»Männer, die warten können, gewinnen.«

Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Ralf Ruhl, Göttingen

Spuren eines Hundes am Strand

Interview: Alexander Bentheim
Fotos: Alexander Bentheim

 
Was war oder ist dein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen-, Männer- und Väterthemen? Was dein politischer und fachlicher Zugang?
Mein Vater, Jahrgang 1926, war Zeit seines Lebens von der in der Nazi-Zeit und im Krieg eingeprügelten Angst geprägt. Die hat er mit Härte überspielt. Und mir weitergegeben mit Jähzorn, Kälte, Abwesenheit. Entsprechend stark war die Sehnsucht nach einem anwesenden, zugewandten Vater, der mir Halt gibt, Orientierung, mich schützt, anerkennt und stärkt. So war mein Einstieg in die Männerbewegung der Kampf gegen das Bild des harten Mannes, der alles aushält. Logischerweise habe ich mit Jungenarbeit und Väterarbeit losgelegt.

Welche waren damals und sind heute deine zentralen Themen der Jungen-, Männer- und Väterarbeit?
Anfangs war es die Anerkennung, dass Männer wichtig sind für ihre Kinder, dass sie eine genauso starke Bindung zu ihren Kindern haben wie die Mütter, dass sie diese Beziehung genauso gut leben können. Heute ist das grundsätzlich anerkannt, es fehlen aber immer noch die wesentlichen Ressourcen, um Männern gleichberechtigte Elternschaft zu ermöglichen. Das liegt am Familienrecht, am immer noch vorherrschenden Identifikationsmuster Mann = Erwerbsarbeit – bei Männern und Frauen, bei den Möglichkeiten flexibler Lebensgestaltung und den Ansprüchen hoher Verfügbarkeit des Arbeitsmannes seitens der Arbeitgeber.

Wie haben sich deine Tätigkeiten in der Jungen-, Männer- und Väterarbeit entwickelt, ggf. verändert?
Ich bin mit den Themen gealtert bzw. habe meine Themen meinem Lebensalter angepasst. So bin ich aus der Jungenarbeit vor vielen Jahren ausgestiegen. Dass Männer eine spezifische Ansprache brauchen ist inzwischen unumstritten. Auch, dass es männliche Erzieher in Kitas und Lehrer in (Grund)Schulen braucht. Wobei ihnen mit dem Generalverdacht auf sexuellen Missbrauch seitens Eltern oder weiblichem Personal immer noch jede Menge Steine in den Weg gelegt werden und eine Gleichberechtigung hier noch lange nicht erreicht ist. Ich freue mich sehr, dass es inzwischen normal ist, Väter mit ihren Kindern auf dem Spielplatz und im Stadtbild zu begegnen, auch in der Provinz. Zu Beginn meiner Tätigkeit war ich oft der einzige Mann auf dem Spielplatz, erst recht in der Krabbelgruppe. Da hat sich viel getan.

Das für dich nachhaltigste gesellschaftliche oder historische Ereignis – auch im Kontext deiner Arbeit?
Das Wichtigste ist die Einführung der Partnermonate bei der Elternzeit. Das kommt einem Kulturbruch gleich. Hier wird endlich anerkannt, dass Männer nicht nur Arbeiter und Geldbeschaffer für die Familie sind, sondern dass sie eine eigene persönliche Bedeutung für Partnerschaft und Kinder haben.

Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deiner Arbeit?
Ich habe fast immer als einziger heterosexueller Mann in Teams mit Frauen und mehrere Jahre auch mit schwulen Männern gearbeitet. Es hat jeweils viele Monate bis Jahre gedauert, bis ich mich anerkannt fühlte und die entsprechende Wertschätzung der Kolleginnen und Kollegen bekam. Dann aber habe ich sehr viel positive Rückmeldungen bekommen. Auch und gerade als »irgendwie anderer« Mann musste ich mich vor allem bei Frauen als Kolleginnen beweisen und durchsetzen.

Drei Eigenschaften, die dich in deiner Arbeit ausmachen?
Das Wichtigste: Zugewandtheit. Männer haben oft im Gespräch mit mir zum ersten Mal den Eindruck, dass ihnen jemand zuhört. Dann Geduld. Weil es häufig lange dauert, bis Männer Vertrauen fassen und sich öffnen. Und immer wieder Humor. Weil auch bei schwierigsten Themen es Leichtigkeit braucht, die Chancen für neue Sichtweisen und Perspektiven eröffnet.

Was ist für dich »Erfolg« in deiner Arbeit? Hast du ein Beispiel?
Erfolg ist für mich, wenn Männer sich öffnen und Veränderungsbereitschaft zeigen. In der Gruppe für Täter Häuslicher Gewalt – »Verantwortungstraining für Männer« – sind die Auswirkungen Häuslicher Gewalt auf Kinder im letzten Drittel des Trainings Thema. Ich zeige den norwegischen Animationsfilm »Der Wutmann«, in dem ein etwa vierjähriger Junge miterlebt, wie der Vater die Mutter verprügelt. Den Teilnehmern des Trainings stehen Tränen in den Augen. Weil sie das kennen. Weil sie das, was sie selbst als Kind erlebt haben, nie weitergeben wollten. Es aber trotzdem tun. Das schafft eine sehr tiefe, emotionale, wertschätzende Atmosphäre in der Gruppe, die persönliche Veränderung möglich macht.

Was gibt dir Sinn und Erfüllung in der Arbeit?
Erlebnisse wie eben beschrieben. Und Gespräche mit Kollegen, mit anderen aus der Männerbewegung. Wenn es da zum Flow kommt, Projekte überlegt und geplant werden, aus einem persönlichen Gefühl der Gemeinsamkeit heraus.

Was ist dir (mit) gelungen, worauf bist du (zusammen mit anderen) stolz?
Am meisten stolz bin ich darauf, dass Männer unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten mich in meiner Arbeit akzeptieren und wertschätzen, was sie dort erleben. Stolz bin ich auf die Videos, die ich mit Robert Moos für den Youtubekanal »Täterberatung Häusliche Gewalt« gedreht habe. Stolz bin ich auch auf verschiedene Artikel, die ich geschrieben habe, u.a. für die Zeitschrift »Gesundheit und Gesellschaft« der AOK. Und auf mein Buch »Kinder machen Männer stark«. Was mich glücklich macht: Dass meine Kinder meine Arbeit schätzen und anerkennen.

