gehören sie zum Alltag. Damit meine ich nicht, dass man nichts tun könnte. Doch der Anspruch sollte sein, etwas zu tun, was förderlich ist, was einem Jungen in seiner Situation hilft. Und da war ich oft hilflos, weil ich nicht wusste, was jetzt wirklich hilft und nicht nur einer schwierigen Situation ein vorläufiges Ende bereitet.

Ich habe in all den Jahren viele positive Rückmeldungen bekommen und weiß, dass der Arbeitsansatz der KampfESspiele® viele Frauen und Männer in ihrem beruflichen und privaten Sein gestärkt und geprägt und auch den Blick auf Jungen verändert hat.
Ich fand es immer wichtig, dass Jungen unter Jungen sein dürfen. Geschlechtshomogene Arbeit eröffnet einen Schon- und Gedeihraum zum Wachsen. Und in der Jungenarbeit ist das kein reduziertes Männlichkeitsstereotyp, das angeboten wird, sondern ein vielschichtiges, gefühlvolles, individuelles, kraftvolles, herzliches, lebensbejahendes Bild vom Junge- und Mannsein. Leider wird dies durch »moderne« Sichtweisen und Theorien in Frage gestellt und endlose Diskussionen haben mich ermüdet.

Spannend fand ich in all den Jahren die Zusammenarbeit mit der Mädchenarbeit, und die Berührungsängste der Anfangszeiten haben sich längst in eine achtsame, wertschätzende, auch sich ergänzende Akzeptanz entwickelt. Ich war nie der Netzwerker, der sich in lokalen und nationalen Arbeitskreisen wohl gefühlt hat. Ich glaube, ich habe manch einen Kollegen und manch eine Kollegin enttäuscht, wenn ich nach kurzer Zeit mehr oder weniger lautlos nicht mehr erschienen bin.

Der Kooperationspartner, der mich die letzten 20 Jahre am meisten begleitet und inspiriert hat, ist der Schweizer Verein Respect!. Vor allem Urban Brühwiler ist mir ein so geschätzter und freundschaftlicher Kollege geworden, und ich bin dankbar für jeden Tag, den ich mit ihm zusammenarbeiten durfte.

Ich arbeite seit 16 Jahren ehrenamtlich bei Männerpfade mit. Männerpfade unterstützt Männer dabei, ihr wahres Selbst zu entdecken und dem Diktat des Egos zu entkommen. Dort arbeite ich auch seit zwei Jahren in einer Ältesten-Werkstatt mit. Zunächst einmal sprechen wir von Herzen und hören einander mit offenem Herzen zu. Die Wege und Herangehensweisen an das Altern sind so unterschiedlich. Ziel dieser Werkstatt ist es auch, herauszufinden, was das Älteste-Sein in unserer Gesellschaft ist und wie es wirken kann.
Ein intensives und glückliches Leben im Angesicht des körperlichen und psychischen Abbaus, im Angesicht des sicheren Todes und der eventuell vielen Jahre, die Mann nach dem Ende der Erwerbsphase noch zu leben hat.

Ich habe mal einen Satz aufgeschrieben, der mich weiter begleitet: »Wer mehr sein will, muss lassen können.« Darum geht es mir jetzt auch mehr. Loslassen und Dasein. Und durch das Dasein auch ansprechbar sein.
Ich will mir noch viele Fragen anhören und keine Antworten darauf geben, sondern lediglich kleine Bemerkungen, die dazu führen können, dass sich die Frage weiterentwickelt.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
:: Josef Riederle, Jahrgang 1959, Kiel.

Gefühle lernen

Empathie lernen und die eigenen Gefühle wahrnehmen – wie das geht, wird in diesem Kinderbuch für die Jüngsten deutlich.

glücklicher Junge mit geschlossenen Augen

Text: Ralf Ruhl
Foto: LP, photocase.de

Was geht in dem Jungen vor, dem die Haare zu Berge stehen, dessen Gesicht rot angelaufen ist, der den Mund weit aufgerissen hat und der wild gestikuliert? Wie geht es dem Mädchen, das die Hände vor dem Bauch kreuzt, dessen Augen groß sind und leicht grau, das zusammengesunken da steht und offensichtlich nicht mit den anderen im Hintergrund spielen darf? Mit »In mir … und in den anderen« schreiben und zeichnen Karen Glistrup und Pia Olsen ein Buch über Kinder und ihre Gefühle. Höchst empfehlenswert vor allem für Eltern und pädagogisches Personal.

Zur Rezension

»Neugierig bleiben für das, was noch kommt.«

Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Alexander Bentheim, Hamburg

Mann vor Abendhimmel

Interview: Ralf Ruhl
Fotos: Alexander Bentheim | Ina Graf

 
Was war dein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen-, Männer- und Väterthemen? Was dein politischer und fachlicher Zugang?
Mein persönlicher Zugang war tatsächlich einer, der Trauer, Ohnmacht und Wut zugleich auslöste: eine enge Schulfreundin sprach eines Tages davon, dass sie als Jugendliche vergewaltigt wurde; ich kann mich noch an die kurzzeitige Blutleere in meinem Kopf erinnern. Ich studierte zu diesem Zeitpunkt und versuchte, Antworten auf meine aufgewühlten Emotionen zu finden. In der Uni-Bibliothek fand ich zum Thema – 1985, deutschsprachig – einige resolute Frauenbücher und zwei viktimologische Untersuchungen, das war alles. Ich wollte aber mehr wissen, gerade auch von Männern, die mit Gewalt nicht einverstanden sind. Weil die meisten Aussagen der Frauenliteratur zu »destruktiven Männern im Allgemeinen« und die Befunde der Kriminalitätsforschung zum »pathologischen Mann im Besonderen« unbefriedigend blieben, weder Generalisierung noch Individualisierung also weiterführten, war damit ein politisch-thematischer Zugang gelegt. In meiner Diplomarbeit beschäftigte ich mich dann für lange Zeit damit, warum Männer (sexualisiert) gewalttätig werden und welche gesellschaftlichen und traditionellen Strukturen dies begünstigen. Als zukünftiger Sozialpädagoge und Erwachsenenbildner wollte ich dann aber auch wissen, was interventiv, aber vor allem präventiv gegen Gewalt von Männern unternommen werden kann. Und was sich für Jungen sozialisatorisch ändern müsste, damit sie als Männer nicht gewalttätig werden.

