Die Kinder vom Spiegelgrund

Ein schwerer, aber sehr wichtiger Dokumentarroman aus Schweden

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Text: Frank Keil
Foto: Buntbarsch, photocase.de

Männerbuch der Woche, 46ste KW. – Der schwedische Romancier Steve Sem-Sandberg hat mit »Die Erwählten« den Kindern in der NS-Tötungsanstalt »Am Spiegelgrund« ein literarisches Denkmal gesetzt.

Zur Rezension

Rassismus und Männlichkeiten

Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung am 7. November in Berlin

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Text: Alexander Bentheim (Redaktion)
Foto: kallejipp, photocase.de (Symbolbild)

Nicht nur angesichts der schwankenden Prognosen, wie viele Flüchtlinge aus Syrien, Nordafrika und Südosteuropa in Deutschland Schutz suchen, warnen rechtsextreme Organisationen wie Pegida oder die NPD vor der scheinbaren »Überfremdung« und schüren Ängste vor dem »frauenfeindlichen« Islam.
Doch Rassismus ist nicht ausschließlich ein Randphänomen: Rassistische Strukturen sind – offen oder unbewusst – auch in der Mitte der Gesellschaft wirksam und sorgen dafür, dass deren Effekte kulturell, sozial und politisch zum Tragen kommen. So zum Beispiel bei Entscheidungen darüber, wem Chancen zugeteilt oder verweigert, wessen Lebensrealitäten anerkannt werden oder nicht – Rassismus hierarchisiert Menschen nach Herkunft, Hautfarbe, Sprache, kulturellen und religiösen Praxen.

In der sozialen, pädagogischen und politischen (Männer-)Arbeit haben Fachkräfte mit Menschen zu tun, die von Rassismus und Sexismus profitieren oder betroffen sind. Die Situation in einer von zunehmender Migration und Geschlechtervielfalt geprägten Gesellschaft ist dabei komplex. Die Tagung »Rassismus und Männlichkeiten« bietet daher Akteur_innen aus der sozialen, pädagogischen und politischen Arbeit einen Reflexions- und Debattenraum, um ihre eigene Praxis kritisch zu hinterfragen und mit einem Fokus auf Männlichkeitsvorstellungen entlang verschiedener Fragestellungen das Verhältnis und Zusammenwirken von Rassismus und Geschlecht zu systematisieren: Welche Folgen hat ein sensibler Blick auf Migration und Geschlecht für die soziale und pädagogische Praxis? Weshalb werden die Kritik an Rassismus und Sexismus noch so oft getrennt voneinander verhandelt, auch in männerpolitischen Kreisen? Wie können eigene Privilegien als weiße, heterosexuelle Frauen und Männer der Mehrheitsgesellschaft in der Praxis selbstverständlicher hinterfragt werden? Wie kann eine antisexistische und antirassistische Praxis aus männerpolitischer Perspektive aussehen?

Die Tagung wird bereichert mit Impulsen u.a. von Inga Niehaus (Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung), Özcan Karadeniz (Projektkoordinator „Vaterzeit im Ramadan?!“, Verband binationaler Familien und Partnerschaften e.V.), Andreas Haase (Gender Coach und ehemaliger Leiter einer Notunterkunft, Detmold), Susanne Spindler (Professorin für migrationssensible Soziale Arbeit, Hochschule Darmstadt), Olaf Jantz (Jungenbildungsreferent bei mannigfaltig e.V., Hannover).

Koordinaten zur Tagung: Samstag, 7. November 2015, 9.00 – 17.00 Uhr, Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin. Ein detailliertes Programm und die erforderliche Anmeldung gibt es hier.

Düstere Zeiten, erhellende Bücher

Eine kleine, subjektive Auswahl zur aktuellen Buchmesse. Die ernst ausfällt, zuweilen sehr ernst. Aber so sind die Zeiten nun mal gerade.

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Text: Frank Keil
Foto: owik2, photocase.de

Männerbücher der Woche, 42ste KW. – Bücher … also diesmal im Plural. Weil Buchmesse ist in Frankfurt. Und Dinge gesagt werden müssen. Wie zum Beispiel über Henning Mankells letztes Buch »Treibsand«, zu Verschwörungsphänomenen im Kontext der Pegida-Bewegung, oder Klaus Theweleits Gedanken zur Frage, warum Männer eigentlich lachen, während sie gerade töten. Und wie Menschen den Holocaust überlebt haben, die vielleicht zum letzten Mal befragt werden können, weil bald niemand mehr da ist, der seine Geschichte selbst erzählen kann.