Mit welchen Institutionen und Personen hast du gerne zusammengearbeitet oder tust es noch?
Mit dem Göttinger Männerbüro, der Akademie Waldschlösschen, dem kidsgo-Verlag, paps e.V., mit Alexander Bentheim, Thomas Gesterkamp, Albert Krüger, Karsten Knigge, Werner Sauerborn, Robert Moos, dem Hilfetelefon »Gewalt an Männern«.

Was hat die Männer ausgemacht, mit denen du am liebsten zusammengearbeitet hast?
Freundlichkeit, Humor, Zugewandtheit, Wertschätzung, Wissen, Gelassenheit, Reflexionsbereitschaft, Offenheit.

Hast du eine Lebensphilosophie?
Männer, die warten können, gewinnen.

Wo siehst du Brüche in deiner Arbeit? Wodurch wurden die verursacht?
Es ist immer heftig zu spüren, wieviel vom alten Mann, der alten klassischen harten Männersozialisation in mir steckt. Das führt bestenfalls zu Erkenntnis, oft aber auch zu schrägen Widersprüchen. Ein starker Bruch: Es gibt kaum Nachwuchs in der Männerbewegung. Die nachwachsende Generation, die jungen Männer um 30, die wollen lieber den Mann an sich abschaffen – »Sei kein Mann« und ähnliche Titel verstopfen die Bestsellerlisten – als zu erkennen, wie und wo sie selbst Mann sind und das Männlichkeitsbild zu erweitern. Denn das würde auch bedeuten, wertzuschätzen, was an Männlichkeit und am Mannsein gut ist.

Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstände gegen dein Verständnis von Jungen-, Männer- und Väterarbeit?
Bei konservativen Kräften in Wirtschaft und Politik, die am althergebrachten Bild der Geschlechterhierarchie festhalten. Weil sich Männer und Frauen so am besten ausbeuten lassen. Bei Pädagoginnen, Müttern, Kinderbuchautorinnen, für die ein Penis so bedrohlich ist, dass sie Kinder grundsätzlich vor allem Männlichen bewahren müssen. Bei etablierten Kräften der Frauenbewegung, die weiterhin die Deutungshoheit über alles, was Familie und Kinder angeht, allein für sich beanspruchen – so weit, dass noch nicht einmal gesehen wird, dass Täterarbeit Opferschutz bedeutet.

Was treibt dich – trotz manchmal widriger Umstände – weiter in deiner Arbeit an?
Ich bin alt und brauche das Geld 🙂 Gute Gespräche mit Kollegen und Kolleginnen. Freundschaft. Wissen, dass die Arbeit wichtig ist. Zu sehen, dass sie Früchte trägt. Bei Projekten und bei einzelnen Personen.

Welche Projekte würdest du gerne noch umsetzen, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Und was möchtest du gegen Ende deines beruflichen Lebens erreicht haben?
Meinen persönlichen Väter-Podcast. Die Einrichtung von Schutzwohnungen für Männer in ganz Deutschland, vor allem aber in Hessen. Den Blick auf Jungen und Väter in Kinder- und Jugendbüchern schärfen durch gute und prägnante Rezensionen. Und einen Nachfolger für meine Arbeit in Eschwege gefunden haben. Am besten auch eine Regelfinanzierung für die Täterarbeit in Hessen erreichen.

Eine nicht gestellte Frage, du aber dennoch gerne beantworten möchtest?
Mein Männer-Lieblingsbuch: »Das etruskische Lächeln« von Jose Saramago. Mein Lieblingsfilm: »Second Best« mit William Hurt in der Regie von Chris Menges.

 
 
 

 
 
 
:: Ralf Ruhl, Jahrgang 1957, lebt in Göttingen, ist Vater eines Sohnes und einer Tochter, inzwischen auch Großvater. Er arbeitet bei der Beratungsstelle für Schwangerschaft, Familie und Sexualität der AWO Werra-Meißner in Eschwege. Seit Mitte der 1980er Jahre ist er in der Männerbewegung aktiv, hat das Männerbüro Göttingen mitbegründet, die Jungenarbeit der Pro Familia in Göttingen etabliert, den Fachbereich Männerbildung im Verein niedersächsischer Bildungsinitiativen geleitet, die Zeitschrift »paps« als Redakteur geleitet, das Internetportal www.vaeterzeit.de mitgegründet und als Redakteur geleitet. Jetzt arbeitet er mit Männern, die ihre Frauen verprügeln, und mit Männern, die selbst Opfer Häuslicher Gewalt wurden. Und schreibt und schreibt, wobei er besonders gern Kinder- und Jugendbücher für www.maennerwege.de rezensiert.

»Pro nicht wahlberechtigtem Kind darf jedes Elternteil eine halbe Wahlstimme mehr abgeben!«

Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Martin Verlinden, Köln

See in Guatemala

Interview: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Foto: p.m.roedel, photocase.de | privat

 
Was war oder ist dein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen-, Männer- und Väterthemen? Was dein politischer und fachlicher Zugang?
Mit der Geburt meiner fünf Töchter zwischen 1979 und 1987 steigerte sich mein Interesse an der Genderpolitik. Zugleich erhielt ich seitens des Landesfamilienministeriums NRW genügend entsprechend gelagerte Aufträge und Projektzusagen zur Bestandsaufnahme und Entwicklung von Arbeitshilfen zur sozialemotionalen Erziehung im Kindergarten, der dortigen Beziehungen zwischen Mädchen und Jungen, der Bedeutung von Männern als Väter, dem Fehlen von männlichen Fachkräften in der Familienbildung, Kitas und Beratung. Mein Arbeitsansatz kulminiert in der Erkenntnis: Kinder brauchen präsente Väter und männliche Fachkräfte, um gleichberechtigte Interaktionen und selbstbewusste Kommunikation zu erlernen.

Welche waren damals und sind heute deine zentralen Themen in der Beschäftigung mit Jungen, Männern und Vätern?
Stets beschäftigten mich die Fragen nach günstigen Bedingungen zur Entwicklung von Identität und Autonomie, Gleichberechtigung und Vielfalt – gegenüber Konformismus und Drill, Hierarchie und Uniformität.