Welche waren damals und sind heute deine zentralen Themen der Jungen-, Männer- und Väterarbeit? Wie haben sich deine Tätigkeiten hier entwickelt, ggf. verändert?
Meine Themen waren und blieben die Gewaltkontexte, damals Jungen und Männer als Ausübende, heute steht die eigene Gewaltbetroffenheit von Männern eher im Fokus. Beides hängt zusammen, nicht zwingend kausal, aber immer geht es um Fragen der Sozialisation, um Aneignungs- und Bewältigungsstrategien, um Selbstachtung und Selbstwirksamkeit, aber auch um (Rollen)Erwartungen, Hoffnungen, Kommunikation, Respekt, alles zentrale Lebensthemen. Neben der Gewaltfrage hat mich aber immer auch die Berufsorientierung interessiert, insbesondere, was es jenseits der traditionellen Männerberufe zu entdecken gibt und ob z.B. Pflege, Sorge, Kümmern nicht auch männlich aspektiert werden können. Das Thema erschloss sich mir als Pendant zur Gewalt, weil es um Entwicklung, Selbstverwirklichung, Empathie geht. Folgerichtig waren für mich daher auch die Projekte »Boys Day« und »Soziale Jungs Hamburg«, für die ich mich lange engagiert habe.

Das für dich nachhaltigste gesellschaftliche Ereignis – auch im Kontext deiner Arbeit?
Da gibt es einige. Beispielhaft hervorheben möchte ich die Kampagne »Mehr Respekt vor Kindern« des Bundesfamilienministeriums im Jahr 2000 und unseren öffentlichen Protest dagegen. Flankierend zum »Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung« (§ 1631 BGB) gab es eine bundesweite Plakat-Kampagne mit den Motiven von zwei Mädchen und einem Jungen. In einem Offenen Brief haben wir damals kritisiert, dass der abgebildete Junge nicht nur als Opfer dargestellt wurde, sondern bereits als potentieller Täter. Angesichts der damals schon breit geteilten Erfahrungen über die Folgen von Gewalt an Kindern war das unglaublich danebengegriffen und maximal fahrlässig. Das hat mich über Monate aufgeregt und verärgert! Mir sagte das: die Kampagnenverantwortlichen im Ministerium sind schlicht nicht auf der erwarteten fachlichen Höhe. Unserem Offenen Brief schlossen sich knapp 400 Frauen und Männer an, und erfreulich dabei: auch Kolleginnen aus Opferberatungsstellen und Frauenhäusern beteiligten sich. Angesichts vieler Konflikte in den Jahren zuvor zwischen Männern und Frauen im Themenfeld »Geschlecht und Gewalt« eine sehr angenehme Erfahrung. Die damalige Ministerin Christine Bergmann verteidigte die Aktion und stellte sie, wie das so üblich ist, als Erfolg dar. Renate Augstein, damals Leiterin des Grundsatzreferates Frauenpolitik im BMFSFJ, die ich vom gemeinsamen Forschungsprojekt der Opferhilfe e.V. und Männer gegen Männer-Gewalt Hamburg kannte, räumte in einem persönlichen Gespräch später ein, dass die Vergabe an die Werbefirma und insbesondere die Feedbackschleifen bis zur endgültigen Freigabe des Druckauftrags nicht ganz glücklich verlaufen seien.

Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deiner Arbeit?
Die jährlichen bundesweiten Männertreffen, an denen ich mit wenigen Ausnahmen seit 1986 teilnehme. Das ist immer so ein Mix aus Begegnung, Freizeit, Arbeit, Wohlgefühl, Experiment, Inspiration, Verbundenheit, Kurzurlaub. Da treffe ich Männer wieder, die ich über das Jahr nicht sehe, einfach weil sie zu weit weg wohnen. Schön daran: wir kommen alle mal raus aus unseren Alltagsblasen und erzählen uns, wie es uns über das Jahr ergangen ist. Und weil viele viel voneinander wissen, können wir uns gut tragen und halten, manchmal auch aushalten.

Drei Eigenschaften, die dich in deiner Arbeit ausmachen?
Neugier, Zuverlässigkeit, Kontinuität.

Was ist für dich »Erfolg« in deiner Jungen-, Männer- oder Väterarbeit? Hast du Beispiele?
Erfolg in meiner Arbeit ist ja relativ und temporär. Wenn eine Entwicklung bei einem Klienten oder in einer Gruppe spürbar wird, im Sinne von Bewegung, gedanklich, emotional, dann würde ich von Erfolg sprechen. Wenn daraus noch Entscheidungen, Handlungen, gar neue Wege entstehen, umso besser. Und wenn meine Arbeit daran einen Anteil hat, durch einen Impuls, eine Begleitung, eine Ermutigung, auch mal eine Konfrontation, freut es mich. Feedback nach Jahren freut mich besonders, wenn da jemand auf mich zukommt und sagt: »Die Gespräche haben mir damals gutgetan, und das hat auch mit dir zu tun«.

Was gibt dir Sinn und Erfüllung in der Arbeit?
Wenn ich spüre, dass gegenseitiger Respekt gelebt wird und keine Worthülse bleibt, z.B. in laufenden Projekten. Da darf auch mal etwas langsamer als schneller vorangehen, Hauptsache, alle Beteiligten sind an Bord und die Schwarmintelligenz kommt zum Zuge. Lieber gründlich als überhastet – ich finde, dass wir uns für die wichtigen Dinge die Zeit zurückholen sollten, die etwas braucht, um zu gelingen, Entschleunigung als Grundrecht – Hetze im Alltag gibt es ohnehin genug. Wenn jemand mit Zeitdruck agiert, werde ich mittlerweile oft sehr gelassen und schaue erst mal, worum es überhaupt geht. Ich hinterfrage gerne behauptete Selbstverständlichkeiten und schaue, ob sie gerade für mich passen. Und ich liebe Kontinuitäten, auch so ein Dimension von Zeit. Wenn ich Kollegen von vor Jahren wiedertreffe und das Gefühl da ist, wir könnten gleich wieder da anknüpfen, wo wir neulich aufgehört haben – das ist der Hit!

