Von Ort zu Ort

Jung-sein ist anstrengend, man kann vieles, wenn nicht sogar das meiste falsch machen. Und auch sonst fühlt sich das Leben manchmal seltsam an.

Passanten gehen durch eine Halle

Text: Frank Keil
Foto: rclassen, photocase.de

Männerbuch der Woche, 8te KW. – Andreas Meier setzt mit »Die Universität« die Erkundung der Werdung eines eigensinnigen Männerlebens fort. Diesmal dabei: Theodor Adornos Witwe.

Zur Rezension

»Schon anstrengend, aber auch ein gutes Gefühl«

Das berufsorientierende Jungenförderprojekt »Soziale Jungs Hamburg«

Ein Kind zeigt einem Erwachsenen einen Stein

Text: Alexander Bentheim
Foto: joto, photocase.de

»Die haben mehrmals gefragt, ob ich morgen wiederkomme…« meint Fabian, als ich – Projektleiter der »Sozialen Jungs« – wissen will, wie sein erster Tag in der Kita war. »Und?« frage ich. »Ja, klar, ich mach ja mein Praktikum da«. Fabian scheint nicht zu ahnen, dass diese Frage der Kinder ein Kompliment für ihn war und – in Kindersprache – wahrscheinlich auch ein Dank. »Dank wofür?« Dass er seine Zeit mit ihnen geteilt hat, ihnen vorgelesen und Ball mit ihnen gespielt und etwas gebaut hat, vielleicht auch einen Ärger beruhigt oder jemanden getröstet hat. So genau weiß man das am Ende des Tages ja nicht mehr, denn in einer Kita ist immer viel los. Aber Fabian war für die Kinder da, richtig da, hat sich interessiert für sie, sie begleitet und betreut, und das haben die Kinder gespürt. »Hast du nicht gemerkt?« – »Nee«, sagt Fabian und schaut etwas irritiert: »Echt? Deswegen?«

Die »Sozialen Jungs Hamburg« gibt es seit 2010, getragen von den Sozialeinrichtungen des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB Hamburg), durchgeführt von der Agentur MännerWege und in den ersten vier Jahren maßgeblich gefördert durch den Europäischen Sozialfonds (ESF). Und danach dann in kleinerem Umfang weiter gefördert von der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI), weil das Projekt recht erfolgreich war und ist: Über 400 Schüler im Alter von 12-18 Jahren haben – teils mehrfach – Praktika und Freiwilligendienste in zumeist Kitas und Einrichtungen zur Betreuung von Menschen mit Assistenzbedarf abgeschlossen. 16 Schulen nehmen am Projekt teil, mehr als 100 Organisationen und Betriebe der Sozialen Arbeit stellen als Kooperationspartner – je nach aktueller Möglichkeit – Praktikumsplätze zur Verfügung. Und bislang kamen über 27.700 Zeitstunden Mitarbeit der »Sozialen Jungs« zusammen, ein beachtliches Volumen. Auch für 2018 ist geplant, dass Projekt fortzusetzen.

Warum entscheiden sich Jungen für ein Praktikum oder einen Freiwilligendienst in der Kita? Ob laut Auskunft von Kita-Fachkräften oder nach den Vorstellungen von Schülern, die am Ende schulischer Infoveranstaltungen am Projekt »Soziale Jungs Hamburg« teilnehmen möchten – die Antworten ähneln sich und das ist eine gute Voraussetzung für die gegenseitigen Erwartungen aneinander:
__ weil man Vorbild sein kann und darf, aber auch muss;
__ weil man eigene Ideen weitergeben und Kindern etwas beibringen kann;
__ weil man den Umgang mit kleinen Geschwistern verbessern kann;
__ weil man auch etwas für das eigene Leben dabei lernen kann;
__ und nicht zuletzt: weil das Kita-Leben abwechslungsreich und nie langweilig ist.