Wie hat sich dein Engagement für Jungen, Männer und Väter entwickelt, ggf. verändert?
Mit der Erkenntnis (nach Urie Bronfenbrenner), dass die individuelle Entwicklung in einem Spannungsfeld steht zwischen vielen mikro- und makrosystemischen Einflüssen, verflüchtigte sich das Individuum zentrierte Arbeits-Paradigma in der Jugendhilfe und Bildungspolitik, denn: Kind, Partnerschaft und Familie sind nicht die Ursache für Probleme und Scheitern, sondern nur der Ort des Geschehens.
Die strukturellen Einflüsse mussten mitberücksichtigt werden, Väter und Jungen brauchen besser finanzierte Hebammen, Kindergärten, Grundschulen, Familienbildung und -beratung, ansonsten bleiben sie Spielbälle hinterwäldlerischer Medien, Verwaltungen, Glaubensvertreter und Parteien.

Das für dich nachhaltigste gesellschaftliche/historische Ereignis – auch im Kontext deiner Arbeit?
Die Popularisierung toxischer Männlichkeit und des irrationalen Nationalismus stieg in den letzten 20 Jahren erheblich an. Symptome dafür sehe ich insbesondere in den unbeschreiblich hässlichen Auftritten und spürbaren Eigenschaften von Donald Trump und anderer mit ihm vergleichbarer »Diktatoren« größerer und kleinerer Staaten – auch in Europa. Und im Auf und Ab der radikalen völkisch-rassistischen und fundamentalreligiösen Strömungen in Deutschland, Europa und international.

Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deinen privaten und beruflichen Beziehungen?
Die Dauerhaftigkeit von beruflich progressiven Projekten steigt mit der Finanzierung. So bedauere ich, dass Männer-Politik und Väter-Arbeit immer noch wie ein Blinddarm der Frauenpolitik verortet ist. Es fehlt in den Familienministerien und Kommunen ein Budget, das dauerhaft und ausdrücklich nur für die Jungen-, Männer- und Väterarbeit reserviert ist.
Die Familie, die Kinder, die Mütter und Väter haben keine nennenswerte Lobby. Erst ein im Grundgesetzt verankertes Familienwahlrecht: »Pro nicht wahlberechtigtem Kind darf jedes Elternteil eine halbe Wahlstimme mehr abgeben!« könnte Abhilfe schaffen. Dann erst werden Ministerien und Parteien ihre familienpolitischen Konzepte dem echten Bedarf von Familien anpassen und angemessen ausweiten.

Drei Eigenschaften, die dich in deiner Arbeit und in deinen Beziehungen zu anderen ausmachen?
Was mich in meinen Projekten und wohl auch Beziehungen antreibt sind eine große, suchende Neugier nach Erklärungen, dann sicher auch eine Jahre anhaltende Ausdauer für Forschung und schließlich die selbstkritische Freude an der Verbalisierung und Diskussion von Ergebnissen.

Was ist für dich »Erfolg« in deiner Auseinandersetzung mit Jungen-, Männer- und Väterthemen? Hast du Beispiele?
Erfolge meiner Arbeit messe ich an der Verbreitung von empirischen Erkenntnissen zu Vielfalt und Verläufen von Männlichkeiten, dann auch an dem Wachstum und der Alltagstauglichkeit von professionellen Männernetzwerken und nicht zuletzt an der politischen und finanziellen Absicherung der Arbeit mit Jungen, Männern, Vätern und Großvätern.

Was gibt dir persönlich Sinn und Erfüllung in deinen beruflichen und privaten Beziehungen?
Wenn ich Menschen in ihren gemeinsamen Anliegen und unterschiedlichen Kompetenzen vernetzen kann und sie dadurch voneinander lernen können.

Was ist dir (mit) gelungen, worauf bist du (zusammen mit anderen) vielleicht auch stolz?
Die Gründung des Männer-Väter-Forum Köln im Jahr 1999 war ein wichtiger Meilenstein meiner praxisbezogenen Kooperation mit Männern und Frauen in alltäglichen Genderfragen. Das Forum florierte zwei Jahrzehnte weit über die Region Köln hinaus.
Grundsteine zu Konzepten der Väterarbeit in der Familienbildung, Familienberatung und in Kindergärten gehen auf Projekte zurück, die ich unter anderem mit Forumsmitgliedern in Nordrhein-Westfalen für Wohlfahrtsverbände und Familienministerien durchführen durfte.
Schließlich konnte ich nach meiner Pensionierung meine Erfahrungen auch in Projekte zur Väterarbeit und Gewaltprävention in Mittelamerika (Guatemala) einbringen.

Mit welchen Institutionen und Personen warst du gerne beruflich oder privat verbunden oder bist es noch?
Ich glaube, ich hatte großes Glück, dass ich meine beruflichen Themen und Schwerpunkte mit meinen privaten Lebensübergängen parallelisieren konnte. Denn mit der persönlichen Herausforderung, fünf eigene Töchter in ein eigenständiges Leben zu begleiten, lernte ich das Engagement und die Grenzen von vielen Hebammen, Fachkräften der Familienbildung und -beratung sowie Tätige in Kindergärten, Lehrkräfte an Grundschulen und weiterführenden Schulen und in Vereinen sowie deren Funktionäre kennen und wertschätzen.
Je älter ich mit dieser Arbeit werde, umso mehr verbreitern sich die Kreise und irgendwann gebe ich den Staffelstab gern an Jüngere ab, durchaus mit der Un-Gewissheit, ob und wie sie die Arbeit weiter vorantreiben können.

Was hat die Männer/* ausgemacht, mit denen du gerne zusammengearbeitet oder Zeit verbracht hast?
Im Männer-Väter-Forum Köln, als Dozent an der Technischen Hochschule Köln und in Kooperation mit Wohlfahrtsverbänden traf ich immer wieder sowohl auf junge Leute, Studenten, Berufsanfänger, die Einstiege und Orientierungen zur Väterarbeit suchten, als auch auf bereitwillige Mentoren, die ihre profunde Erfahrung weitergeben mochten. Mit ihnen konnte ich zum Teil sehr fruchtbare Beziehungen aufbauen, in denen wir uns mit gegenseitiger Wertschätzung entgegentreten. Entweder begleiteten wir gemeinsam spannende Projekte, schrieben unser Wissen auf, vernetzten uns mit anderen im Land, organisierten Fachkongresse oder hielten rege virtuelle Kontakte zueinander.

Hast du eine Lebensphilosophie, ggf. ein Lebensmotto?
Ich glaube, mein Pflichtbewusstsein ist recht ausgeprägt, etwa nach dem Imperativ: Mach das Beste aus dir! Handle so, dass du zur positiven Evolution der Menschheit beiträgst!