Was ist dir (mit) gelungen, worauf bist du (zusammen mit anderen) stolz?
Dass ich an der ersten offiziellen Bestandsaufnahme zur Beziehungsgewaltarbeit in Deutschland beteiligt war. Dass wir fast 25 Jahre »Switchboard« gestaltet und herausgegeben haben, angefangen bei der geklammerten Lose-Blatt-Sammlung bis hin zum grafisch gestalteten Heft. Dass ich die »Sozialen Jungs Hamburg« fortgeführt habe, obwohl nach sechs Jahren das Budget halbiert wurde. Und dass ich mich mit meinen Sichten auf Jungen- und Männerarbeit oft verstanden fühle.

Mit welchen Institutionen und Personen hast du gerne zusammengearbeitet oder tust es noch?
Personen gibt es viele, Frauen wie Männer. Sicher sind dies die nahen Kollegen, mit denen mich eine lange berufliche, teils auch persönlich intensive Zusammenarbeit und Freundschaft verbindet. Es sind aber gar nicht so sehr Institutionen, sondern vielmehr Orte, an denen Begegnungen stattgefunden haben, die mir etwas bedeuten und die ich nicht missen will. Auch wenn es sie so nicht mehr gibt, wie z.B. die HVHS »Alte Molkerei« Frille. Dort bin ich mit der Jungenarbeit Mitte/Ende der 1980er Jahre beruflich großgeworden, hab gestritten, gelernt und sie ein Stück weit auch mitgestaltet. Und dann waren und sind – noch einmal – die kleinen und großen Männertreffen wichtige wechselnde Orte, für den persönlichen, aber auch fachlichen Austausch.

Was hat die Männer ausgemacht, mit denen du am liebsten zusammengearbeitet hast?
Im Wesentlichen waren und sind das die, die mir gedanklich, seelisch oder auch ganz pragmatisch in der Arbeit ähnlich sind, das macht vieles leichter, wenn die Zeiten und Themen gerade nicht so einfach sind. Aber ich fühle mich auch beschenkt, wenn Kritisches echt und zielführend rüberkommt. Das inspiriert und bereichert mich.

Hast du eine Lebensphilosophie?
Neugierig bleiben für das, was noch kommt.

Wo siehst du Brüche in deiner Arbeit? Wodurch wurden die verursacht?
Brüche als zeitliche und damit auch inhaltliche Unterbrechungen gab es immer dort, wo Vorhaben in der Jungen-, Männer- und Väterarbeit nur projektiert und befristet waren, und eben nicht oder kaum institutionalisiert und also auf Dauer gefördert wurden – obwohl sie von allen Seiten stets als wichtige Vorhaben eingestuft wurden. Das habe ich oft erlebt, auch bei Kollegen. Wie kann da langfristig etwas Nachhaltiges entstehen, wenn nach wenigen Jahren alles wieder auf null gestellt wird? Wenn die Kollegen abwandern (müssen), um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und damit Expertise verloren geht? Politik und Verwaltung möchten sich oft gern profilieren, aber nicht verbindlich werden, das ist ein systemisches Problem. Würde Jungen-, Männer- und Väterarbeit so ernst genommen werden wie viele gesellschaftliche Akteur*innen sich hier ein echtes geschlechterdemokratisches Engagement wünschen, sähe es vermutlich anders aus. Nachhaltigkeit gibt es aber nicht zum Spartarif.

Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstände gegen dein Verständnis von Jungen-, Männer- und Väterarbeit?
In misstrauischen Politiken und schwerfälligen Verwaltungen gegenüber allem, was deren selbst geschaffene Sicherheiten bedroht. Aber natürlich auch bei Männern und Frauen, Vätern und Müttern selbst: Ängste, Klischees, Scham, Gleichgültigkeit.

Was treibt dich – trotz manchmal widriger Umstände – weiter in deiner Arbeit an?
Wenn Ärger und Frust am Ende doch noch in Kreativität und Hartnäckigkeit verwandelt werden können. Seit ich erfahren habe, dass Jungen-, Männer- und Väterarbeit alternativlos ist, will ich nicht mehr dahinter zurück.

Welches Projekt würdest du gerne noch umsetzen, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Und was möchtest du gegen Ende deines beruflichen Lebens erreicht haben?
Ich würde gern ein Archiv der Männerbewegung und Männerarbeit mitgestalten, Materialien und Dokumente dazu habe nicht nur ich reichlich. Es braucht aber Leute, die so etwas finanzieren, und weitere Leute, die das Archivieren richtig gelernt haben, damit es auch nutzbar gemacht werden kann für Interessierte, vielleicht auch für die nächste Generation. Ich kann da nur beratend und etwas einordnend gedankliche Fäden zusammenführen.

Eine nicht gestellte Frage, die du aber dennoch gerne beantworten möchtest?
Tatsächlich die Frage nach dem Reichtum, den es an männlichen Ausdrucksformen jenseits der üblichen Sprache noch oder immer wieder zu entdecken gibt, etwa in Tanz und Bewegung, Bildern und Filmen, auch Musik, Handwerk, Naturerleben und in der Kochkunst. In meinem Fall ist das die Fotografie, sie verschafft mir die Möglichkeit, Widersprüche, Botschaften und Stimmungen auszudrücken, wofür es nicht zwingend der gesprochenen Worte bedarf. Ich ziehe dafür alleine oder mit Freunden und der Kamera los. Die Fotografie setze ich auch in Portrait-Workshops mit Männern ein, mit wirklich schönen Ergebnissen zur Selbstfindung der Teilnehmer. Ich denke, dass diese »Sprachen« männerkulturelles Leben sehr bereichern und unendlich wichtige Beiträge zum gegenseitigen Wahrnehmen und Verstehen leisten können.