Alle Schüler machen viele angenehme, manchmal auch konträre, in der Regel aber meist nachhaltige Erfahrungen während ihrer Praktika und gelangen zu neuen Erkenntnissen über den Kita-Alltag und sich selbst:
__ »Besonders schön finde ich, wenn man den Kindern ansehen kann, dass sie glücklich sind. Ich wurde vom Team sehr herzlich aufgenommen und sie haben sich viel Mühe gegeben, mir alles zu zeigen und zu erklären.« (Mehmet, 14)
__ »Wenn drei Kinder gleichzeitig an einem zerren und fünf weitere laut durch den Spielraum laufen, da braucht man schon gute Nerven.« (Max, 16)
__ »Interessant fand ich, die Struktur und Regeln der Einrichtung kennen zu lernen. Die Kinder haben dort sehr viel Freiraum, aber auch klare Regeln, an die sie sich halten müssen!« (Kevin, 15)
__ »Am Ende des Tages habe ich ein sehr positives Feedback bekommen, was mir sehr gut getan hat.« (Philipp, 13)
__ »Die Erzieherin wollte, dass wir mal eben auf fünf Kinder gleichzeitig aufpassen. Das klappte aber nicht, weil einige echt unruhig waren. Da sind der andere Praktikant und ich zu ihr hin und haben gesagt, das geht nicht. Das hat sie dann auch eingesehen.« (Kai, 14)
__ »Ich habe gute Einblicke in den Beruf der Kindergartenerzieher bekommen. Zudem habe ich gelernt, dass Kindergartenerzieher mehr bedeutet als Kindern die Schuhe zubinden, Essen aufzutragen, oder mit den Kindern zu spielen. Es bedeutet den Kindern mit der richtigen Mischung aus Entschlossenheit, Verständnis und Vertrauen zu begegnen.« (Paul, 15)

Die meisten Fachkräfte, die Schülern ein Praktikum ermöglichen, freuen sich über Jungs, die das Arbeitsfeld Kita kennen lernen möchten. Die Kitas erleben sie als Bereicherung, wenn sie motiviert sind und vor allem bleiben: weil die Kinder neugierig auf die großen Jungs sind, die als kurzzeitige `Mitarbeiter´ eher noch die Ausnahme sind, weil sie die Kinder teils anders ansprechen und auf sie eingehen als ihre Mitschülerinnen usw. In einem Interview sagt die Leiterin des Internationalen Kinderladen in Hamburg etwa auf die Frage, ob die Schülerpraktikanten heutzutage etwas anders machen als früher: »Auf jeden Fall … Ich sehe sie hier nicht mit dem Klischee ‚toben, kämpfen, Fußball spielen‘. Ich sehe sie hier viel mehr auch … zärtlich, ich sehe sie weicher werden, auch die großen kompakten Jungs. Aber die Kinder gleich auf den Arm und kuscheln, das tun sie nicht, jedenfalls am Anfang nicht. Die Jungs sind da einfach zurückhaltender. Die Kinder gehen dann auf sie zu, und dann findet der Kontaktaufbau so Schritt für Schritt statt. Erst dann werden die Jungs mutiger und übernehmen Verantwortung, und darüber freue ich mich immer. Sie überfordern die Kinder nicht dadurch, dass sie sie gleich ’so süß‘ finden.«

Fabian hat mittlerweile »irgendwie« verstanden, was ihm die Kinder sagen wollten: Sie freuen sich, dass er mit ihnen morgen weiterspielt, ihnen wieder vorliest oder in der Bauecke die nächsten Türme mit ihnen errichtet, die man dann so schön zum Einstürzen bringen kann. Daran, dass das Spaß macht, obwohl es zugleich anstrengend sein kann, muss er sich aber immer noch gewöhnen: Denn bisher hat er meist nur Lob bekommen, wenn ihm etwas besonders gelungen ist oder er eine Leistung vorweisen konnte – eine gute Schulnote, ein neuer Level in einem Computerspiel, ein verwandelter Elfmeter auf dem Bolzplatz. Dass zählbare Erfolge nicht alles im Leben sind, erschließt sich dem 14jährigen erst nach und nach. Einfach nur Zeit für die Kinder haben, hier und da kleine Hilfestellungen geben, ein Spiel anleiten oder einen Streit schlichten – und nur dafür schon gemocht werden? Aber es fühlt sich »irgendwie« gut an.