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Der vorgezeichnete Weg?

Fachtag zu Geschlechtskonstruktionen nach sexualisierter Gewalt gegen Jungen am 23. Oktober in Berlin-Kreuzberg

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Text: Alexander Bentheim (Redaktion)
Foto: momosu, photocase.de

20 Jahre »Tauwetter. Anlaufstelle für Männer*, die in Kindheit oder Jugend sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren« – Anlass für die Anlaufstelle, einen Fachtag zum Thema »Geschlechtskonstruktionen nach sexualisierter Gewalt« zu gestalten und sich in zwei Vorträgen (Jörg Schuh & Thomas Schlingmann, Dirk Bange) sowie einer »Workshoprallye» mit 12 Stationen diesen Fragen zu widmen: Wie können Jungen sexualisierte Gewalt bewältigen und bearbeiten? Müssen sie ihre Erlebnisse ewig mitschleppen und zu »Mackern«, Tätern oder »Loosern« werden? Welche Auswege gibt es?
Der Fachtag wird bereichert von erfahrenen Expert_innen im Thema: Sabine Fries (Gehörlosenverband Berlin, HU), Thomas Viola Rieske (Dissens Institut für Bildung und Forschung), Martina Hävernick (Selbsthilfe und Beratung Wildwasser Berlin), Peter Mosser (kibs München), Franz-Gerd Ottemeier-Glücks (Mannigfaltig Minden), Maren Kolshorn (Frauennotruf Göttingen), Volker Mörchen (Bremer jungenbüro), Lukas Weber (Hilfe-für-Jungs, Berlin), Ursula Enders (Zartbitter Köln), Torsten Kettritz (Ampel Dessau), Mari Günther (Queer leben Berlin), Barbara Kavemann (Sozialwissenschaftliches FrauenForschungsInstitut Freiburg, Kath. Hochschule Berlin).

Alle Koordinaten zum Fachtag: Freitag, 23. Oktober, 9-17 Uhr, Alte Feuerwache Kreuzberg, Axel-Springer-Str. 41/42, 10967 Berlin. Kosten 25 Euro inkl. Verpflegung. Weitere Informationen und > Anmeldung.

Ausgebeutet für den Klassenfeind

ARD-Dokumentation am 12. Oktober über DDR-Zwangsarbeiter, die für Westfirmen leiden mussten

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Text: Alexander Bentheim (Redaktion nach Quelle SWR)
Foto: #almo, photocase.de
Special: 25 Jahre Wiedervereinigung

Im Akkord mussten sie Strumpfhosen und Bettwäsche nähen, Möbel und Autoteile herstellen. Auch im Kohlebergbau oder in der Chemie- und Stahlindustrie schufteten sie unter katastrophalen Bedingungen. Politische Häftlinge wurden in der DDR zu harter, gefährlicher Arbeit gezwungen. Ausbeutung als System – wer sich wehrte, wurde hart bestraft. Viele der Produkte aus den Gefängnissen gingen in den Export, ausgerechnet an den Klassenfeind. Rund 6.000 westdeutsche Firmen nutzten die DDR als Billiglohnland. Knastwaren aus dem Osten landeten so auf den Wühltischen im Westen. Das »Who is who« der deutschen Wirtschaft profitierte.
Die Autoren der Dokumentation, Achim Reinhardt und Claudia Butter, beide Reporter des investigativen ARD-Politikmagazins »Report Mainz«, haben wochenlang im Bundesarchiv, im Stasi-Archiv sowie in Landesarchiven recherchiert, mit Zeitzeugen und Wissenschaftlern gesprochen. Der Film deckt mit neuen, exklusiven Recherchen auf, wie politische Häftlinge in der DDR ausgebeutet wurden und welche namhaften Westkonzerne damit hohe Gewinne erzielten. Die Autoren konfrontieren ehemalige DDR-Verantwortliche und Konzernmanager, fragen die Bundesregierung nach ihrer Verantwortung für die Opfer von Zwangsarbeit. Mit der Kamera begleiten sie politische Häftlinge, die DDR-Täter und Profiteure von einst zur Rede stellen.
Der Film widmet sich einem brisanten zeithistorischen Thema, das bis in die Gegenwart für Zuschauerinnen und Zuschauer im Westen wie im Osten von Bedeutung ist. Für billige Waren im Westen zahlten politische Gefangene in der DDR einen hohen Preis. Die Opfer der DDR-Zwangsarbeit leiden bis heute unter dem erlittenen Unrecht. Doch auch 25 Jahre nach der Deutschen Einheit müssen sie noch immer auf Aufarbeitung und Wiedergutmachung warten.