 
 
 

 
 
 
:: Alexander Bentheim, Jg. 1959, ist Dipl.-Pädagoge und ist seit 1986 in einem Mix aus Anstellung und Freiberuflichkeit als pädagogischer und wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fortbildner, Lehrbeauftragter und Projektentwickler in der Männer-, Väter- und Jungenarbeit aktiv. Er war beteiligt an Forschungs- und Modellprojekten auf Bundes- und Länderebene zu den Themen Jungen/Männer und Gewalt (Täter, Opfer). Er arbeitete über 20 Jahre als Autor, (technischer) Redakteur, Mitherausgeber und Verleger von »Switchboard. Zeitschrift für Männer und Jungenarbeit«, gründete den Verlag, später auch die Agentur »MännerWege« mit und war in diesem Rahmen zusammen mit seinem langjährigen Kollegen Andreas Haase u.a. verantwortlich für den Aufbau des Väterportals NRW. Mit der Agentur war er auch Gründungsmitglied des »Bundesforum Männer« und dort in der »Fachgruppe Jungen und junge Männer« aktiv. Er war Beiratsmitglied im bundesweiten BMFSFJ-Projekt »Neue Wege für Jungs« während dessen Pilotphase, organisierte über viele Jahre ein »Praxistreffen Jungenarbeit« für Kolleg*innen der Offenen Arbeit in Hamburg, koordinierte 17 Jahre lang den Hamburger Boys Day (»Was für Jungs!«) und leitete 13 Jahre das berufsorientierende Förderprojekt »Soziale Jungs Hamburg«. Seit 2020 ist er im Beratungsteam NRW des Männerhilfetelefon, engagiert sich darüber hinaus zusammen mit Frank Keil für das online-Portal »MännerWege« und arbeitet in eigener Praxis als Berater, Coach und Supervisor. Er lebt in Hamburg und ist nebenbei auch gern als Fotograf und Kleingärtner unterwegs. Über seine fotografische Arbeit kann man mehr erfahren auf den Portalen photocase, times-magazine und Instagram.

Schatzsuche mit Goldsteinen

Ruphus Bo Wollberg über sein 3-Wochen-Praktikum im Spielhaus Wagrierweg, einer Niendorfer Einrichtung für Kinder mit einem Betreuungsangebot auch im Nachmittagsbereich

Bernstein im Sonnenlicht

Interview: Alexander Bentheim
Foto: Obivan, photocase.de

Ruphus, du hast dich im letzten Jahr für ein 3-Wochen-Schulpraktikum im Spielhaus Wagrierweg entschieden. Warum?
Ich fand es eine gute Idee, dass ich etwas mit Kindern mache, da ich mich auch vorher schon immer gefreut habe, wenn ich spielerisch mit Kindern zu tun hatte.

Was waren deine Aufgaben und Tätigkeiten?
Hauptsächlich habe ich auf die Kinder aufgepasst. Manchmal bin ich mit ihnen und Mitarbeiterinnen auch vom Spielhaus zu einem Spielplatz in der Nähe gegangen, ebenso habe ich ab und zu bei den Hausaufgaben oder beim Essen geholfen. Ich habe auch geschaut, dass es keine Streitigkeiten gibt, und wenn doch, dann habe ich schlichten geholfen.

Was hat dich am meisten beeindruckt während deiner Mitarbeit?
Am meisten hat mich tatsächlich beeindruckt, dass die Kinder – obwohl ja wirklich noch sehr jung – schon relativ gut als Team funktionierten. Also sie konnten schon recht gut miteinander interagieren, und sie haben sich zugehört. Klar, es gab hier und da mal ein paar Schwierigkeiten, aber insgesamt haben die sich gut miteinander verstanden.

Mit wie vielen Kindern hattest du zu tun und in welchem Alter waren diese?
Ich hatte quasi zwei Schichten am Tag, eine am Vormittag mit Kindergartenkindern, eine am Nachmittag mit Kindern auch im Grundschulalter. Ich hatte am Tag mit ca. 10 Kindern zu tun, die waren zwischen 3 und 6 Jahren, nachmittags auch bis 7 oder 8 Jahre alt.

Was hat dich überrascht, das du zuvor nicht gewusst hast?
Dass er deutlich anstrengender ist, der Job als Erzieher, als ich vorher gedacht habe.

Was hast du gelernt, wovon du sagst: das nehme ich mit aus diesen 3 Wochen?
Also wenn ich später Kinder haben sollte, dass ich auf jeden Fall Geduld aufbringe, weil vieles eben nicht einfach und schnell von der Hand geht.

Würdest du irgendetwas von dem, was du im Praktikum erlebt hast, noch verbessern oder auch anders machen
Ich würde gerne mehr Innenaktivitäten machen, aber das war jetzt wegen Corona wohl nicht möglich. Ich war eigentlich nur draußen mit den Kindern.

Fühltest du dich insgesamt wohl in der Einrichtung, mit den Kindern, mit der Anleitung?
Wohl auf jeden Fall, es war nur ein bisschen stressig und manchmal auch nervig, Kindern Dinge zu erklären, auch mehrfach, die halt erklärt werden müssen. Dass einige Kinder da manchmal etwas schwer von Begriff waren und nicht beim ersten Mal verstanden, was ich meine, das war schon anstrengend und auch zeitaufwändig.

Hast du noch ein Beispiel für ein Angebot, wo die Kinder richtig neugierig und begeistert waren?
Wir hatten mal die Aufgabe, einen »Piraten«-Tag mit den Kindern zu machen. Da hatten wir die Idee, wir sammeln große Steine, machen die sauber und malen die dann mit Goldfarbe an. Danach haben wir eine Schatzsuche gemacht und alle Kinder haben sofort gesagt: »Ja, da bin ich dabei!« Das war echt süß, wie alle gesucht haben auf dem Gelände, wo ein Goldstein versteckt sein könnte.

Würdest du die Arbeit anderen empfehlen? Und welche Voraussetzungen bräuchte jemand für diese Arbeit deiner Meinung nach?
Empfehlen würde ich auf jeden Fall, dass man geduldig ist und auch einiges tolerieren kann, weil die Kinder manchmal halt sehr zickig sein können. Aber wenn man damit klarkommt, würde ich diese Arbeit auf jeden Fall empfehlen.