Wo siehst du Brüche in deinen beruflichen oder freundschaftlichen Beziehungen? Wodurch wurden diese verursacht?
Mitunter kam es in der Arbeit zu Konkurrenzen und Verstimmungen, auch zwischen verschiedenen Trägern und Regionen in Deutschland, etwa wer welche Fördertöpfe mit welchen »ähnlichen« Projekten und Verbindungen erobern konnte. Oder ob die im öffentlichen Dienst abgesicherten Kräfte besser den Selbständigen in der Väter-, Jungen- und Männerarbeit den Vortritt lassen sollten.

Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstände gegen dein Verständnis vom Umgang mit Jungen-, Männer- und Väterthemen?
Unsere Arbeit läuft meist unter dem Dach der Familienpolitik, Sozialpolitik und dem Jugendhilfegesetz; die Entstehung von Familien mit Schwangerschaft und Geburt sowie die Arbeit in Sozialisationsinstanzen und Institutionen der ersten zehn Lebensjahre ist damit überwiegend an Frauen, deren Bedürfnissen oder Interessen, orientiert! Das führt zu einem traditionellen Monopol an weiblichen Fachkräften und zur Exklusion von Fachmännern (etwa durch geringe Honorare) hinsichtlich der Geburtsvorbereitung, Familienbildung, Kleinkinderziehung, insbesondere in Kindergärten und Grundschulen.

Was treibt dich – trotz manchmal widriger Umstände – weiter in deiner Arbeit an?
Meine Vorbildfunktion für meine Töchter und Enkel lässt mich auch viele Jahre nach meiner Pensionierung aufmerksam bleiben für die enorme internationale, globale und zukunftsweisende Bedeutung gewaltfreier, gefühlsbewusster und wertschätzender Beziehungen zwischen Jungen und Mädchen, Männern und Frauen, Vätern und Müttern, Eltern und Kindern, in öffentlichen Einrichtungen, Betrieben, Verbänden, Parteien, Religionen und Vereinen.

Welches Projekt würdest du gerne noch umsetzen, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Und was möchtest du gegen Ende deines Lebens erreicht haben?
Ich bin eigentlich längst da, wo ich immer hinwollte; meine Projekte, Veröffentlichungen, Nachfahren und persönlichen Verbindungen stehen für meine Begriffe längst am richtigen Platz. Vielleicht bestärkt mich der Impuls dieses Interviews hier, in den nächsten Jahren ein wenig an meiner Biografie und an meiner Reiselust zu arbeiten.

Eine nicht gestellte Frage, die du aber dennoch gerne beantworten möchtest?
Die Frage danach, welche Interaktion zwischen meinem Privatleben und der beruflichen Entwicklung entstand, denn das ist mir noch wichtig zu sagen: Mit der Zeit lernte ich, mich selbst im Spiegel der Entwicklung von Männer-Themen zu betrachten. Und ich versuchte möglichst, die Konzepte in meinem eigenen Alltag anzuwenden und zu prüfen, die ich aus Forschung und Beratung, aus der Lehre und von Kollegen als »grundsätzlich sinnvoll für Männer« ansah. Dadurch fühlte ich mich zunehmend authentischer und selbstbewusster.
 
 
 

 
 
 
:: Martin Verlinden, Jahrgang 1949, Vater von fünf Kindern mit sechs Enkeln, wohnhaft in Bonn, Diplompsychologe. Forschung, Beratung, Lehre, Publikationen insbesondere zu den Themen Sozialemotionale Erziehung im Kindergarten, Mädchen und Jungen im Kindergarten, Väter im Kindergarten, Bestandsaufnahme zur Väterarbeit in NRW, Väter in der Familienbildung, Vom Mann zum Vater, Väter in Transitionen, Initiativen zu »Mehr Männer als Fachkräfte in Kitas«.

»Das Aufleuchten einer Erkenntnis in den Augen des Gegenübers«

Der MännerWege Fragebogen – beantwortet von Georg Paaßen, Mülheim

Interview: Alexander Bentheim und Ralf Ruhl
Fotos: privat

 
Georg, was war oder ist dein persönlich-biografischer Zugang zu Jungen-, Männer- und/oder Väterthemen?
Beide Eltern wurden vom Weltkrieg traumatisiert. Das hat sich nur selten gezeigt, war aber (findet mein Ich im Jahr 2023) deutlich zu spüren. Mein Vater war wenig präsent und starb, als ich 11 war, am Alkohol. Mir war klar: Die Männer sind selten glücklich. Im Alltag waren meine Mutter und meine Schwestern viel prägender. Auch andere weibliche Erwachsene in Familie, Kirchengemeinde und Verwandtschaft spielten wichtige Rollen. Meine Alltagserfahrung passte nie zu der Behauptung des Patriarchats, dass nur Männerwelten beachtenswert seien.

Und was ist dein politischer und fachlicher Zugang?
Die Feministinnen der 1970er und 1980er fielen mir auf. Beeindruckt war ich vom anderen Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in Büchern wie »Frauen« von Marilyn French oder »Der Tod des Märchenprinzen« von Svende Merian. Bei einer Organisation, die 18-monatige Freiwilligendienste im Ausland organisiert, war ich um 1987 an den Vorbereitungsseminaren beteiligt, wo wir Sexismus zum Thema gemacht haben.

Welche waren damals und sind heute deine zentralen Themen in der Beschäftigung mit Jungen, Männern und/oder Vätern?
Wir haben, als wir die Initiative »Pfefferprinz – Männernetzwerk und Aktion« gründeten, lange über die Zielformulierungen diskutiert. Hängen geblieben ist mir vor allem »enhancing men’s lives«, das deutsche Wort »bereichern« trifft es aber nicht wirklich. In meinem Engagement geht es mir um Klarheit über die eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Dabei denke ich immer mit, dass meine Entwicklung, meine Entscheidungen und meine Zukunft in sozialen Zusammenhängen verlaufen. Ich habe Entscheidungen getroffen: Ich möchte mit meiner Lebenspartnerin alt werden. Ich wollte mit ihr auch Kinder in den Welt setzen, die wir – gemeinsam – ins Leben begleiten. Das wäre mit einer beruflichen Karriere nicht vereinbar gewesen.
Ohne die Begegnungen mit alten Verwandten und im Zivildienst hätte ich mich auch nicht für den »Frauenberuf« Altenpflege entschieden. Auch heute noch, mit 58 Jahren, werde ich für beides schief angesehen.
Mit meinem Lieblingsmenschen, mit den Kindern (beide sind erwachsen) und auch mit Freund*innen, war Ehrlichkeit immer ein zentrales Thema. Dazu gehört auch, soziologische Tatsachen anzuerkennen und diese bei Bedarf zum Thema zu machen und zu hinterfragen. Das Patriarchat ist eine solche soziologische Tatsache. In patriarchalen Machverhältnissen erleben sich Männer immer wieder als »unpassend« und erfahren auf vielerlei Weise Anpassungsdruck. Ich habe noch niemanden kennengelernt, bei dem das ohne Verängstigungen, Verletzungen und spurlos geblieben wäre. Ohne die Begegnung mit bewegten Männern hätte ich nicht Klarheit über meine Wünsche und Bedürfnisse erarbeiten können. Diese Entwicklungen habe ich gern in Männer- und Vätergruppen und bei Männertreffen vorangebracht. So konnte ich zu meinen Entscheidungen stehen und Konflikte im Privat- und Berufsleben durchstehen.
Ich habe viele Pflegeauszubildende begleitet. ich habe in der Palliativversorgung Sterbenden und ihren Angehörigen beigestanden. Ich konnte auch meine Mutter in ihrem Sterben und meine Geschwister in ihrer Trauer begleiten.