Sendung: Montag, 12.10.15, 23:30h, ARD, Reihe »Geschichte im Ersten« (45 Min.).

»Was will dieses Grau’n bedeuten?«

Eine Al-Kaida-Geisel erzählt | Feature von Susanne Sporrer und Klaus Heymach am 6. Oktober im DLF

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Text: Alexander Bentheim (Redaktion nach Quelle DLF)
Foto: flobox, photocase.de

Eigentlich wollte Theo Padnos nur ein paar Tage im syrischen Rebellengebiet recherchieren. Doch dann fällt der US-amerikanische Autor in die Hände der Dschihadisten: der Beginn eines 22 Monate dauernden Martyriums. Die Kämpfer der Al-Nusra-Front, einem Ableger von Al Kaida, foltern Theo Padnos und geben vor, ihn hinzurichten. Die ersten Wochen verbringt der 46-Jährige verzweifelt und von Selbstvorwürfen gequält auf dem Boden seiner Kellerzelle kauernd. Doch nach und nach entwickelt der Literaturwissenschaftler Überlebensstrategien und versucht, die Gedankenwelt seiner Peiniger zu verstehen. Theo Padnos gewinnt Einblicke in die Wirren des syrischen Bürgerkriegs und den Alltag der Dschihadisten und beginnt noch in der Geiselhaft damit, seine Einsichten und die Todesangst literarisch zu bearbeiten.

Sendung: Dienstag, 6.10.15, 19:15h, Deutschlandfunk, Reihe »Das Feature« (45 Min.). Mehr zu Theo Padnos in einem Beitrag der WELT vom 22.4.2015.

Mann. Macht. Krieg.

Fachtag »Kampf und Konkurrenz als gesellschaftliche Antriebskraft« am 6. Oktober im Schweriner Schloss

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Text: Alexander Bentheim (Redaktion)
Foto: nild, photocase.de

»Schauen wir uns in den Geschichtsbüchern und dem gegenwärtigen Weltgeschehen um, wird immer irgendwo gekämpft, getötet, Krieg geführt. Und es sind immer wieder Männer, die solche gewalttätigen Auseinandersetzungen anzetteln, sie führen, sie am Ende niederschlagen. Umgekehrt sind es aber auch oft Männer, die gewaltlose Widerstandsbewegungen prägen.« (Birgit Hesse, Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales, Schirmherrin der Veranstaltung). »Ist es«, so die Minsterin weiter, »ein Wesenszug von Männern, Konflikte und Konfrontationen zu suchen oder gar zu erschaffen?«
Antworten auf diese Fragen – zum Beispiel in den Themenbereichen Computerspiel, Krieg, Straßenverkehr, Medien, Wirtschaft – geben u.a. Prof. Dr. Roland Rostenstock (Universität Greifswald), Prof. Dr. Klaus Theweleit (Freiburg i.B.) und Hans Peter Günzel (Leiter der Polizeiinspektion Ludwigslust). Ein Fishbowl mit Vertreter_innen aller Landtagsparteien gibt Gelegenheit, Positionen kennen zu lernen und entsprechend nachzufragen.

Der Fachtag wird veranstaltet von der LAG Jungen-Männer-Väter in Mecklenburg-Vorpommern e.V. in Kooperation mit der Evangelischen Akademie der Nordkirche und dem Landtag Mecklenburg-Vorpommern, gefördert durch das Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
Eine schriftliche Anmeldung zur Teilnahme ist erforderlich. Kontakt: LAG Jungen-Männer-Väter in Mecklenburg-Vorpommern e.V., Arsenalstr. 34, 19053 Schwerin, Tel.: 0385 5899894, eMail: info@gender-mv.de. Alle weiteren Infos finden sich im Tagungsflyer.

Die Kraft der Melancholie

Grenzregionen sind spannende Areale. Weil sich dort Kulturen ergiebigst mischen – wie im Basel-Dreieck, wo die Schweiz, Frankreich und Deutschland aufeinander treffen.