»Man kann Kinder für das Aufräumen ein bisschen austricksen«

Martin Tolkmitt, 13, Schüler der Stadtteilschule Niendorf und Teilnehmer am Halbjahreskurs »Soziale Jungs vor Ort«, über seine Mitarbeit im Kinderhaus »Fliewatuut«.

2 Kinder spielen im Matsch

Interview: Alexander Bentheim
Foto: suze, photocase.de

Martin, was hat dich am meisten beeindruckt während deiner Mitarbeit?
Dass wir tatsächlich viel mit den Kindern gespielt und sie beschäftigt haben, was ich zuerst gar nicht als richtige Hilfe gesehen habe. Ich dachte, spielen bedeutet nicht so viel, aber doch, darüber kann man ja Vertrauen herstellen.

Mit wie vielen Kindern hattest du zu tun und in welchem Alter waren diese?
Das waren so bis zu 15-16 Kinder, im Alter von 2 bis 6 Jahre.

Was hat dich überrascht, das du zuvor nicht gewusst hast?
Dass ein Kind einfach zu weinen anfängt, nur weil es mich sieht. Also das war in einer Situation, wo wir fangen spielen wollten, und plötzlich weinte der Junge los. Vielleicht war ihm das zu plötzlich mit dem Spiel, obwohl ich mich schon bemüht hatte, nicht zu schnell zu sein. Aber nach kurzer Zeit war das vorbei. Ach ja, und dass manche Kinder richtig gewalttätig sein können, also dass sie Spielzeug nehmen und dich damit schlagen oder an deinen Klamotten ziehen. Dann habe ich zwar »Stop!« gesagt, aber so richtig zugehört hat wohl niemand. Erst als die Erzieherin dazu kam, haben sie aufgehört. Ich muss wohl etwas strenger werden. Oder konsequenter. Überhaupt mussten wir aber auch aufpassen, dass sie sich nicht verletzen, weil sie schon ein bisschen wild waren.

Was hast du gelernt, wovon du sagst: das nehme ich mit aus dieser Zeit?
Dass man mit den Kindern nicht sofort losspielen kann, sondern warten muss, bis sie zu dir kommen. Ich wollte eine Verbindung herstellen zu einem Kind, aber das war etwas schwierig, weil ich ja neu war und unbekannt für das Kind. Da muss man erstmal etwas anderes machen und warten, bis sie zu dir kommen und dann kannst du fragen: »Na, willst spielen?« Man muss sich halt langsam kennenlernen.

Würdest du etwas verbessern wollen oder anders machen?
Ja, vielleicht nicht so sehr nur mit den Kindern spielen, sondern ihnen auch beibringen, nicht so wild zu sein. Was ich aber nicht geschafft habe … vielleicht bin ich ja zu nett und wollte keinen »bösen« Eindruck vermitteln. Und ich hätte gern noch etwas mehr Anleitung gehabt, was wir mit den Kindern machen sollen. Am Anfang hab ich viel gefragt, was wir mit denen machen, aber da gab es nicht so viele Antworten. Wir sollten wohl selbst herausfinden, was wir alles machen können.

Fühltest du dich insgesamt wohl in der Einrichtung, mit den Kindern?
Zuerst war es ungewohnt, weil ich vorher noch nie – also als schon etwas Älterer – in einer Kita war. Da habe ich so viele Kinder gesehen und wusste nicht genau, was ich mit denen nun machen soll. Es war alles neu, aber mit der Zeit habe ich mich schon wohlgefühlt und es war dann alles einfacher.

Hast du ein Beispiel für ein Spielangebot, bei dem die Kinder richtig neugierig oder begeistert waren?
Neugierig weiß ich jetzt nicht so, aber die haben oft Fangen gespielt mit uns, und sie haben damit auch angefangen, und Bela – mit dem zusammen ich im Kinderhaus war – und ich haben dann halt mitgemacht. Dann haben sie uns erwischt, aber wir sind auch wieder rausgekommen und dann gab es viel Geschrei. Da war dann natürlich viel Begeisterung und Spaß dabei.

Würdest du diese Arbeit anderen Jungs empfehlen? Und welche Voraussetzungen bräuchte jemand deiner Meinung nach dafür?
Man braucht auf jeden Fall Geduld. Am Anfang war es ja so, dass wir darauf warten mussten, dass die Kinder auf uns zukommen, nicht umgekehrt. Und man braucht etwas Mut, mit ihnen zu sprechen, weil man ja bei dem Altersunterschied nicht gleich weiß, wie man sie ansprechen kann, vor allem wenn man keine kleinen Geschwister hat. Und man sollte nicht schnell reizbar sein oder wütend werden, nicht alles persönlich nehmen, weil man ja auch ein Vorbild sein soll. Das brauchte uns auch nicht gesagt werden, denn das haben wir schon selbst schnell gemerkt, dass man sich vorbildlicher verhalten muss.

Gab es Kinder, mit denen du mehr anfangen konntest als mit anderen?
Am Anfang fand ich manche aggressiver und manche netter. Aber eigentlich waren sie alle ganz lieb, wenn wir sie dann besser gekannt haben. Über das gemeinsame Spielen mochten wir dann alle gleich gern.

Gibt es noch etwas, das du erwähnenswert findest?
Man kann die Kinder für das Aufräumen, was ja niemand gerne macht, austricksen: indem man sagt, dass es ein Spiel ist, und wer mehr aufräumt, der gewinnt. Dann kann man einfach dabeistehen und die Kinder räumen schon alles auf. Bela hat jüngere Geschwister und daher weiß er, wie man das richtig ansprechen kann, so mit einem leicht kindlichen »Dialekt« 🙂

»Alberner Penis« !?