Wie hat sich dein Engagement für Jungen, Männer und/oder Väter entwickelt, ggf. verändert?
Ich bin über die Jahre offener und verständnisvoller für die Lebensentwürfe und Prioritäten anderer geworden.

Das für dich nachhaltigste gesellschaftliche/historische Ereignis – auch im Kontext deiner Arbeit?
Ein einzelnes Ereignis fällt mir nicht ein. Aber Entwicklungen, etwa dass in der Zeit meiner Entwicklung zum erwachsenen Mann HIV und AIDS aufkamen, und damit auch eine Enttabuisierung des Sprechens über homosexuelle Lebensweisen. Oder diese Entwicklung: Wenige Jahre vor unseren Kindern wurde das Elterngeld eingeführt, das seitdem auch mehr und mehr Väter in Anspruch nehmen. Elterngeld war möglich, weil die »Erziehungsleistungen« gesellschaftlich zum Thema gemacht werden konnten. Die Rolle von Vätern wurde damit ebenfalls in den Blick genommen. In meinem Umfeld gehörte ich in den 1990er Jahren zu sehr wenigen Vätern, die vor der Kita standen oder (ohne Frau) beim Kinderarzt waren. (Uns mit Kinderfahrradanhänger zu sehen, war für viele in unserer Stadt auch eine Premiere.) Schließlich: Die vielen Jahrzehnte, in denen wir um gendergerechte Sprache ringen. Es ist viel besser geworden. Gefühlt werden die Auseinandersetzungen mit Ignoranten (und wenigen Ignorant*innen) leider nicht seltener.

Eine wichtige persönliche Erfahrung im Zusammenhang mit deinen privaten und/oder beruflichen Beziehungen?
Eine reicht nicht, da gibt es mehrere, zum Beispiel die 17jährige, die mir um 1984 sagte: »Der Feminismus hat sich erledigt. Wir sind gleichberechtigt.« Und die Angst des schwulen englischen Freundes vor homophoben Gewalttätigkeiten auf offener Straße. Und die gemeinsame Entscheidung: Wir möchten zusammen Kinder und sie aufwachsen sehen, ebenso dann die gemeinsame Entscheidung, dass wir nicht noch mehr Kinder möchten und in der Folge meine Vasektomie. Auch das berufliche Scheitern einer 25jährigen Kollegin, die sich als Pflegefachperson in nur wenigen Jahren in die Berufsunfähigkeit gearbeitet hatte. Und ein Workshop über Männerkörper, auch mit Anfassen, und selbstverständlich mit Haydar Karatepe (1957-2011), damals beim Männertreffen 1994. Wie ebenso ein Bauer in Lederkluft, der sein schwules Coming-Out jenseits des 60. Geburtstages auch auf dem Männertreffen genoss. Und nicht zuletzt viele offene Gespräche mit Männern in single/komplizierten/schwulen/getrennten/verwitweten-Beziehungen, ohne und mit Kindern, in denen wir immer wieder Gemeinsamkeiten in unseren Lebensentwürfen entdecken konnten.

Drei Eigenschaften, die dich in deiner Arbeit und/oder Beziehungen zu anderen ausmachen?
Offenheit, Ehrlichkeit, …

Was gibt dir persönlich Sinn und Erfüllung in deinen beruflichen und privaten Beziehungen?
Das Aufleuchten einer Erkenntnis in den Augen des Gegenübers.

Was ist dir (mit) gelungen, worauf bist du (zusammen mit anderen) vielleicht auch stolz?
Zuerst: »Unsere« beiden Kinder leben ein glückliches Leben. Da gerade Mai 2023 ist: Mir ist sehr präsent, dass ich einen, wenn auch sehr kleinen, Anteil daran habe, dass in Deutschland kein Atomstrom mehr produziert wird. Ich habe von einigen Erlebnissen bei den Männertreffen geschrieben; ich habe Grund zu der Annahme, dass ich manche Männer ermutigt habe, sich selbst zu erkennen. Ich bin Altenpfleger, und weil der überwiegende Anteil der pflegebedürftigen Alten Frauen sind, konnte ich vielfach Geschlechtervorurteile entkräften und Vertrauen erwerben. Ich hoffe auch, dass ich vielen Auszubildenden Stolz auf den Pflegeberuf vermitteln konnte – das war nicht einfach, weil ich als Praxisanleiter überwiegend mit weiblichen Auszubildenden zu tun hatte.

Mit welchen Institutionen und Personen warst du gerne beruflich oder privat verbunden oder bist es noch?
Mit Alexander Bentheim von der Agentur MännerWege, mit dem »Rundbrief antisexistischer Männer« (erschien von 1988 bis 1992 in Berlin) und mit der Zeitschrift »Moritz« (erschien von 1993 bis 1997 ebenfalls in Berlin), außerdem mit dem Friedenszentrum Martin-Niemöller-Haus. Wenn das bundesweite Männertreffen und das Herbst-Männertreffen als Institutionen gelten, dann auch diese 😉

Wo liegen für dich die hartnäckigsten Widerstände gegen dein Verständnis vom Umgang mit Jungen-, Männer- und/oder Väterthemen?
In den patriarchalen Machtstrukturen … aber das ist zu allgemein. Versuch der Präzisierung (1): Faulheit und Angst scheinen es vielen Männern fast unmöglich zu machen, eigene Verhaltensweisen und Eingrenzungen zu hinterfragen. Neue Erfahrungen sind dann nicht eine Einladung zu lernen und zu wachsen, sondern werden bedrohlich empfunden. Bis hin zu frauen- oder schwulenfeindlichen Gewalttaten. Versuch der Präzisierung (2): Wieder und wieder muss ich erleben, dass Menschen, statt die gesellschaftlichen Verhältnisse zu hinterfragen, ersatzweise einzelne Mitmenschen ins Visier nehmen. So werden Verhaltensweisen, die nicht-konformistisch sind, zu persönlichen Angriffen stilisiert und es wird zum persönlichen »Gegenangriff« geblasen.