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Text: Frank Keil
Foto: schiffner, photocase.de

Männerbuch der Woche, 39ste KW. – Hansjörg Schneider lässt seinen längst pensionierten Kommissar Hunkeler nicht zur Ruhe kommen. Und ihn in »Hunkelers Geheimnis« den Mord an einem Schwytzer Banker aufklären. Eingebettet in wunderbarste Landschafts- und Essensbeschreibungen.

Zur Rezension

»Ich bin ein sehr glücklicher Mensch«

Interview mit Tom Stoddart, Fotoreporter, über seine Jahre im belagerten Sarajevo und andere Momente seines Lebens.

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Interview: Frank Keil
Foto: irispopiris, photocase.de

»Im eingekesselten Sarajevo gab es damals 10.600 Tote, 56.000 wurden verwundet. Es wurden 1.600 Kinder getötet und 15.000 verwundet. 40 Prozent der Kinder haben gesehen, wie auf jemanden geschossen wurde und von denen hat wiederum die Hälfte jemanden sterben sehen – es war eine schreckliche Zeit. Es gab vieles, wo ich als Fotograf sage: Ich wünschte, ich hätte das nicht gesehen. Aber ich bin immer noch der Meinung, dass es unser Job ist, den Menschen zu zeigen, was wo passiert«.

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Der Flüchtlingsreport

Peter Gerhardts Suche nach der Wirklichkeit hinter den einfachen Wahrheiten – am 14. September in der ARD

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Text: Alexander Bentheim (Redaktion nach Quelle HR)
Foto: minimaldigital, photocase.de

Mehr als 50 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht. So viele wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rechnet mit bis zu 800.000 Flüchtlingen, die 2015 allein nach Deutschland kommen, mehr als je zuvor. Ist das deutsche »Boot voll«, wie nicht nur rechtsradikale Scharfmacher behaupten? Können wir nicht mehr Menschen aufnehmen? Oder wollen wir es nur nicht? Müssen wir die Grenzen dicht machen, um einen Kollaps zu vermeiden, oder schotten wir uns herzlos ab, um nicht teilen zu müssen mit Menschen in Not? Wie werden die Flüchtlinge hier aufgenommen? Angriffe auf Asylbewerber einerseits, ehrenamtliche Flüchtlingshelfer andererseits – wie fremdenfeindlich oder -freundlich ist Deutschland? Und sind die Flüchtlinge eine finanzielle Belastung oder auch eine »günstige Chance« für die deutsche Wirtschaft, wie wahlweise frohlockt oder problematisiert wird?
Peter Gerhardts Flüchtlingsreport geht den grellen Schlagzeilen auf den Grund, rechnet nach und macht sich auf die Suche nach der Wirklichkeit hinter den einfachen Wahrheiten. Dafür reiste der Autor u.a. in die sächsischen Gemeinden Freital und Meißen, die zum Symbol geworden sind für den neuen alten Fremdenhass in Deutschland. Er zeigt aber auch, wie engagiert an vielen Stellen in Deutschland Menschen versuchen zu helfen und wie sehr die Kommunen auf die freiwilligen Helfer_innen angewiesen sind. In Viernheim zum Beispiel. Dort hat der katholische Pfarrer Angelo Stipinovic eine Initiative ins Leben gerufen, um 130 Flüchtlingen aus Eritrea zu helfen, sich in Viernheim einzuleben. »Wir können doch nicht immer warten, bis der Staat hilft«, sagt er. Und war überrascht, wie überwältigend die Unterstützung in der südhessischen Kleinstadt war.
Tatsächlich ist das deutsche Boot noch nicht voll – es ist nur mangelhaft verwaltet. Und der Film rückt die Proportionen zurecht: Deutschland nimmt zwar mehr Flüchtlinge auf als die meisten anderen Länder in Europa, aber umgerechnet auf die Einwohnerzahl nur einen Bruchteil verglichen etwa mit dem Libanon. Und wie sieht die Situation dort aus, in Ländern, die deutlich ärmer sind als Deutschland? Der Film begibt sich auch auf die Spur der Flüchtlinge im Libanon, in Griechenland, in der Türkei und er zeigt, wie die Kriminalisierung von Flüchtlingen Schlepperbanden in die Hände spielt.

Sendung: Montag, 14.9.15, 22:45h, ARD, Reihe »Die Story im Ersten« (45 Min.).

Aus aktuellem Anlass: Bericht aus Budapest von Frank Keil, Teil 1 (7.9.15), Teil 2 (8.9.15), Teil 3 (9.9.15), Teil 4 (11.9.15), Teil 5 (14.9.15)