Ein Body-Positivity-Bilderbuch für Kinder

Mann im Profil und Luftballons im Hintergrund

Text: Ralf Ruhl
Foto: cydonna, photocase.de

Rosie Haines »Es ist doch schön, nackt zu sein, denn jeder Körper ist ein Wunder!« ist eines der besten Bücher zum Thema Vielfalt, das ich je gesehen habe. Denn es kommt ohne jedes Moralisieren aus und vermittelt vor allem dies: die Freude am eigenen Körper. Allerdings mit einem kleinen Haken am – äääh – Haken …

Zur Rezension

»Kontinuität erleben und damit Selbstvertrauen für das Leben entwickeln«

Christian Herzog über seine Arbeit mit Jungs im Hamburger Stadtteil Bramfeld und warum er gerne auch mit jugendlichen Honorarkräften zusammenarbeitet.

drei Jugendliche sitzen vor einem Holzhaus

Interview: Alexander Bentheim
Foto: møt, photocase.de

Christian, du leitest seit Dezember 2018 die SGA Bramfeld. Was sind deine Kernanliegen in der Arbeit mit Jungen und Jungengruppen?
Ganz niedrigschwellig ausgedrückt: dass die Jungen lernen, ihre Interessen auszudrücken, auszuhandeln und Kompromisse zu finden. Und dass sie mich als Erwachsenen kennenlernen, den sie so nicht in ihren gewohnten Kontexten Familie und Schule haben, und mit dem sie auch anders als oft üblich reden und umgehen können.

Mit wie vielen Jungen hattest du bislang zu tun und in welchem Alter waren oder sind sie?
Angefangen habe ich mit 16 Jungen, und so viele waren es eigentlich auch immer, jedoch hab‘ ich recht bald zwei kleinere Gruppen aus ihnen gebildet. Dann hat es sich herumgesprochen, was wir in den Gruppentreffen machen, und dadurch haben auch andere Jungen die Einrichtung hier kennengelernt. Mit etwa 25 Jungen und Jugendlichen stehe ich seit Beginn im Kontakt, vereinzelt sind mittlerweile auch Mädchen dabei. Die Jungs waren zwischen 11 und 13 Jahre alt, jetzt sind sie zwischen 14 und 16. Die ersten Gruppen werden demnächst enden, und wenn ich eine neue Gruppe anfange, sind sie wieder 11-13 Jahre alt. Für die dann Ehemaligen werde ich aber noch ein Angebot für einmal im Monat stricken, den »Langen Freitag«, der ihnen ermöglicht, noch herzukommen. Weil, die sind es einfach gewohnt, sich nach der Schule hier Brötchen abzuholen, die ich vom Bäcker bekomme, und das wird weiterhin Bestandteil meines Angebots sein.

Kommen sie alle hier aus dem Stadtteil?
Die meisten Jungs gehen hier auf die »Dorfplatzschule« und wohnen in Bramfeld, teils auch in Farmsen. Mein Ansatz ist ein lebensweltlicher Ansatz: sobald die Jungs mit Bramfeld zu tun haben in irgendeiner Weise, ist die SGA offen für sie. Ich kriege auch Anfragen vom Jugendamt, ob ich mich um einzelne Fälle kümmern kann, und auch das mache ich. Diese Jungs gehören dann zwar nicht zu den Gruppen, aber ich war auch schon mal bei einem Familienrat dabei, weil ein Jugendlicher auf mich aufmerksam wurde und mich darum bat, dazu zu kommen.

Dann bist du mittlerweile so etwas wie ein Bezugspunkt für manche Jungs …
Also eigentlich bin ich hier so eine Art Anlaufstelle. Und mitbedingt oder auch verstärkt durch Corona habe ich mittlerweile auch einen sehr engen Kontakt zu bestimmten Schulen, ich stehe in einem guten Austausch zu den Vertrauenslehrer*innen auch von Farmsener Schulen.

Zu den Jungs, die bei dir als Honorarkräfte arbeiten können: Welche Aufgaben und Tätigkeiten vergibst du an sie, was erwartest du von ihnen, was können sie lernen?
Ich bin immer auf der Suche nach männlichen Jugendlichen oder jungerwachsenen Männern, so ab 17 Jahre aufwärts, die Interesse daran haben, sich in einem sozialen Beruf auszuprobieren. Auch dafür ist die SGA da, dass Interessierte die Gruppentreffen mit mir gestalten oder Ferienprogramme mit vorbereiten oder Ausflüge mitmachen und Aktionen planen. Ich nehme immer gerne Honorarkräfte mit ins Boot, im letzten Jahr hatte ich vier, gerne auch mit den Kompetenzen, die sie mitbringen. Einer ist z.B. handwerklich sehr begabt, der andere spielt Eishockey, und danach baue ich die Angebote auch gerne auf oder die Ausflüge. Ich achte dabei sehr darauf, dass sie das im geschützten Rahmen machen, dass ich immer dabei bin und dass ich das Meiste der Vorbereitungen übernehme. Sie sollen sich ausprobieren können und ich stehe hinter ihnen und halte ihnen den Rücken frei. Übrigens auch die, die gerne etwas vermitteln oder beibringen möchten, können sich im Rahmen eines Lernförderprogramms ebenso bei mir melden. Ich bin in der glücklichen Lage, dafür extra Fördermittel zu haben.

Was hat dich am meisten beeindruckt während deiner Anleitungen?
Die Zuverlässigkeit. Und die innere Verbindung in deren Arbeit mit den Jungs zu meiner Arbeit. Ja, auch das Durchstehen von Frustmomenten, und tatsächlich manchmal auch die Souveränität, mit der die jungen Honorarkräfte alles angehen, das hat mir echt gut gefallen.

Was hat dich überrascht, wovon du zuvor nicht gewusst hast? Bei den Jungen und bei dir selbst?
Wenn ich mich zum Beispiel ad hoc mal um einen einzelnen Jungen kümmern musste, auch rausziehen musste, und meine Honorarjungs mir dann den Rücken frei gehalten haben. Ich hatte mal die Polizei hier, weil einer der Gruppenjungs beim Klauen erwischt wurde, und ich musste mich von jetzt auf gleich darum kümmern. Da konnte ich den Gruppenprozess meinen Honorarjungs einfach vertrauensvoll übergeben und sie haben das übernommen und richtig gut gemanagt.

Hast du ein Beispiel für eine Maßnahme oder ein Ereignis, wo deine Anleiter-Jungs richtig neugierig und begeistert waren?
Ja, wenn wir Ausflüge gemacht haben, vor allem, wenn wir übers Wochenende weggefahren sind. Das hat für die Honorarkräfte einen ähnlichen Effekt wie für die Jungs, für die das eigentliche Angebot ist. Nämlich: raus aus dem Kontext, rein in etwas Fremdes, sich da dann organisieren und gucken, wie funktioniert etwas, wie machen wir es.

