»Pegida? 40 Jahre degeneriertes Bewusstsein von Geschichte«

Gedankensplitter des Dresdner Künstlers Via Lewandowsky, der zurzeit in der Kunsthalle Kiel ausstellt

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Text und Foto: Frank Keil
Special: 25 Jahre Wiedervereinigung

Via Lewandowsky, gebürtiger und kunststudierter Dresdner, gehörte Ende der 80er-Jahre zu der Künstlergruppe »Autoperforationsartisten«, die mit ihren Performanceaktionen gegen die offiziellen Vorstellungen von Kunst in der DDR agierte. Wie viele andere Künstler seiner Generation verließ auch er die DDR.

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Ausgebeutet für den Klassenfeind

ARD-Dokumentation am 12. Oktober über DDR-Zwangsarbeiter, die für Westfirmen leiden mussten

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Text: Alexander Bentheim (Redaktion nach Quelle SWR)
Foto: #almo, photocase.de
Special: 25 Jahre Wiedervereinigung

Im Akkord mussten sie Strumpfhosen und Bettwäsche nähen, Möbel und Autoteile herstellen. Auch im Kohlebergbau oder in der Chemie- und Stahlindustrie schufteten sie unter katastrophalen Bedingungen. Politische Häftlinge wurden in der DDR zu harter, gefährlicher Arbeit gezwungen. Ausbeutung als System – wer sich wehrte, wurde hart bestraft. Viele der Produkte aus den Gefängnissen gingen in den Export, ausgerechnet an den Klassenfeind. Rund 6.000 westdeutsche Firmen nutzten die DDR als Billiglohnland. Knastwaren aus dem Osten landeten so auf den Wühltischen im Westen. Das »Who is who« der deutschen Wirtschaft profitierte.
Die Autoren der Dokumentation, Achim Reinhardt und Claudia Butter, beide Reporter des investigativen ARD-Politikmagazins »Report Mainz«, haben wochenlang im Bundesarchiv, im Stasi-Archiv sowie in Landesarchiven recherchiert, mit Zeitzeugen und Wissenschaftlern gesprochen. Der Film deckt mit neuen, exklusiven Recherchen auf, wie politische Häftlinge in der DDR ausgebeutet wurden und welche namhaften Westkonzerne damit hohe Gewinne erzielten. Die Autoren konfrontieren ehemalige DDR-Verantwortliche und Konzernmanager, fragen die Bundesregierung nach ihrer Verantwortung für die Opfer von Zwangsarbeit. Mit der Kamera begleiten sie politische Häftlinge, die DDR-Täter und Profiteure von einst zur Rede stellen.
Der Film widmet sich einem brisanten zeithistorischen Thema, das bis in die Gegenwart für Zuschauerinnen und Zuschauer im Westen wie im Osten von Bedeutung ist. Für billige Waren im Westen zahlten politische Gefangene in der DDR einen hohen Preis. Die Opfer der DDR-Zwangsarbeit leiden bis heute unter dem erlittenen Unrecht. Doch auch 25 Jahre nach der Deutschen Einheit müssen sie noch immer auf Aufarbeitung und Wiedergutmachung warten.

Sendung: Montag, 12.10.15, 23:30h, ARD, Reihe »Geschichte im Ersten« (45 Min.).

Problematische Neubewertungen der (eigenen) Geschichte

Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich »ostdeutsch« sagen …

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Text: Matthias Scheibe
Foto: shnipestar, photocase.de
Special: 25 Jahre Wiedervereinigung

Ich bin zu jung um aufrichtig behaupten zu können, ich würde mich (immer noch) als DDR-Bürger fühlen. Wende und Wiedervereinigung ereigneten sich – während ich die Grundschule besuchte und darauf wartete, endlich alt genug zu sein, um das blaue gegen das rote Halstuch eintauschen zu dürfen. Das Ausbleiben dieses Ereignisses ist neben dem Korrekturmarathon, bei dem alle Schüler_innen mit Lineal und Bleistift den Inhalt der eigenen Schulbücher an die aktuelle politische Lage anpassen mussten, die einzige negative Erinnerung an die Phase des massiven Umbruches. (…) In einem Deutschbuch jedes Mal vor das Wort DDR das Adjektiv »ehemalige « zu setzen war nervig, hinterließ bei mir aber keine bleibenden Schäden, zumindest sind sie mir nicht bewusst.
In vielen Gesprächen mit unterschiedlichsten Männern habe ich jedoch erfahren, wie problematisch diese Neubewertung der (eigenen) Geschichte ausgefallen war: Massenhaft wurden Lebensleistungen entwertet, Karriereplanungen beendet und alles, was gestern richtig war, wurde – ohne es zu prüfen – für falsch erklärt. Viele dieser Männer sind heute noch verunsichert oder verbittert.