Was treibt dich – trotz manchmal widriger Umstände – weiter in deiner Arbeit an?
Viele freudige menschliche Begegnungen.

Welches Projekt würdest du gerne noch umsetzen, wenn du die Möglichkeiten dazu hättest? Und was möchtest du gegen Ende deines Lebens erreicht haben?
Ich habe das Wichtigste schon erreicht, dem Rest des Lebens sehe ich gelassen entgegen. Mit fast 60 Jahren kann ich überlegen, was ich mir für die Rentnerjahre vorstelle. Da denke ich als erstes an die Klimakatastrophe. Als zweites: Ich habe beruflich in der Pflege viel Wissen und Erfahrung erworben. Wahrscheinlich wäre es der verantwortlichste Umgang, mich in der Palliativversorgung zu engagieren. Was auch offene Begegnungen mit Menschen verspricht.
In der dritten Lebensphase werden Männer neu mit Fragen nach dem Lebenssinn konfrontiert. Auch die Sorge für andere und Situationen, in denen wir selbst auf Hilfe angewiesen sind, spielen eine größere Rolle. Mal sehen, was ich vor diesem Hintergrund, mit meinen Lebenserfahrungen, tun kann.

Eine nicht gestellte Frage, die du aber dennoch gerne beantworten möchtest?
Ich begann die Welt zu entdecken, bevor es das Internet gab. Deshalb waren und sind Bücher für mich wichtig. Ein Frauenbuch, das ich Männern gern empfehle: »Die Töchter Egalias« von Gerd Brantenberg (1977, Verlag Frauenoffensive, ISBN 388104163X).
2023 kollidieren Männer in ähnlicher Weise mit Rollenerwartungen wie 1993. Wenn das Rad nicht wieder und wieder neu erfunden werden soll, dann braucht es Kontinuitäten und Menschen, die die »Basisarbeit« machen: Prozesse und Konflikte dokumentieren, Männer vernetzen, Projekte aufbauen und deren Arbeit öffentlich machen. »MännerWege« aus Hamburg hat dazu sehr wichtige Arbeit geleistet. Ich freue mich, dass ich das unterstützen konnte.
 
 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
:: Georg Paaßen, geb. 1964, aufgewachsen im Ruhrpott, Männergruppen in Glasgow und Berlin, Vätergruppe im Ruhrpott, Teilnahme an diversen Männertreffen.

Männer/* und ihre Wege

Beiträge für ein biografisch geprägtes Archiv zur persönlichen, ehrenamtlichen und professionellen Auseinandersetzung mit Jungen-, Männer- und Väterthemen.

Mann sitzt über einer alten Schreibmaschine

Text: Alexander Bentheim
Foto: Andreas Berheide, photocase.de

 
Was ist uns wichtig? Warum tun wir, was wir tun? Was hat uns inspiriert oder provoziert, etwas besser oder anders machen zu wollen angesichts dessen, was wir vorgefunden haben? Und wie bewerten wir all das, im Nachhinein vielleicht radikaler oder milder als seinerzeit?

Länger projektiert, nun auf den Weg gebracht: Leitfragen, zu denen wir uns von Kollegen, Freunden, Partnern, Wegbegleitern persönliche Antworten wünschen. Gedanken dazu, wie sie ihre Zugänge zur ehrenamtlichen oder professionellen Beschäftigung mit Männlichkeits*themen gefunden haben. Wie sie ihre biografisch geprägten Entwicklungen, Erweiterungen und Veränderungen empfinden, wie ihre inneren Verortungen, Überzeugungen und Begründungen aussehen. Und wie sie das alles – auch beruflich, partnerschaftlich, geschlechterpolitisch – reflektieren.

Mit der Reihe wollen wir nicht nur die Vielfalt von Gedanken, Erfahrungen, Einschätzungen abbilden, sondern auch Grundlagen für intergenerative Dialoge legen.

 
Bisherige Beiträge:
:: Dirk Achterwinter, Bielefeld
:: Dirk Bange, Hamburg
:: Alexander Bentheim, Hamburg
:: Marc Gärtner, Berlin
:: Thomas Gesterkamp, Köln
:: Gerhard Hafner, Berlin
:: Jeff Hearn, Örebro (Schweden)
:: Markus Hofer, Feldkirch (Österreich)
:: Frank Keil, Hamburg
:: Michael Kimmel, New York (USA)
:: Peter Maier, Kühbach b. Augsburg
:: Marc Melcher, Frankfurt/M.
:: Christian Meyn-Schwarze, Hilden
:: Karl-Heinz Michels, Ruderting
:: Hans-Georg Nelles, Düsseldorf
:: Gunter Neubauer, Tübingen
:: Georg Paaßen, Mülheim
:: Josef Riederle, Kiel
:: Wolfgang Rosenthal, Oldenburg
:: Michael Roth, Duisburg
:: Ralf Ruhl, Göttingen
:: Thomas Scheskat, Göttingen
:: Uwe Sielert, Kiel
:: Christian Sieling, Dietzenbach b. Frankfurt/M.
:: Matthias Stiehler, Dresden
:: Bernhard Stier, Hamburg
:: Rainer Ulfers, Hamburg
:: Martin Verlinden, Köln