Ob er das mal beruflich machen möchte? Das weiß Fabian noch nicht. Bis dahin dauert es noch ja noch eine Weile. Aber jetzt, wo er in eine neue Rolle hineinwächst, die etwas mit Umsicht, Respekt und Verantwortung zu tun hat, wird es zumindest vorstellbarer für ihn. »Hier spielt das wahre Leben, Fabian«, hat eine Gruppenleiterin zu ihm gesagt. Und das hat ihn schon beeindruckt, »irgendwie«.

Weitere Infos „Soziale Jungs Hamburg“:
Projektportal
Video John in der Kita Koppelstieg (November 2012)
Video Mustafa und Nasser im Projekt Wesselyring »Schüler helfen Schülern« (Januar 2013)
Video Paul in der Kita Wernigeroder Weg (April 2012)
Video David im KTH St. Michaelis (August 2012)
Video Omed und Murat in der Kita Monetastraße (Februar 2011)

Männermangel im Klassenzimmer

An den Grundschulen gibt es kaum männliche Pädagogen. Werbende Initiativen in Lehramts-Studiengängen versuchen das zu ändern.

Ein Mann wirft ein Papierflugzeug

Text: Thomas Gesterkamp
Foto: complize, photocase.de

In den Klassenzimmern der Grundschulen fehlen Lehrer. Viele Kinder erleben erst auf der weiterführenden Schule ihren ersten männlichen Pädagogen. Engagierte Hochschulen werben deshalb gezielt um männliche Interessenten. Initiativen gibt es zum Beispiel in Hamburg und Hildesheim; an der Universität Bremen läuft schon seit fünf Jahren das europäisch ausgezeichnete Modellprojekt »Rent a Teacherman«. Es vermittelt Lehramtsstudenten an bislang »männerfreie« Grundschulen in der Hansestadt, bezahlt werden die Aushilfslehrer von der Senatorin für Bildung und Wissenschaft. »Weder Jungen noch Mädchen sollten in Kindergarten und Grundschule den Eindruck bekommen, dass es ausschließlich Frauensache ist, sich um kleinere Kinder professionell zu kümmern«, sagt Projektleiter Christoph Fantini. Aber es gibt noch mehr dazu zu sagen …

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Unter Generalverdacht

In den Kindertagesstätten arbeiten ganz überwiegend Frauen. Der Anteil männlicher Erzieher steigt langsam, doch diese sehen sich mit Vorurteilen konfrontiert.

Ein Mann trägt ein Kind auf dem Arm

Text: Thomas Gesterkamp
Foto: eighty-four, photocase.de

Im März machte ein Kindergarten im Berliner Stadteil Reinickendorf bundesweit Schlagzeilen. Eltern protestierten, dass dort ein Mann ihren Nachwuchs betreut. Genauer gesagt, ein schwuler Mann. Bei den Kindern ist dieser zwar äußerst beliebt, die sexuelle Orientierung des Pädagogen jedoch führte zum Streit. Eine Gruppe von Eltern drohte dem Träger der Kita mit einer Unterschriftenaktion. Die Initiatoren stammen aus Russland, Rumänien, der Türkei und aus arabischen Ländern, viele sind muslimischen Glaubens. Ein interkultureller Konflikt also, der sich aber nicht allein um das Thema Homophobie dreht. Sondern auch um die generelle Irritation angesichts veränderter Geschlechterrollen, um das Festhalten an Traditionen und um die Frage, welche Rolle Männer in der öffentlichen Erziehung von kleinen Kindern überhaupt spielen sollen und dürfen.

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»Männer machen das Gleiche, aber anders«

Interview mit dem Kita-Forscher Prof. Holger Brandes über die Ergebnisse der kürzlich als Buch vorgelegten »Tandem«-Studie.

Junge guckt über die Tischkante

Text: Thomas Gesterkamp
Foto: luxuz::., photocase.de

Eine vierjährige Studie untersuchte die Wirkungen pädagogischen und kommunikativen Verhaltens von Erzieherinnen und Erziehen auf Mädchen und Jungen in Kindertagesstätten. Dabei zeigte sich u.a., dass männliche Erzieher »zwar das Gleiche machen wie Frauen, aber in einer etwas anderen Weise«. Für Prof. Brandes geht es »um weit mehr, als dass Männer Fußball spielen und Frauen Zöpfe flechten – nämlich um die kleinen und meist subtilen Unterschiede in der Interaktion zwischen Erwachsenem und Kind«.