Was sollten deine Honorarjungs »drauf« haben, wenn sie ihre Mitarbeit hier beenden?
Sie sollten unterscheiden können zwischen ihren eigenen Interessen und denen der Jugendlichen, sollten wissen: was ist mein Thema, und was ist das Thema der Jungs in der Gruppe. Und ja, ich möchte auch gern, dass sie über die Zeit immer mehr Verantwortung übernommen haben.

Was würdest du verbessern oder auch anders machen, wenn du die Möglichkeit dazu hättest – z.B. zeitlich oder von den Rahmenbedingungen her?
Ich würde gern mehr Honorarmittel zur Verfügung haben, um einen gewissen Puffer bei den Einsatzmöglichkeiten und auch für überraschenden Notwendigkeiten zu haben. Und ich fände das auch dafür schön, dass die Honorarkräfte nicht nur montags kommen, sondern auch mal unter der Woche, damit sie etwas mehr vom Gruppengeschehen mitkriegen und nicht so viel berichten muss, was angefallen ist. Und ja, auch strukturell mehr Möglichkeiten zu haben, denn die Gruppentreffen hängen an meiner Person, und da mal abgeben zu können, wenn ich z.B. krank bin, das wäre schon entlastend, damit die Verbindlichkeit für die Gruppenjungs weiterläuft. Das ist wahrscheinlich utopisch, aber das wäre ein Wunsch.

Welche Voraussetzungen bräuchte jemand – deiner Meinung nach – um diese Arbeit zu machen, die du machst?
Selbstmotivation. Du musst dich motivieren, aber auch hinterfragen können. Das kommt daher, dass ich kein Team und keinen Kollegen habe. Ich muss hier einfach machen, wenn es weitergehen soll und ich etwas erreichen will; sich einfach gemütlich einrichten geht nicht. Hilfreich ist dabei sehr, dass ich einen tollen Chef habe, der mir vertraut. Und eine Kollegin in einem anderen Haus der Jugend habe ich für den kollegialen Austausch, aber so einzelkämpferisch braucht es auch ein hohes Maß an Selbstdisziplin.

Was wäre dir noch wichtig noch zu sagen?
Ich komme ja aus der Offenen Arbeit, finde es aber sehr spannend zu erleben, was in den nun quasi selbst »geschlossenen« Gruppen dann an Prozessen – im geschützten Rahmen – alles möglich ist. Als ich damit angefangen habe, hätte ich nicht gedacht, dass das so gut funktioniert und wie erfüllend diese Arbeit sein kann. Und ich denke, auch für die Honorarkräfte mit sagen zu können: wie wichtig es ist für die Jungs, hier Kontinuität zu erleben und damit Vertrauen und Selbstvertrauen für ihr Leben zu entwickeln. Und für die Honorarkräfte, ebenso wie für die »Gruppenjungs«: es geht immer um Möglichkeitsräume, wo sie erleben, wie wirkungsmächtig ihr Tun in diesem Räumen sein kann.

Christians Angebot für Jugendliche, die sich für eine Mitarbeit interessieren, findet ihr hier.

»Mehr Selbstvertrauen, dass ich mit Kindern arbeiten kann.«

Emilio Centanaro, 15, über seine Erfahrungen auf dem Hamburger Bauspielplatz Rahlstedt-Ost und was sein Praktikum mit Motivation und Selbstvertrauen zu tun hat.

Junge spielt in einer Waldhütte

Interview: Alexander Bentheim
Foto: coscaron, photocase.de

Emilio, warum ein Praktikum auf einem Bauspielplatz?
Ich fand es interessant, weil ich noch nie so richtig mit Kindern gearbeitet habe. Christian Herzog von der SGA Bramfeld hat mir das Praktikum vorgeschlagen und ich fand das okay und richtig super, die Kinder waren voll nett, und wir konnten da ein bisschen was bauen.

Was waren deine Aufgaben und Tätigkeiten?
Die meiste Zeit habe ich mit den Kindern im Gelände gespielt und auch aufgepasst, dass nichts passiert. Ich habe in der Werkstatt mitgeholfen und Werkzeug an die Kinder ausgeliehen. In der letzten Woche haben wir dann zusammen ein Fahrrad repariert.

Was hat dich auf dem Baui am meisten beeindruckt?
Wie nett die Leute da sind und wie die Kinder einem zuhören können; sie waren nicht so anstrengend wie ich das erwartet hatte.

Mit wie vielen Kindern hattest du zu tun und in welchem Alter waren diese?
Das waren so 6-8 Kinder, sie waren etwa 7 bis 8 Jahre alt.

Was hat dich überrascht, wovon du zuvor nicht gewusst hast?
Dass der Baui so groß ist, das habe ich nicht erwartet. Ich dachte, es gibt nur einen kleinen Raum, in den die Kinder reingehen und z.B. malen können. Aber nein, das war ein sehr großes Gelände mit Spielplatz und vielen Möglichkeiten.

Was hast du gelernt, wovon du sagst: das nehme ich mit aus dieser Zeit?
Mehr Selbstvertrauen, dass ich mit Kindern arbeiten kann. Und dass es positive Überraschungen geben kann, wenn man erst nicht weiß, was auf einen zukommt und man denkt, dass es stressig werden kann mit den Kindern. Aber das war am Ende überhaupt nicht mehr so. Deshalb nehme ich mit, dass ich etwas nicht einschätzen sollte, bevor ich es nicht ausprobiere.

Würdest du irgendetwas noch verbessern oder ganz anders machen?
Nein, es war alles okay.

Fühltest du dich insgesamt wohl in der Einrichtung, mit den Kindern, mit der Anleitung?
Ja, sehr. Auch dass ich, wenn ich mit dem Rad ankam, erstmal etwas zu trinken und manchmal auch Kuchen bekommen habe; ich wurde richtig gut aufgenommen. Wir wollen auch den Kontakt miteinander halten, aber wegen der Schule geht das im Moment gerade nicht. Wenn ich mal Zeit habe, fahre ich einfach vorbei und schaue, wie es denen geht.