Weitere zugesagte Beiträge:
:: Stefan Baier, Dresden
:: Matthias Becker, Nürnberg
:: Frank Beuster, Hamburg
:: Peter Bienwald, Dresden
:: Theo Brocks, Köln
:: Tobias Bücklein, Konstanz
:: Ulrich Dirks, Dortmund
:: Wolfgang Englert, Wehrheim b. Frankfurt/M.
:: Harry Friebel, Hamburg
:: Frank-Ole Haake, Dresden
:: Volker Handke, Berlin
:: Andreas Heilmann, Berlin
:: Stephan Höying, Berlin
:: Olaf Jantz, Hannover
:: Karsten Kassner, Berlin
:: Karsten Knigge, Göttingen
:: Hans-Joachim Lenz, Ebringen b. Freiburg
:: Birol Mertol, Essen
:: Michel Meurer, Meckenheim
:: Sascha Möckel, Dresden
:: Mario Nitsch, Ruderting b. Passau
:: Peter Pfingstl, Weingarten b. Karlsruhe
:: Hans Prömper, Offenbach
:: Christian Raschke, Müncheberg b. Berlin
:: Tim Rohrmann, Hildesheim
:: Martin Rosowski, Kassel
:: Klaus Schwerma, Berlin
:: Uli Severin, Frankfurt/M.
:: Holger Strenz, Dresden
:: Markus Theunert, Basel (Schweiz)
:: Michael Tunç, Köln
:: Detlef Vetter, Bielefeld
:: Henning von Bargen, Berlin

Nicht allzu viele Worte und dennoch enorm viel Bedeutung

Immer diese langen Texte. Immer diese endlosen Romane. 1000 Seiten – und mehr. Es geht auch anders: runterdimmen, um wieder auf Touren zu kommen.

Mann sitzt mit Stift über einem Papier

Text: Frank Keil
Foto: aoo3771, photocase.de

Männerbuch der Woche, 22te KW. – Kurz, sehr kurz und sehr, sehr kurz und immer wieder sehr komisch: Jürgen Hosemann versammelt in »Papierkorb« wunderbarste Miniaturen und textliche Erprobungen zum Bewahren und also Aufheben und Bedenken.

Zur Rezension

»Hübsche Möbel, glatte Oberflächen«

Was tun, wenn das eigene Leben immer wieder auseinanderzufallen droht? Wie weiterbestehen, wenn man gerade daran so seine Zweifel hat?

Schneewald hinter Regentropfen

Text: Frank Keil
Foto: jlokij, photocase.de

Männerbuch der Woche, 11te KW. – Heidi Furre erzählt in ihrem wortwuchtigen Roman »Macht«, wie eine Frau nach einer Vergewaltigung ihr Leben zurückgewinnt.

Zur Rezension

Und dann wird alles anders

Plätschert es nicht einfach so dahin, das Leben? Mit Höhen, Tiefen, Verlusten, Gewinnen? Es sei denn, man schaut sich selbst einmal genauer beim Leben erleben zu.

Mann sitzt schreibend in einem lost place

Text: Frank Keil
Foto: JoeEsco, photocase.de

Männerbuch der Woche, 6te KW. – Peter Stamm lässt in seinem neuen Roman »In einer dunkelblauen Stunde« virtuos eine glücklose Filmemacherin nach einem Mann, dem Leben und der Liebe suchen.

Zur Rezension

»Man kann Kinder für das Aufräumen ein bisschen austricksen«

Martin Tolkmitt, 13, Schüler der Stadtteilschule Niendorf und Teilnehmer am Halbjahreskurs »Soziale Jungs vor Ort«, über seine Mitarbeit im Kinderhaus »Fliewatuut«.

2 Kinder spielen im Matsch

Interview: Alexander Bentheim
Foto: suze, photocase.de

Martin, was hat dich am meisten beeindruckt während deiner Mitarbeit?
Dass wir tatsächlich viel mit den Kindern gespielt und sie beschäftigt haben, was ich zuerst gar nicht als richtige Hilfe gesehen habe. Ich dachte, spielen bedeutet nicht so viel, aber doch, darüber kann man ja Vertrauen herstellen.

Mit wie vielen Kindern hattest du zu tun und in welchem Alter waren diese?
Das waren so bis zu 15-16 Kinder, im Alter von 2 bis 6 Jahre.

Was hat dich überrascht, das du zuvor nicht gewusst hast?
Dass ein Kind einfach zu weinen anfängt, nur weil es mich sieht. Also das war in einer Situation, wo wir fangen spielen wollten, und plötzlich weinte der Junge los. Vielleicht war ihm das zu plötzlich mit dem Spiel, obwohl ich mich schon bemüht hatte, nicht zu schnell zu sein. Aber nach kurzer Zeit war das vorbei. Ach ja, und dass manche Kinder richtig gewalttätig sein können, also dass sie Spielzeug nehmen und dich damit schlagen oder an deinen Klamotten ziehen. Dann habe ich zwar »Stop!« gesagt, aber so richtig zugehört hat wohl niemand. Erst als die Erzieherin dazu kam, haben sie aufgehört. Ich muss wohl etwas strenger werden. Oder konsequenter. Überhaupt mussten wir aber auch aufpassen, dass sie sich nicht verletzen, weil sie schon ein bisschen wild waren.

Was hast du gelernt, wovon du sagst: das nehme ich mit aus dieser Zeit?
Dass man mit den Kindern nicht sofort losspielen kann, sondern warten muss, bis sie zu dir kommen. Ich wollte eine Verbindung herstellen zu einem Kind, aber das war etwas schwierig, weil ich ja neu war und unbekannt für das Kind. Da muss man erstmal etwas anderes machen und warten, bis sie zu dir kommen und dann kannst du fragen: »Na, willst spielen?« Man muss sich halt langsam kennenlernen.

Würdest du etwas verbessern wollen oder anders machen?
Ja, vielleicht nicht so sehr nur mit den Kindern spielen, sondern ihnen auch beibringen, nicht so wild zu sein. Was ich aber nicht geschafft habe … vielleicht bin ich ja zu nett und wollte keinen »bösen« Eindruck vermitteln. Und ich hätte gern noch etwas mehr Anleitung gehabt, was wir mit den Kindern machen sollen. Am Anfang hab ich viel gefragt, was wir mit denen machen, aber da gab es nicht so viele Antworten. Wir sollten wohl selbst herausfinden, was wir alles machen können.

Fühltest du dich insgesamt wohl in der Einrichtung, mit den Kindern?
Zuerst war es ungewohnt, weil ich vorher noch nie – also als schon etwas Älterer – in einer Kita war. Da habe ich so viele Kinder gesehen und wusste nicht genau, was ich mit denen nun machen soll. Es war alles neu, aber mit der Zeit habe ich mich schon wohlgefühlt und es war dann alles einfacher.