Interview und Hinweise zur Studie. Ergänzend gibt es dort eine Übersicht zu kommenden Veranstaltungen mit Thomas Gesterkamp.

Sexualisierte Gewalt: Aufdeckungsprozesse verstehen lernen

Fortbildung im Rahmen des Forschungs- und Praxisentwicklungsprojektes »Aufdeckung und Prävention von sexualisierter Gewalt gegen männliche Kinder und Jugendliche« am 27.01.2016 in Minden

Ein Mann steht auf einer Leiter und beggrüßt die Sonne

Text: Alexander Bentheim (Redaktion)
Foto: jarts, photocase.de

Aufdeckung von sexualisierten Gewalterlebnissen bedeutet nicht nur, »es zu sagen«. Aufdeckung ist ein Prozess, der auf ein Ende von Ohnmacht und Sprachlosigkeit gegenüber sexualisierter Gewalt abzielt. In dieser Fortbildung soll ein Verständnis für diesen Aufdeckungsprozesse entwickelt werden, das Fachkräften ermöglicht, Hilfreiches für die pädagogische Praxis zu erarbeiten. Eine Kenntnis möglicher Auswirkungen und Bewältigungsstrategien von erlebter sexualisierter Gewalt bei Jungen wird weitgehend vorausgesetzt, denn in der Fortbildung geht es vielmehr um prozessbegünstigende Aspekte wie Culture of Care, Anerkennung & Solidarität, Wissen und Handlungsfähigkeit.
Zielführende Fragen sind zum Beispiel: Was brauchen Jungen, damit der Aufdeckungsprozess nach erlittener Gewalt zufriedenstellender für sie verlaufen kann? Was kann ich tun, damit es einem Jungen möglich wird, sich mir als Fachkraft gegenüber zu öffnen?

Veranstalter mannigfaltig Minden-Lübbecke e.V., Fachberatung für Jungen und junge Männer nach sexuellen Gewalterfahrungen Zielgruppe Weibliche und männliche Fachkräfte, die Jungen beraten, begleiten oder betreuen; z.B. in Erziehungsberatung, erzieherischen Hilfen, stationärer Jugendhilfe und Jugendarbeit Veranstaltungszeit/-ort Mi, 27.1.2016, von 9 bis 16 Uhr, in den Räumen der PARITÄT, Simeonstr.21, 32423 Minden Kosten keine – dank Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung Anmeldung formlos bitte per eMail oder Anruf (auch AB): info@mannigfaltig-minden-luebbecke.de, Tel. 0571 889 26 84.

Weitere Infos sind der Ausschreibung zu entnehmen.

Ein Mann lebt seinen Traum

Begegnung mit einem Handwerker

fl0wer219942

Text: Stefan Moes
Foto: fl0wer, photocase.de

Wenn Garrett Hack spricht, sprechen seine Hände mit. Große, gepflegte Hände, lebendig, immer in Bewegung. Er gestikuliert, reicht Holzproben herum, treibt das Stecheisen ins Holz: Mit seinen Händen erzeugt der asketisch wirkende Mann aus Vermont Präsenz. Er ist ein Star. In der Welt unterwegs, um seine Handwerksphilosophie zu verbreiten. Mitte Oktober war er für fünf Tage in München.

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Men’s Walk & Talk

Ein Bildungsangebot der Pädagogischen Hochschule St. Gallen

Rhyner#MensWalkTalk#Animation

Text: Thomas Rhyner
Foto: rebealk, photocase.de

Das Bildungsangebot »Men’s Walk & Talk« will Erfahrungen von Studenten in »frauentypischen« Studiengängen aufnehmen und für das Studium sowie für die spätere berufliche Praxis nutzbar machen. Hintergrund dieser Initiative bilden rückläufige Anmeldezahlen von Männern in Studiengängen für soziale, pflegerische oder pädagogische Berufe.

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