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»Schweinefleisch und Schnaps gab es immer«

Interview mit André Kubiczek über Wendeschicksale, als man noch liebte und nicht Beziehungen pflegte, und warum der Kopierer der größte Feind der DDR war

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Interview: Frank Keil
Foto: jock+Scott, photocase.de
Special: 25 Jahre Wiedervereinigung

Berlin, Prenzlauer Berg – Ecke Stargater Straße, Pappelallee: ein wahrhaft geschichtsträchtiger Ort. Ein paar Meter weiter ist die Gethsemanekirche, ein Hort der einstigen Ostberliner Opposition und der DDR-Friedensbewegung. »Die Pappelallee war gesperrt«, sagt André Kubiczek und zeigt auf die Straße, auf der gerade ratternd eine Straßenbahn vorbeifährt: damals, als es die ersten Demonstrationen gab und die Volkspolizei und die Staatssicherheit auffuhr, um diese im Keim zu ersticken. Was – wie wir heute wissen – nicht gelang. Obwohl man allein am 7. Oktober 1989 hier um die tausend Menschen verhaftete.
Aber da sind wir schon mitten im Gespräch über den Umbruch 1989, der mit der so genannten Wiedervereingung am 3. Oktober 1990 formal endete.

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»Die Ossis waren vernetzt.«

Über Menschen, Beziehungen und Freundschaften im alten und neuen Osten der Republik

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Text: Jörg Schneider
Foto: dommy.de, photocase.de
Special: 25 Jahre Wiedervereinigung

Ich weiß noch, wie mein Vater ein halbes Jahr lang jeden Samstag um 6 Uhr aus dem Haus ging, um sich vor dem »Centrum-Warenhaus« in die Reihe der Menschen anzustellen, die etwas kaufen wollten. Der Laden machte zwar erst um 8 Uhr auf, aber mein Vater war bei weitem nicht der erste in der Schlange.
Er wollte nur einen Tiefkühlschrank für uns erwerben, denn das Einkochen der Früchte aus dem Garten war ein mühsames Geschäft. Und er wollte meiner Mutter die Arbeit erleichtern. Nun waren natürlich Kühlschränke durchaus im Kaufhaus zu sehen – leider nur als Ausstellungsstücke. Falls ein »Kontingent« eintraf, konnte man tatsächlich einen oder zwei Stück davon »normal« erwerben – wenn man der Erste war. Die restlichen wurden mehr oder weniger heimlich zurückgehalten – die waren dann »reserviert«. Reserviert für Menschen mit Beziehungen.
Ich bin kein Mensch, der vergangenen Zeiten hinterhertrauert. Ich lebe vollkommen im Jetzt und erwarte gespannt jeden neuen Tag. Aber eine Sache ist mir in den letzten Jahren immer deutlicher geworden: Wir haben uns sehr verändert!

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»Was will dieses Grau’n bedeuten?«

Eine Al-Kaida-Geisel erzählt | Feature von Susanne Sporrer und Klaus Heymach am 6. Oktober im DLF

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Text: Alexander Bentheim (Redaktion nach Quelle DLF)
Foto: flobox, photocase.de

Eigentlich wollte Theo Padnos nur ein paar Tage im syrischen Rebellengebiet recherchieren. Doch dann fällt der US-amerikanische Autor in die Hände der Dschihadisten: der Beginn eines 22 Monate dauernden Martyriums. Die Kämpfer der Al-Nusra-Front, einem Ableger von Al Kaida, foltern Theo Padnos und geben vor, ihn hinzurichten. Die ersten Wochen verbringt der 46-Jährige verzweifelt und von Selbstvorwürfen gequält auf dem Boden seiner Kellerzelle kauernd. Doch nach und nach entwickelt der Literaturwissenschaftler Überlebensstrategien und versucht, die Gedankenwelt seiner Peiniger zu verstehen. Theo Padnos gewinnt Einblicke in die Wirren des syrischen Bürgerkriegs und den Alltag der Dschihadisten und beginnt noch in der Geiselhaft damit, seine Einsichten und die Todesangst literarisch zu bearbeiten.

Sendung: Dienstag, 6.10.15, 19:15h, Deutschlandfunk, Reihe »Das Feature« (45 Min.). Mehr zu Theo Padnos in einem Beitrag der WELT vom 22.4.2015.

Ich, ich und nochmals ich

Literaten erzählen zuweilen von dem, was sie selbst erlebt haben, und daraus schmieden sie ihre Bücher. Aber darf man alles erzählen? Man darf. Aber alles?

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Text: Frank Keil
Foto: Patrick90, photocase.de

Männerbuch der Woche, 40ste KW. – Karl Ove Knausgard ist beim fünften Band seiner bahnbrechenden Autobiografie »Min Kamp« angekommen. In »Träumen« erzählt er mit wuchtiger Offenheit von sich selbst als jungem Mann, der ein großer Dichter werden will. Damals, in der norwegischen Stadt Bergen von 1988 bis 2002.