Hast du ein Beispiel für ein Spielangebot, bei dem die Kinder richtig neugierig oder begeistert waren?
Neugierig weiß ich jetzt nicht so, aber die haben oft Fangen gespielt mit uns, und sie haben damit auch angefangen, und Bela – mit dem zusammen ich im Kinderhaus war – und ich haben dann halt mitgemacht. Dann haben sie uns erwischt, aber wir sind auch wieder rausgekommen und dann gab es viel Geschrei. Da war dann natürlich viel Begeisterung und Spaß dabei.

Würdest du diese Arbeit anderen Jungs empfehlen? Und welche Voraussetzungen bräuchte jemand deiner Meinung nach dafür?
Man braucht auf jeden Fall Geduld. Am Anfang war es ja so, dass wir darauf warten mussten, dass die Kinder auf uns zukommen, nicht umgekehrt. Und man braucht etwas Mut, mit ihnen zu sprechen, weil man ja bei dem Altersunterschied nicht gleich weiß, wie man sie ansprechen kann, vor allem wenn man keine kleinen Geschwister hat. Und man sollte nicht schnell reizbar sein oder wütend werden, nicht alles persönlich nehmen, weil man ja auch ein Vorbild sein soll. Das brauchte uns auch nicht gesagt werden, denn das haben wir schon selbst schnell gemerkt, dass man sich vorbildlicher verhalten muss.

Gab es Kinder, mit denen du mehr anfangen konntest als mit anderen?
Am Anfang fand ich manche aggressiver und manche netter. Aber eigentlich waren sie alle ganz lieb, wenn wir sie dann besser gekannt haben. Über das gemeinsame Spielen mochten wir dann alle gleich gern.

Gibt es noch etwas, das du erwähnenswert findest?
Man kann die Kinder für das Aufräumen, was ja niemand gerne macht, austricksen: indem man sagt, dass es ein Spiel ist, und wer mehr aufräumt, der gewinnt. Dann kann man einfach dabeistehen und die Kinder räumen schon alles auf. Bela hat jüngere Geschwister und daher weiß er, wie man das richtig ansprechen kann, so mit einem leicht kindlichen »Dialekt« 🙂

Die Runden

Ein Ziel haben, nach Höherem streben, und zugleich auf dem Boden bleiben, im Alltag verhaftet. Das zu vereinen, muss Glück bedeuten.

Ein Taucher vor einer Wand mit Containern

Text: Frank Keil
Foto: Saimen., photocase.de

Männerbuch der Woche, 3te KW. – Arno Geiger erzählt in seinem neuen Buch »Das glückliche Geheimnis« von entscheidenden Lebensmomenten am Altpapiercontainer und damit dem allmählichen Werden eines Schriftstellers.

Zur Rezension

»Mehr Selbstvertrauen, dass ich mit Kindern arbeiten kann.«

Emilio Centanaro, 15, über seine Erfahrungen auf dem Hamburger Bauspielplatz Rahlstedt-Ost und was sein Praktikum mit Motivation und Selbstvertrauen zu tun hat.

Junge spielt in einer Waldhütte

Interview: Alexander Bentheim
Foto: coscaron, photocase.de

Emilio, warum ein Praktikum auf einem Bauspielplatz?
Ich fand es interessant, weil ich noch nie so richtig mit Kindern gearbeitet habe. Christian Herzog von der SGA Bramfeld hat mir das Praktikum vorgeschlagen und ich fand das okay und richtig super, die Kinder waren voll nett, und wir konnten da ein bisschen was bauen.

Was waren deine Aufgaben und Tätigkeiten?
Die meiste Zeit habe ich mit den Kindern im Gelände gespielt und auch aufgepasst, dass nichts passiert. Ich habe in der Werkstatt mitgeholfen und Werkzeug an die Kinder ausgeliehen. In der letzten Woche haben wir dann zusammen ein Fahrrad repariert.

Was hat dich auf dem Baui am meisten beeindruckt?
Wie nett die Leute da sind und wie die Kinder einem zuhören können; sie waren nicht so anstrengend wie ich das erwartet hatte.

Mit wie vielen Kindern hattest du zu tun und in welchem Alter waren diese?
Das waren so 6-8 Kinder, sie waren etwa 7 bis 8 Jahre alt.

Was hat dich überrascht, wovon du zuvor nicht gewusst hast?
Dass der Baui so groß ist, das habe ich nicht erwartet. Ich dachte, es gibt nur einen kleinen Raum, in den die Kinder reingehen und z.B. malen können. Aber nein, das war ein sehr großes Gelände mit Spielplatz und vielen Möglichkeiten.

Was hast du gelernt, wovon du sagst: das nehme ich mit aus dieser Zeit?
Mehr Selbstvertrauen, dass ich mit Kindern arbeiten kann. Und dass es positive Überraschungen geben kann, wenn man erst nicht weiß, was auf einen zukommt und man denkt, dass es stressig werden kann mit den Kindern. Aber das war am Ende überhaupt nicht mehr so. Deshalb nehme ich mit, dass ich etwas nicht einschätzen sollte, bevor ich es nicht ausprobiere.

Würdest du irgendetwas noch verbessern oder ganz anders machen?
Nein, es war alles okay.

Fühltest du dich insgesamt wohl in der Einrichtung, mit den Kindern, mit der Anleitung?
Ja, sehr. Auch dass ich, wenn ich mit dem Rad ankam, erstmal etwas zu trinken und manchmal auch Kuchen bekommen habe; ich wurde richtig gut aufgenommen. Wir wollen auch den Kontakt miteinander halten, aber wegen der Schule geht das im Moment gerade nicht. Wenn ich mal Zeit habe, fahre ich einfach vorbei und schaue, wie es denen geht.

Hast du noch ein Beispiel für ein Angebot, wo die Kinder richtig neugierig und begeistert waren?
Ja. Ich musste mal einen kleinen Schrank bauen und da war ein kleiner Junge, der unbedingt mitmachen wollte. Ich hab ihm dann dies und das gezeigt, aber dann verlor er doch die Lust und wollte lieber spielen gehen. Das war wohl etwas viel für ihn, was wir da vorhatten.

Würdest du die Arbeit, die du gemacht hast, anderen empfehlen? Und welche Voraussetzungen bräuchte jemand deiner Meinung nach dafür?
Ja, das würde ich, aber es muss jemand richtig Motivation mitbringen, mit Kindern arbeiten zu wollen! Und viel Energie! Denn die Kinder haben auch viel Energie, wollen laufen und verstecken spielen, und das Gelände ist ja groß. Gut war, dass sie dann doch schneller müde wurden als ich.