Silvesterböller: Hochsaison für Handchirurgen
Text: Alexander Bentheim (Redaktion nach Quelle IDW)
Foto: Mr. Mint, photocase.de
Bundesweite Statistiken über Böller-Verletzungen an Silvester gibt es nicht. Eine durchschnittliche Silvesternacht an einem Großstadt-Krankenhaus sieht aber oft so aus: 60 Teilverletzungen, wie zum Beispiel abgetrennte Finger oder Fingerglieder, und fünf bis zehn schwere Verletzungen, wie zum Beispiel eine zerstörte Hand. Die meisten Verletzten sind meist alkoholisierte junge Männer im Alter bis zu 25 Jahren. Die zweite Haupt-Risikogruppe sind 50- bis 60-jährige Männer, ebenfalls oft alkoholisiert.
Mit Start des Raketen- und Böllerverkaufs am 29. Dezember beginnt in den Krankenhäusern wieder die Hochsaison der Handchirurgen. Auch wenn die wiederherstellende Chirurgie heute mit Replantationen von Gliedmaßen und Extremitäten schon viel leisten kann, bleiben nach Böller-Verletzungen oft Funktionseinschränkungen zurück, warnt die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU).
»Die meisten großen Handverletzungen werden durch selbst gebastelte [so genannte] Polen-Böller verursacht«, erklärt Professor Andreas Eisenschenk von der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie (DGH). »Am häufigsten sind aber Verletzungen eines oder mehrerer Finger sowie Hautverletzungen. Wenn Böller in der Nähe des Kopfes explodieren, kann es aber auch zu Trommelfellzerstörungen kommen – und wenn sie sich in der Hosentasche entzünden, zu Genitalverletzungen.«
Richtig ernst wird es für die Chirurgen an Silvester ab circa 22 Uhr. Die OP-Teams sind meist doppelt besetzt. Um Sehnen, Gefäße, Nerven und Knochen zu rekonstruieren, sind oft vier- bis zehnstündige Operationen notwendig, häufig auch noch weitere Folgeeingriffe. Ein großes Problem ist bei Böller-Verletzungen, dass Explosionen keine glatten Schnittwunden verursachen, sondern zerfetzte Ränder. Das macht das Nähen der Wunde schwierig bis unmöglich. »Wenn ein Körperteil verletzt war, wird immer eine Einschränkung bleiben, in Gefühl oder Funktion. Wenn die Funktion da ist, aber nicht das Gefühl, ist die Hand funktionslos. Umgekehrt, wenn das Gefühl da ist, aber nicht die Funktion, dann ist die Hand blind«, erklärt Eisenschenk.
Ein abgetrennter Finger zum Beispiel kann noch nach acht bis zehn Stunden wieder angenäht werden, auch wenn er nicht gekühlt wurde. Deshalb empfiehlt Eisenschenk: »Bevor man etwas falsch macht, die Gliedmaßen lieber ungekühlt transportieren. Denn wenn sie mit Eiswasser in Kontakt kommen, quellen sie auf und dann ist ein Wiederannähen nicht mehr möglich.« Über 95 Prozent der wieder replantierten Körperteile sind äußerst kälteempfindlich und können bei großer Kälte Schmerzen verursachen. Deshalb ist die »Lebensqualität danach« für die Operateure vor jeder OP ein wichtiger Aspekt. So könnte die Replantation eines Fingers bei einem Musiker sinnvoll sein, bei einem Handwerker, der viel im Freien arbeitet, dagegen nicht. Er hätte bei Außenarbeiten im Winter einfach zu große Schmerzen.
Damit es erst gar nicht zu Verletzungen kommt, empfehlen die Orthopäden und Unfallchirurgen der DGOU – wenn auf die Böllerei schon nicht verzichtet werden kann – einen sorgsamen Umgang mit Feuerwerkskörpern, insbesondere bei männlichen Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren, denn diese seien besonders gefährdet.