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»Ich bin ein sehr glücklicher Mensch«

Interview mit Tom Stoddart, Fotoreporter, über seine Jahre im belagerten Sarajevo und andere Momente seines Lebens.

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Interview: Frank Keil
Foto: irispopiris, photocase.de

»Im eingekesselten Sarajevo gab es damals 10.600 Tote, 56.000 wurden verwundet. Es wurden 1.600 Kinder getötet und 15.000 verwundet. 40 Prozent der Kinder haben gesehen, wie auf jemanden geschossen wurde und von denen hat wiederum die Hälfte jemanden sterben sehen – es war eine schreckliche Zeit. Es gab vieles, wo ich als Fotograf sage: Ich wünschte, ich hätte das nicht gesehen. Aber ich bin immer noch der Meinung, dass es unser Job ist, den Menschen zu zeigen, was wo passiert«.

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Der Trost der Vögel

Rotstirngirlitze, Moabsperling, Blauracke – in den Kampfpausen skizziert ein junger Sanitäter die Vogelwelt von Afghanistan.

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Text: Frank Keil
Foto: ginger., photocase.de

Männerbuch der Woche, 38ste KW. – Norbert Scheuer liefert mit »Die Sprache der Vögel« einen bemerkenswerten Roman ab, der in ein Bundeswehr-Camp in Afghanistan führt. Und der einen Vogelliebhaber als Helden hat.

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Der Flüchtlingsreport

Peter Gerhardts Suche nach der Wirklichkeit hinter den einfachen Wahrheiten – am 14. September in der ARD

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Text: Alexander Bentheim (Redaktion nach Quelle HR)
Foto: minimaldigital, photocase.de

Mehr als 50 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht. So viele wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rechnet mit bis zu 800.000 Flüchtlingen, die 2015 allein nach Deutschland kommen, mehr als je zuvor. Ist das deutsche »Boot voll«, wie nicht nur rechtsradikale Scharfmacher behaupten? Können wir nicht mehr Menschen aufnehmen? Oder wollen wir es nur nicht? Müssen wir die Grenzen dicht machen, um einen Kollaps zu vermeiden, oder schotten wir uns herzlos ab, um nicht teilen zu müssen mit Menschen in Not? Wie werden die Flüchtlinge hier aufgenommen? Angriffe auf Asylbewerber einerseits, ehrenamtliche Flüchtlingshelfer andererseits – wie fremdenfeindlich oder -freundlich ist Deutschland? Und sind die Flüchtlinge eine finanzielle Belastung oder auch eine »günstige Chance« für die deutsche Wirtschaft, wie wahlweise frohlockt oder problematisiert wird?
Peter Gerhardts Flüchtlingsreport geht den grellen Schlagzeilen auf den Grund, rechnet nach und macht sich auf die Suche nach der Wirklichkeit hinter den einfachen Wahrheiten. Dafür reiste der Autor u.a. in die sächsischen Gemeinden Freital und Meißen, die zum Symbol geworden sind für den neuen alten Fremdenhass in Deutschland. Er zeigt aber auch, wie engagiert an vielen Stellen in Deutschland Menschen versuchen zu helfen und wie sehr die Kommunen auf die freiwilligen Helfer_innen angewiesen sind. In Viernheim zum Beispiel. Dort hat der katholische Pfarrer Angelo Stipinovic eine Initiative ins Leben gerufen, um 130 Flüchtlingen aus Eritrea zu helfen, sich in Viernheim einzuleben. »Wir können doch nicht immer warten, bis der Staat hilft«, sagt er. Und war überrascht, wie überwältigend die Unterstützung in der südhessischen Kleinstadt war.
Tatsächlich ist das deutsche Boot noch nicht voll – es ist nur mangelhaft verwaltet. Und der Film rückt die Proportionen zurecht: Deutschland nimmt zwar mehr Flüchtlinge auf als die meisten anderen Länder in Europa, aber umgerechnet auf die Einwohnerzahl nur einen Bruchteil verglichen etwa mit dem Libanon. Und wie sieht die Situation dort aus, in Ländern, die deutlich ärmer sind als Deutschland? Der Film begibt sich auch auf die Spur der Flüchtlinge im Libanon, in Griechenland, in der Türkei und er zeigt, wie die Kriminalisierung von Flüchtlingen Schlepperbanden in die Hände spielt.

Sendung: Montag, 14.9.15, 22:45h, ARD, Reihe »Die Story im Ersten« (45 Min.).

Aus aktuellem Anlass: Bericht aus Budapest von Frank Keil, Teil 1 (7.9.15), Teil 2 (8.9.15), Teil 3 (9.9.15), Teil 4 (11.9.15), Teil 5 (14.9.15)