Hast du noch ein Beispiel für ein Angebot, wo die Kinder richtig neugierig und begeistert waren?
Ja. Ich musste mal einen kleinen Schrank bauen und da war ein kleiner Junge, der unbedingt mitmachen wollte. Ich hab ihm dann dies und das gezeigt, aber dann verlor er doch die Lust und wollte lieber spielen gehen. Das war wohl etwas viel für ihn, was wir da vorhatten.

Würdest du die Arbeit, die du gemacht hast, anderen empfehlen? Und welche Voraussetzungen bräuchte jemand deiner Meinung nach dafür?
Ja, das würde ich, aber es muss jemand richtig Motivation mitbringen, mit Kindern arbeiten zu wollen! Und viel Energie! Denn die Kinder haben auch viel Energie, wollen laufen und verstecken spielen, und das Gelände ist ja groß. Gut war, dass sie dann doch schneller müde wurden als ich.

»Wenn jemand etwas nicht verstanden hat, klären wir das und finden gemeinsam die Lösung heraus.«

Rino Centanaro, 16, hat gleich zwei Praktika in der Grundschule gemacht – beim ersten Mal in der Nachmittagsbetreuung, beim zweiten Mal im Unterricht.

Schuljunge macht Hausaufgaben

Interview: Alexander Bentheim
Foto: REHvolution.de, photocase.de

Rino, warum hast du gleich zwei Praktika in der Grundschule gemacht?
Ich arbeite gerne mit Kindern und ganz allgemein mag ich den Sozialbereich. Von der Grundschule erfuhr ich von Christian Herzog von der SGA Bramfeld, da habe ich dann zuerst bei einer Erzieherin mitgeholfen, und dann im zweiten Praktikum im Unterricht, fast so als »Hilfslehrer«. Ich habe also beide Bereiche in der Grundschule kennengelernt. Und jetzt würde ich gern Erzieher werden.

Was waren deine Aufgaben und Tätigkeiten?
Hauptsächlich den Kindern helfen z.B. dadurch, dass sie für eine kurze Zeit aus den Klassen genommen werden und man alleine mit ihnen arbeitet, damit sie alles besser verstehen lernen. Also eine Einzelfallhilfe, kann man so sagen.

Was hat dich am meisten beeindruckt während deiner Mitarbeit?
Wie die Kinder so drauf sind. Manche waren sehr respektvoll, andere waren das überhaupt nicht gegenüber den Lehrern oder anderen Kindern. Sie waren wirklich sehr unterschiedlich.

Mit wie vielen Kindern hattest du zu tun und in welchem Alter waren diese?
Etwa 20 Kinder, im Alter von 8-9 Jahren, das ist die 3. Klassenstufe.

Was hat dich überrascht, wovon du zuvor nicht gewusst hast?
Dass es richtig anstrengend ist, vorne zu stehen und die Aufmerksamkeit der Kinder zu bekommen. Und dass es wichtig ist, wie du deinen Unterricht vorbereitest: Also du kannst den Kindern natürlich einfach ein Arbeitsblatt zum Durchlesen geben – oder du gestaltest deinen Unterricht eben anders. Du arbeitest dann direkter mit den Kindern. Oder auch mit allen zusammen, dass sich niemand alleine fühlt. Und wenn jemand etwas nicht verstanden hat, klären wir das in der großen Gruppe und finden gemeinsam die Lösung heraus.

Was hast du gelernt, wovon du sagst: das nehme ich mit aus dieser Zeit?
Das Vertrauen der Kinder. Ich war zwar nur 3 Wochen da, aber in dieser Zeit haben mir einige Kinder von ihren Problemen zuhause erzählt. Ich hätte nicht gedacht, dass das so schnell gehen kann mit dem Vertrauen entwickeln. Diese Erfahrung nehme ich gerne mit.

Würdest du irgendetwas verbessern wollen oder ganz anders machen?
Nein, es war eigentlich vieles perfekt und passte auch. Vielleicht die Nachmittagsbetreuung, dass die besser aufgebaut ist, da gab es kaum Absprachen mit der einen Erzieherin, das hätte mehr sein können; gefühlt habe ich die Arbeit für sie gemacht, vor allem an dem einen Tag. So musste ich schon einiges selbst in die Hand nehmen, woran man ja auch lernen kann, aber das war am Anfang eine Überforderung, denn ich war mir nicht sicher, was ich tun sollte. Im zweiten Praktikum war das anders, da hat mich der Lehrer mitgenommen und mir gezeigt, wie er arbeitet und was anliegt. Er hat mich richtig gut angeleitet.

Fühltest du dich insgesamt wohl in der Einrichtung, mit den Kindern, mit der Anleitung?
Ja, da gibt es nichts auszusetzen.

Hast du ein Beispiel für ein Angebot, wo die Kinder richtig neugierig und begeistert waren?
Ja, ich habe mit den Kindern eine ganz neue Sportart gemacht, »Spikeball« heißt die, und sie kannten das nicht. Entsprechend aufgeregt waren sie. Dazu haben wir dann auch ein kleines Turnier durchgeführt, und wir hatten richtig viel Spaß.

Würdest du die Arbeit anderen empfehlen? Und welche Voraussetzungen bräuchte jemand deiner Meinung nach dafür?
Ganz viel Geduld und dass jemand die Kinder auch gerne verstehen lernen will, also nicht nur so ein »Ja, ja«, sondern sich wirklich interessieren und offen sein auch für die Unterschiedlichkeit.

»Schwul oder was?«

Ist doch ganz normal heute, das mit dem Schwul-Sein – wirklich?

Zwei Männer im Kornfeld umarmen sich

Text: Ralf Ruhl
Foto: joto, photocase.de

In seinem Jugendbuch-Essay »You don’t look gay« fragt Julius Thesing, warum dann so viele Männer zurückzucken, wenn sie von einem Mann berührt werden. Und warum so viele beschämt wegschauen, wenn Männer Händchen halten. Ein sehr persönliches – und immer noch politisches Buch. Gut, wichtig, rosa.

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